Diese Ferkel haben es hinter sich. Ob es ihnen lieber ist, bei der Kastration zu schlafen, ist umstritten.

Foto: imago/Raimund Müller

Nachdem er das Anästhetikum injiziert hat, legt Werner Hagmüller ein Ferkel nach dem anderen auf eine Styroporplatte, die im Innenhof des Instituts für biologische Landwirtschaft in Wels am Boden liegt. Manche plumpsen direkt danach um, andere tapsen noch über den Hof, vorbei am Misthaufen, der in der kühlen Vormittagsluft dampft. "Das kommt nicht weit", sagt ein Mann in Latzhose.

In weißen Plastikschaffeln stehen 21 Ferkel für Hagmüller bereit. Er prüft, wie gut sie während ihrer Kastration schlafen – je nachdem, welche Betäubungsmittel er ihnen gibt. Tier für Tier wird gewogen und bekommt eine Spritze. Noch bevor das erste Ferkel auf der Waage sitzt, quietschen und kreischen alle.

Deutschland verschiebt Betäubungsgesetz

Diese 21 Ferkel werden betäubt, weil Schweinehalter vor einem Dilemma stehen: Wie können sie ihre Tiere am besten so kastrieren, dass die Eingriffe leistbar und das Gewissen des Konsumenten befriedigt ist? Rund um die Betäubung während der Kastration ist eine emotionalisierte Debatte entbrannt, in der man noch immer nach der richtigen Lösung sucht.

Letzte Woche hat Deutschland die Betäubungspflicht auf unbestimmte Zeit verschoben. Tierschützer laufen Sturm. Über eine Million Menschen aus der ganzen EU hätten laut der Tierschutzorganisation Vier Pfoten gegen das Leid der Schweine unterschrieben. Mit der Kampagne "End Pig Pain" fordern die Unterstützer Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) auf, den "tierschutzrelevanten Eingriff, der große Schmerzen verursacht und leider noch immer gesetzlich erlaubt ist", zu verbieten.

Nur große Ferkel schlafen

Tatsächlich müssen Schweine nur betäubt werden, wenn sie über sieben Tage alt sind. Warum genau sieben Tage? Man ging davon aus, dass junge Ferkel weniger spüren – kleine Hoden, kleiner Eingriff, kleiner Schmerz. Dazu gibt die Regelung dem Bauern die Möglichkeit, junge Ferkel selbst kostengünstig zu kastrieren, denn dann braucht er keinen Tierarzt, der betäubt. Wohl aber wirksame Schmerzmittel, die sieht das Gesetz in jedem Fall vor. Die erste dieser Varianten kostet bis zu zehn Euro pro Ferkel. Die zweite bis zu 50 Cent.

Wäre der Konsument bereit, die höheren Kosten zu tragen? Der Biokonsument zumindest ist es: Die Bioschweineschiene betäubt seit 1. Juli 2018 Ferkel, bevor sie sie kastriert. Möglich macht das die Initiative des Lebensmitteleinzelhandels, er zahlt den Bauern dafür einen Aufschlag. Doch eine Betäubungspflicht für alle männlichen Ferkel scheitert an der Realität. Bei zwei Millionen Ferkeln, die österreichweit kastriert werden, käme es zum Tierarztengpass, vielleicht auch zum Medikamentenengpass, so Hagmüller.

Das Patschen der Hoden

Die 21 Ferkel liegen in Reih und Glied auf den Styroporplatten. Die obere Reihe schaut nach links, die untere nach rechts. Nur eines stupst mit seiner Nase noch ein paarmal gegen seinen Nachbarn. Ein Mann in Latzhose nimmt ein Schwein nach dem anderen an den Hinterbeinen, hält es mit dem Bauch Richtung Himmel und dem Hintern Richtung Hagmüller.

Der macht zwei schnelle Schnitte, holt den rechten Hoden aus der Wunde, spannt ihn und schneidet durch den Samenleiter. Links dasselbe Prozedere, schon kommt das nächste Schwein. Hagmüller legt das Skalpell nicht aus der Hand, bis alle Ferkel kastriert sind. In schnellem Takt platschen Hoden auf den Asphaltboden.

Unkastrierte werden Stinker

Die Ferkel müssen heute ihre Hoden verlieren, weil sie sonst womöglich zu "Stinkern" werden – sie können den Ebergeruch entwickeln, der beim Erhitzen des Fleisches frei wird. So wie nicht jeder Eber stinken muss, kann nicht jeder Mensch den Gestank wahrnehmen. "Wissen Sie, ob Sie's riechen?", fragt Hagmüller Besucher und gibt ihnen ein kleines Fläschchen in die Hand. Manche riechen Wald, andere sprechen von einem "Beißen in der Nase, das zwei Wochen anhält".

Eine halbe Stunde später erwachen die ersten Schweine in der Ferkelbox aus ihrer Narkose. Bald werden sie zu ihrer Mutter taumeln können. Ob eine Narkose schonender ist für das Schwein als eine Schmerzmedikation? "Ich weiß es nicht", sagt Werner Hagmüller, als er mit roter Latzhose, gelben Gummistiefeln und roten Blutflecken darauf neben ihnen im Stall steht. "Bio macht's jetzt mal. Wir versuchen währenddessen, die Methode zu verbessern." (Gabriele Scherndl, 12.10.2018)