Das Schlimmste ist, die Sprache zu verlieren und damit auch das Schreiben und Fühlen und Lieben, sagt Anja Pia Eichinger. In den letzten fünf Jahren hatte sie zwei Operationen, Bestrahlungen und fünf verschiedene Chemo- und Antikörpertherapien.

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Anfang 2013, mit 42 Jahren, wurde ich aus einer der besten Phasen meines Lebens gerissen. Als Journalistin war ich in Salzburg erfolgreich, auch privat lief alles rund. Ein Jahr zuvor hatte ich geheiratet, mein Sohn war Anfang 20 und dabei, seine eigenen Wege zu finden und zu gehen. Die Verhärtung in meiner Achselhöhle nahm ich nicht ernst. Ich trainierte damals regelmäßig im Fitnesscenter und war überzeugt, es handle sich um einen übertrainierten Muskel.

Wenige Wochen zuvor hatte eine Freundin die Diagnose Brustkrebs erhalten. Ich dachte: "Vielleicht sollte ich auch einmal zur Mammografie gehen." Dass ich selbst krank sein könnte, erschien mir absurd. Nach dem Screening sah die Welt völlig anders aus: Verdacht auf Mamakarzinom, die Radiologin überwies mich umgehend ins Landeskrankenhaus.

Der Verdacht bestätigte sich. Ich war fassungslos. Verzweifelt. Weinte. Aber dieses Hadern mit dem Schicksal dauerte nicht lange. Ich stellte mir nie die Frage: "Warum ausgerechnet ich?" Denn die Gegenfrage konnte, nüchtern betrachtet, eigentlich nur lauten: "Warum ausgerechnet nicht ich?" Einer, der mir dabei half, einen pragmatischen Zugang zu meiner Krebserkrankung zu finden, war mein damaliger Radiologe im Spital.

Auf die Frage, ob er mir sagen könne, warum es die eine Frau treffe und die andere nicht, antwortete er: "Ich hatte schon so viele Frauen hier liegen und mich gefragt, warum die? Ich habe in all den Jahren keine Antwort darauf gefunden. Es ist wahrscheinlich einfach nur Zufall."

Hilfreiche Zahlen

Brustkrebs ist die häufigste Tumorerkrankung bei Frauen. In Österreich erkrankt jede 14. Frau zumindest einmal in ihrem Leben daran. Nur zehn Prozent aller Fälle sind auf eine erblich bedingte Mutation zurückzuführen. Es mag seltsam klingen, aber diese Zahlen haben mir mehr geholfen als viele gut gemeinte Ratschläge. Ich hatte in meinem Leben so viel Glück, nun hatte ich eben einmal Pech.

Am 14. Februar 2013 startete meine erste Chemotherapie. Insgesamt waren es sechs Behandlungszyklen, alle drei Wochen einer. Es ging mir gut. Mir war weder übel, noch fühlte ich mich schwach. Am verwirrendsten war eigentlich die Sorge der anderen, die sich oft mit traurigem Blick nach meinem Befinden erkundigten. Anfänglich sagte ich auf Nachfrage noch, dass es mir gut geht, irgendwann schwenkte ich dann um und antwortete: "Den Umständen entsprechend." Nicht weil ich mich so fühlte, sondern weil es den Vorstellungen und Erwartungen der anderen näher kam.

Krebs, das ist in den Köpfen vieler Menschen immer noch: speiben, leiden und schließlich sterben. Das ist zwar manchmal wirklich so, aber zumindest die Sterblichkeitsrate konnte in den vergangenen 30 Jahren um ein Drittel gesenkt werden. Bei Brustkrebs sind die Prognosen besonders günstig. Rund 80 Prozent der Patientinnen können so gut therapiert werden, dass sie danach krebsfrei sind. Trotzdem sagte ein Freund zu mir: "Wie kannst du nur so positiv bleiben, ich würde immer nur ans Sterben denken." Tatsächlich dachte ich nie ans Sterben, damals zumindest noch nicht.

Das war's jetzt

Nach dem dritten Chemo-Zyklus kamen sie, die Nebenwirkungen. Ich hatte mich also zu früh gefreut. Ich konnte und wollte nichts mehr essen, allein der Geruch von Gekochtem verursachte mir Übelkeit. Meine beste Freundin wurde genau in dieser Zeit schwanger. Ich freute mich wahnsinnig für sie. "Jetzt ist uns gemeinsam schlecht", sagte sie, und wir mussten beide gleichzeitig lachen und weinen.

Chemo für Chemo steigerte sich das Unwohlsein. Aber nicht nur das. Meine körperliche Kondition war weg, meine ganze Muskelkraft. Mein Mann musste mich zu kleinen Mahlzeiten und Spaziergängen zwingen. Alles war mühsam. Alles fiel schwer. Mitte Juni 2013 dann die Operation, Bestrahlung und noch ein halbes Jahr Antikörpertherapie, die bestimmte Merkmale an der Oberfläche der Tumorzellen erkennt und diese gezielt angreift.

Eine einzelne Krebszelle schaffte es, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. "In meinem Kopf wuchs eine Metastase, so groß wie ein Hühnerei, die unter anderem auf mein Sprachzentrum drückte", schreibt Eichinger.
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Am Ende dieses Jahres dachte ich: "Das war's jetzt mit dem Krebs." Die Haare wuchsen wieder, ich wollte mein altes Leben zurück. Ein paar Monate später begann ich zu arbeiten und merkte schnell: zu viel. Zu früh. Zu wenig Zeit, um nachzudenken, um in mich hineinzufühlen, um zu merken, was der Krebs mit mir gemacht hatte. Auch zu wenig Zeit, um dankbar zu sein. Meiner großen Liebe. Er hatte den Krebs nicht nur mit mir ertragen, sondern er war in jeder Situation an meiner Seite, hielt auch meine Schwächen aus, die ich nicht vielen Menschen zeigte.

Ich kündigte, gab mir die nötige Zeit, kam körperlich und seelisch wieder zu Kräften. Es ging mir gut, richtig gut. Anfang 2015 war ich bereit für den Neuanfang. Beruflich wechselte ich von der Journalistin zur Pressesprecherin, arbeitete mich schnell ein. Meine neue Rolle fiel mir aber schwerer, als ich erwartet hatte.

Da stimmt was nicht

Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, vertippte mich ständig, wusste plötzlich nicht mehr, was ich sagen wollte. Immer häufiger fielen mir Wörter nicht mehr ein. Beruflich wurde ich immer unzufriedener. All das schob ich zunächst auf meine Arbeitsbelastung. Als ich für das Schreiben einer kurzen E-Mail bis zu einer Stunde brauchte, wurde mir klar: "Es stimmt etwas nicht mit meinem Kopf!" Immer öfter sprach ich es aus, vor allem gegenüber meinem Mann. Er ist Arzt, und er war es auch, der mich schließlich zu einem Schädel-MRT überredete.

Die nächste Befundbesprechung war hart. Auch der Onkologe hatte nicht damit gerechnet: Eine einzelne Metastase saß, groß wie ein Hühnerei, in meinem vorderen Stirnbereich und drückte unter anderem auf mein Sprachzentrum. Der Brustkrebs hatte sich durch die Blut-Hirn-Schranke einen Weg in meinen Kopf gebahnt. Das war Ende August 2015 und der Moment, an dem ich zum ersten Mal richtig Angst bekam. Das durfte doch nicht sein. Nicht mein Kopf, mein Hirn. Sollten sie mir doch die Brüste abnehmen, aber doch nicht meine Fähigkeiten zu denken, zu sprechen, zu lesen, zu schreiben, womöglich zu fühlen und zu lieben.

Dann ging alles sehr schnell. In einer sechsstündigen Operation wurde mir die Metastase "rückstandlos", so hieß es, entfernt.

Teilweise Sprachlosigkeit

Das Schlimmste war, dass ich meine Sprache verloren hatte. Ich litt an einer Teilaphasie, einer teilweisen Sprachlosigkeit. Die Worte waren zwar in meinem Kopf, ich konnte sie aber nur ansatzweise laut aussprechen.

Als zwei Tage nach der OP eine Logopädin an mein Bett kam, war ich so begierig, all das, was sie mir auf bunten Kärtchen zeigte, zu benennen. Sie kam mit dem Auflegen der Tiere, Menschen, Farben oder Tätigkeiten kaum nach. Es war noch alles da: "Katze, Opa, blau, kochen." Ich konnte alles laut aussprechen. Ich musste weinen, so froh und erleichtert war ich. Ich hatte meine Sprache wieder.

Eine weitere neurologische Einschränkung: Mein rechter Arm war über längere Zeit praktisch unbrauchbar. Ich musste etwa lernen, mit der linken Hand zu essen und Zähne zu putzen, konnte meine Schuhbänder nicht alleine binden und niemandem die rechte Hand geben.

Er ist wieder da

Es folgten Physiotherapie, Ergotherapie, Logotherapie, Bestrahlung und Reha. Die Ganzkopfbestrahlung hatte furchtbare Nebenwirkungen, ich konnte etwa keinen Supermarkt mehr betreten. Das Durcheinander an Gerüchen verursachte eine derartige Übelkeit, dass ich hätte kotzen können. Manchmal passierte das auch. Die Haare gingen wieder aus, die rechte Hand tat immer noch nicht das, was ich wollte. Trotzdem begann mein Leben allmählich wieder zu laufen.

Mein Chef bot mir eine langsame Wiedereingliederung an. Diese Option kam für mich aber nicht infrage. Ich kündigte und begann, als freie Journalistin zu schreiben. Es fühlte sich gut an, sorgte für etwas Alltag und Normalität.

Der nächste Rückschlag

August 2016: Ein weiteres Jahr war vergangen. Wieder einmal standen Schädel-MRT und Befundbesprechung bevor. Inzwischen statt vierteljährlich nur noch alle sechs Monate. In der Onko-Ambulanz fragte die Ärztin: "Wie geht es Ihnen?" Ich kam gerade von einer Reise aus Hamburg zurück. "Sehr gut", antwortete ich und lachte sie an. Sie lachte nicht zurück: "Ich habe schlechte Nachrichten. Der Krebs ist wieder da. In Ihrem Kopf sind über 20 Metastasen." Einige millimetergroß, andere im unteren Zentimeterbereich.

Ich war verzweifelt. Warum nahm denn das kein Ende? Was bedeutete das jetzt? Diesmal konnten die Metastasen nicht operiert werden. Es waren zu viele. Wieder eine neue Chemotherapie. Sie schlug gut an. Die Dosis wurde gesteigert. Ich spürte kaum Nebenwirkungen, obwohl ich täglich jede Menge Tabletten schlucken musste. Mein Körper schien ein Phänomen zu sein, mein Immunsystem war stark.

Nach drei Monaten der neue Befund: Er ist gut, die Metastasen schrumpfen. Zweiter Befund: besser, deutlich weniger Metastasen. Dritter Befund: schlecht, die Tochtergeschwulste wachsen wieder.

Mitte Februar 2017, erneute Therapieumstellung. Wieder Infusionen. Tagesklinik. Stundenlanges Warten. Und dann schließlich ein Gespräch mit der Onkologin. Ich frage sie, wie das denn jetzt alles weitergeht? Wann die Therapie vorbei sei? Sie blickt mich irritiert an: "Sie haben eine chronische Krankheit, also eine, die voraussichtlich weder besser noch, so hoffen wir, schlechter wird." Ich bin fassungslos: "Das ist ja schrecklich!" Die Antwort: "Nein, das ist ein großes Glück."

Die letzte Therapie

Mitte August 2018 wird mein Schädel wieder durchleuchtet. Der Zustand in meinem Kopf stagniert. Es kommen keine neuen Metastasen hinzu, manchmal wächst die eine, mal schrumpft die andere. Inzwischen haben die Ärzte auch die Metastase, die mir eineinhalb Jahre zuvor herausoperiert wurde, genetisch analysiert. Die Mediziner erhoffen sich dadurch neue Erkenntnisse über meinen Krebs. Auf meine Frage, warum das nicht schon viel früher passiert sei, bekomme ich zur Antwort, dass die Analyse sehr teuer ist, und deswegen nur infrage kommt, wenn die Medizin kaum weitere Alternativen hat. Ich werde ganz still.

Gebe ich auf? Nein, das ist keine Option! Es gibt noch eine letzte, erfolgversprechende Therapie. Ein neues amerikanisches Medikament. Die Hirndurchlässigkeit soll besonders gut sein, zumindest gibt es schon eine abgeschlossene Phase-III-Studie. In Österreich steht der Wirkstoff kurz vor der Zulassung, in Salzburg bin ich die Erste, die diese Therapie bekommt. Mit einer Sondergenehmigung.

Seit fünf Wochen schlucke ich die Tabletten. Die Höchstdosis von sechs Stück pro Tag musste ich nach kurzer Zeit reduzieren, die Nebenwirkungen waren zu heftig. Starke Durchfälle und Hautausschläge. Inzwischen habe ich die Dosis wieder gesteigert. Die Nebenwirkungen bleiben unberechenbar. Manche Tage lassen sich gut aushalten, andere sind schlimm. Eines weiß ich mittlerweile genau: Selbst wenn es im Kampf gegen den Krebs nicht um Sieg oder Niederlage geht – kämpfen werde ich trotzdem. (Anja Pia Eichinger, 12.10.2018)