Bild nicht mehr verfügbar.

Zerstörungen im syrischen Idlib. Dass auf den Bürgerkrieg Stabilität folgt, ist unwahrscheinlich.

Foto: AP / Ugur Can

Wien – Der Krieg in Syrien ist vorbei. Zwar nicht jetzt, noch immer sterben jeden Tag zahlreiche Menschen, aber zumindest bald. Dass es mit dem Sterben dann vorbei sein wird, ist freilich nicht gesagt. Denn ob dem Krieg, den aller Voraussicht nach das Assad-Regime gewinnen wird, ein Friede folgt, ist alles andere als sicher. In Wien beraten Experten dieses Wochenende auf akademischer Ebene darüber, was in Syrien passiert, wenn die Waffen – zumindest großteils – schweigen. Einen Vorgeschmack auf die Diskussionen gab es Mittwochabend im Wiener Kreisky-Forum, wo Fachleute aus Russland, Israel, den USA und Europa unter Moderation von STANDARD-Nahost-Expertin Gudrun Harrer ihre Ausgangspositionen absteckten.

Das Problem, so der Tenor: Alle Seiten, die in Syrien derzeit tätig sind, seien zu schwach, um das Land alleine zu kontrollieren – und einen Kompromiss zu schließen falle ihnen noch schwerer. "Das Regime hat den Krieg gewonnen", sagte der Nahost-Programmdirektor der International Crisis Group, Joost Hiltermann, "aber es ist zugleich so schwach, dass die Verbündeten es nicht verlassen können." Bashar al-Assad kontrolliere zwar über Umwege wieder viele Teile des Landes, in einigen sei aber der "Islamische Staat" (IS) noch aktiv, andere stünden insgesamt noch unter der Kontrolle anderer Jihadisten, der Türkei, des Iran, der Hisbollah, Russlands, der USA oder der Kurden. Würden nun etwa der Iran, Russland und die Hisbollah – die Unterstützer Assads – abziehen, drohe dem Regime bald wieder Gefahr. Zugleich hätten die Gegner noch immer die Unterstützung der USA und der EU. "Diese beiden Mächte sind zwar in Syrien nicht stark genug zu gewinnen, aber sie könnten Spoiler des Friedens werden. Dafür sind sie stark genug."

"Die Syrer mögen die Russen, nicht den Iran"

Eine andere Gefahr betonte Soli Shahvar, Chef des Zentrums für Iran-Studien an der Universität von Haifa: Er sehe vor allem den wachsenden Einfluss des Iran, sagte er, und sorgte mit den folgenden Ausführungen für einen Panel-untypisch erhitzten Diskussionsverlauf. Vor allem dass der Iran versuche, das einstmals multikonfessionelle Land religiös umzupolen, bereite ihm Sorge, sagte er. Es gebe immer mehr Orte in Syrien, in denen Flaggen mit Abbildungen Ayatollah Ali Khameneis oder seines Vorgängers Ruhollah Khomeini hingen. Der Iran versuche durch schiitische Mission und Ansiedlung von Schiiten Einfluss zu gewinnen. Eine Darstellung, der Hiltermann widersprach: Zwar gebe es vereinzelt Versuche des Iran, Schiiten anzusiedeln, diese seien aber sehr begrenzt und nicht sehr erfolgreich: "Die Syrer wollen das nicht. Sie mögen die Russen, nicht die Iraner, weil sie mehrheitlich säkular sind."

Shavar blieb dennoch dabei: "Niemand steckt 16 Milliarden US-Dollar in ein Land", sagte er unter Verweis auf die angeblichen Kosten des iranischen Syrien-Einsatzes, "um dann einfach abzuziehen." Das schaffe riesiges Konfliktpotenzial mit Israel, das den Expansionsversuchen "massive Hindernisse" entgegenstellen müsse.

Viergeteiltes Syrien

Wladimir Saschin von der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau sah hingegen überhaupt die Gefahr einer Vierteilung des Landes. "Ein Syrien wie vor 2011 gibt es nicht mehr und wird es nicht mehr geben", sagte er, "es gibt auch keine gemeinsame Sicht der Akteure auf die syrische Zukunft." Er gehe daher davon aus, dass es künftig einen US-kurdisch kontrollierten Osten, einen von Assad gehaltenen Westen mit russischen Basen, eine Region um Idlib unter türkischer Kontrolle und einen vom Iran und dem Assad-Regime gemeinsam beaufsichtigten Rest geben werde. Das sei freilich nur seine eigene Meinung, kein Wunsch, betonte er dann, es sei auch nicht Sicht seiner Akademie, und schon gar nicht könne man aus seinen Äußerungen eine Idealvorstellung des Kreml ableiten.

Und die USA? Sie suchen noch nach einer "produktiven Rolle", sagte Ellen Laipson vom Stimson Center in Washington, D.C. Den Wunsch, sich völlig aus Syrien zurückzuziehen, habe Präsident Donald Trump offenbar nicht mehr. "Jetzt schauen sie durch die Brille der Iran-Politik nach Syrien. Sie werden bleiben. Allerdings nicht wegen der Antiterroreinsätze, sondern weil sie Druck für einen Rückzug des Iran ausüben wollen." Auf der Suche nach einer Lösung für die Spannungen werde sich das Weiße Haus aber auch weiterhin "den Verhandlungsergebnissen Russlands, der Türkei und der syrischen Regierung fügen". Wichtig sei vor allem die Sicherheit Israels. "Ich bin aber nicht sicher, ob die USA und Israel die gleichen Vorstellungen davon haben, wie sie in Syrien sichergestellt werden kann."

Immer das Schlimmste vermuten

Bis Syrien, "das einst stolz auf seinen Multikulturalismus war", wieder zu einem Zusammenleben zurückkehren könne, werde es jedenfalls lange dauern, vermutete Laipson. Das liege auch daran, nahm Nicola Pedde vom Global Studies Institute einen Ball auf, den ihm Iran-Experte Walter Posch zuvor zugespielt hatte, dass alle Akteure wenig über die wahre Motivation ihrer Gegner wüssten. Es gebe in vielen Fällen keine Gespräche, und man nehme daher immer das Schlimmste von den anderen an. "Dass rationale Gründe da oft von vornherein ausgeschlossen wurden, hat den Konflikt sicher verschärft", argumentierte er.

Und wie geht es jetzt weiter? US-Expertin Laipson glaubt jedenfalls nicht an eine tragende Rolle der USA beim syrischen Wiederaufbau. "Ich glaube, die US-Regierung hat darüber, wer da helfen soll, noch nicht nachgedacht – außer dass es nicht die USA sein werden." Man hoffe in Washington auf die syrische Diaspora oder auf Geld aus den Golfstaaten. Mit der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg, als die USA in gemeinsame Projekte der beiden Ex-Feinde Deutschland und Frankreich investierten, könne man die Lage jedenfalls nicht vergleichen. "Die Staaten in der Region sind wirtschaftlich überhaupt nicht voneinander abhängig. Sie handeln kaum miteinander." (Manuel Escher, 11.10.2018)