Wandelbar und schwer zu berechnen: Conchita präsentiert ihr neues Album gemeinsam mit den Wiener Symphonikern am 20. Oktober im Konzerthaus.


Foto: Markus Morianz / TNRB Conchita Wurst

Nach ihrem Festwochenkonzert im Vorjahr veröffentlicht Thomas Neuwirth alias Conchita nun gemeinsam mit den Wiener Symphonikern das Studioalbum From Vienna with Love. Großes Orchester trifft auf großes Pathos und Divengesang. Neben dem obligaten Hit Rise like a Phoenix hört man darauf etwa auch The Sound of Music oder Hildegard Knefs wunderbares Lied Für mich soll's rote Rosen regnen.

STANDARD: Conchita, hatten Sie nachts schon einmal den Albtraum, dass Sie auf der Bühne stehen und während "Rise like a Phoenix" ein komplettes Textblackout haben?

Conchita: Nicht nur, dass ich das geträumt habe, es ist mir auch schon passiert. Wenn man ein Lied so oft singt, dass es automatisiert ist, gibt es Momente, die nicht dem Schema entsprechen. Der Klavierspieler spielt unerwartet ein Füllsel, wo keines hingehört, und du bist draußen.

STANDARD: Man wird nach seiner Telefonnummer gefragt und ist blank.

Conchita: Schrecklich. Barbra Streisand ist wegen so eines Texthängers jahrzehntelang nicht mehr auf die Bühne gegangen. Ich verstehe das total. Man kommt aus dieser Schleife nicht mehr raus. Mein Publikum ist Gott sei Dank gnädig, wenn ich sage: "Entschuldigung, können wir kurz von vorn anfangen?!"

STANDARD: Das Publikum ist gnädig, aber es gibt immer noch Lampenfieber?

Conchita: Kurz vor einem Auftritt, aber wenn man dann singt und die Emotionen kommen, ist man davon befreit. Der Druck ist natürlich immer da.

STANDARD: Früher hat man backstage Drogen genommen, heute macht man Atemübungen. Wie bekämpfen Sie das Lampenfieber?

Conchita: Haha. Ich habe angefangen, "geführte Meditation" zu machen. Das geht manchmal gut, manchmal gar nicht. Einsingen ist wichtig – und der Sache dienlich. Das holt mich runter, zumindest bis kurz vor einem Auftritt. I'm a mess!

STANDARD: Das Teleprompteralter ist also noch nicht erreicht?

Conchita: Jein. Ich habe einmal mit Teleprompter gearbeitet, das war in London mit dem BBC Concert Orchestra. Da ist es wohl Usus, dass die Künstler mit Teleprompter singen. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass das nicht angenehm ist. Diese Technik bietet eine Freiheit in der Interpretation, weil man sich nicht auf den Text konzentrieren muss. Die Gefahr besteht natürlich darin, dass man es einfach runterliest. Es bringt Komfort, aber man büßt Ehrlichkeit und Emotion ein. Dass ich Probleme habe, mir Texte zu merken, ist schon ein Thema. Wenn es passiert: Nutze deine Stimme und mache etwas anderes.

STANDARD: Apropos Stimme, wie wählen Sie Ihre Lieder aus? Ich nehme an, es wird von Ihnen kein Rockalbum geben.

Conchita: Vielleicht sollte ich mit dem Rauchen anfangen. Nein, bei der Songauswahl speziell auch auf dem neuen Album wurde mir großes Vertrauen entgegengebracht. Die Lieder darauf sind jene, die ich singen wollte. Gerade bei dieser Produktion habe ich verstanden, warum Barbra Streisand ein Weltstar ist. Einige Lieder sind vom Gesang her anspruchsvoller, als ich dachte. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Summen so schwierig ist! Es ist in Arbeit ausgeartet.

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STANDARD: Wie gestaltete sich die Produktionsarbeit? Ich nehme an, Orchesteraufnahmen sind zeitlich aufwendig.

Conchita: Es war keine Liveproduktion mit allen Beteiligten in einem Raum. Ich brauche da etwas länger, ich bin kein One-Take-Wonder. Die Symphoniker gaben mir im Studio sozusagen ein Privatkonzert, und ich durfte mich danach ins gemachte Bett legen und meine Sachen ausprobieren, ohne den ganzen Apparat aufzuhalten.

STANDARD: Whitney Houston nahm bis zu 48 Gesangsspuren auf, und dann folgte auf dem Mischpult Bastelarbeit im Sekundenbereich.

Conchita: Bei mir gibt es bestimmte Phrasen, die übe ich zu Tode, weil man energetisch merkt, dass eine Zeile mit der anderen oft nichts zu tun hat. Wir reden nicht über Intonation, aber das Gefühl ist oft nicht gleich da. Versuchen wir doch, dies und das anders einzufärben. Wenn das einmal in einem Durchgang klappt, ist man natürlich stolz. Hildegard Knefs Für mich soll's rote Rosen regnen war eine echte Herausforderung. Ich bin einfach nicht so tief hinuntergekommen. Auch vom Emotionalen her ging es darum, weg von der Technik zu kommen und einfach aus dem Herzen zu singen. Wenn ich dann meine eigenen Sachen freiwillig hören will, weiß ich, dass ich damit zufrieden bin. Das bin ich, das bin ich auch, das troff mir aus dem Herzen! Natürlich gibt es Stellen auf dem Album, wo ich mir denke: Hearst! Jetzt ist der Anspruch da, das live besser zu machen.

STANDARD: Wenn man mit einem Orchester wie den Wiener Symphonikern arbeitet, ist man dann beim Reinkommen dazu angehalten, alle Musiker persönlich zu grüßen, oder wie muss man sich das vorstellen?

Conchita: Die erste Geige auf seiner Seite zu haben ist nicht von Nachteil. Wenn einen der Konzertmeister sympathisch findet, sagen alle anderen: Okay, wir mögen ihn auch, alles klar! Mir ist bewusst, dass die sich denken: Ah, das Popküken! Tun wir halt mal ein bisschen probieren, gell?! Diese Instrumente zu lernen dauert ja auch Jahre. Man braucht unendlich viel Talent und Disziplin, das stimmt mich ehrfürchtig. Ich denke aber, alle haben verstanden, dass ich versuche mitzuhalten. Das schafft gegenseitigen Respekt. In der Popmusik wird bezüglich Fehlern mehr verziehen.

STANDARD: Haben Sie eine Sucht nach der Bühne? Nach einer Tournee kommt oft der große Einbruch. Man ist depressiv und fängt an, Geschirrtücher nach der Farbe zu sortieren.

Conchita: Definitiv. Wir Künstler sind von Selbstzweifeln zerfressen und wollen von allen geliebt werden. Das ist auch der Zauber. Wir stehen auf der Bühne und wollen dich kriegen. Liebt mich! Danach geht man ins Hotelzimmer und ist vollkommen allein. Derzeit ist das allerdings gut tragbar. Ich bin nicht Lady Gaga. Mein Rezept sind Freunde und Familie. Sie zwingen mich, ich selbst zu sein. (Christian Schachinger, 12.10.2018)