Gernot Blümel drängte am Donnerstag in London auf Lösungsvorschläge zu den noch offenen Brexit-Fragen.

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Showtime war einmal – die Crunchtime ist angebrochen. Nach den Parteitagsspektakeln in den vergangenen Wochen geht es dieser Tage in London ans Eingemachte. Die Briten müssen endlich übereinkommen, wie sie den Brexit genau anlegen wollen. Die Noch-EU-Partner warten dringend auf eine gemeinsame, haltbare Position der britischen Regierung, von der aus ab 29. März 2019 ein für beide Parteien gangbarer, getrennter Weg beschritten werden kann.

Quasi wie gerufen kam also Europaminister Gernot Blümel (ÖVP) am Donnerstag nach London, um im Namen der österreichischen Ratspräsidentschaft die roten Linien der EU in Erinnerung zu rufen und auf Nägel mit Köpfen zu drängen. Bis zum Gipfel kommende Woche in Brüssel muss etwas Substanzielles vorliegen, über das Staats- und Regierungschefs beraten können.

"Wir wollen ein gutes gemeinsames Ergebnis der EU-28 erreichen." Von den EU-27 werde es Entgegenkommen geben. "Was allerdings nicht geht, ist, dass die vier Grundfreiheiten der Union auseinandergedröselt werden." Das besprach er Donnerstag auch mit Außenminister Jeremy Hunt. Es sei ein konstruktives Treffen gewesen, sagte Blümel. Der Brite wollte sich nicht äußern, um die Gespräche nicht zu gefährden.

Sondergipfel nur bei "ausreichendem Fortschritt"

Blümel bekräftigte, dass der Brexit-Sondergipfel im November wohl nur stattfindet, "wenn bei den Verhandlungen, die momentan laufen, ausreichender Fortschritt erzielt wird und die Staats- und Regierungschefs das nächste Woche auch so sehen und der Meinung sind, dass man eventuell bis November die ganze Sache finalisieren könnte".

Es gebe eine "Dynamik, die hoffentlich dazu führt, dass wir zu einem Kompromiss kommen werden". Nach außen hin werde niemand sagen, wo er bereit wäre nachzugeben und wo nicht, "aber genau deswegen gibt es diese Tunnelverhandlungen, wie man sie auch nennt, wo sehr wenig nach außen dringt", und das sei auch gut so.

Bereits viel ausgemacht

Mit dem Prozess befasste Personen sagen dem STANDARD, dass jenseits des üblichen Theaterdonners bereits viel ausgemacht sei. Laut EU-Chefverhandler Michel Barnier sind schon 85 Prozent des Austritts in trockenen Tüchern. Im Wesentlichen sind noch vier Punkte offen: zwei harte Nüsse und zwei leichtere Übungen.

· Nordirland: Tritt Großbritannien aus dem gemeinsamen Binnenmarkt aus, endet die Zollunion an der irisch-nordirischen Grenze. Kontrollen müssten aufgezogen werden, der mühsam erreichte Frieden in Nordirland wäre in Gefahr. Deshalb wird derzeit über eine temporäre Zollunion zwischen Briten und EU verhandelt, die ein hartes Grenzregime unnötig machen würde. Das Problem dabei: Eine Zollunion allerdings ist keine Freihandelszone. Die Kompetenz, Handelsabkommen auszuhandeln, läge in Brüssel. Das ist für die Briten ein großes Hindernis und für die EU eine rote Linie. Gestritten wird auch über die Zeit nach der vorübergehenden Zollunion, für die es eine Auffanglösung ("backstop") braucht.

· Gerichtsbarkeit: Die Regierung in London argumentiert, dass Großbritannien nicht der Rechtssprechung eines ausländischen Gerichtshofes unterzogen sein dürfe. Gibt es eine Zollunion, dann wäre das zumindest in Zollfragen der Fall. Experten glauben aber, dass es Möglichkeiten gibt, das Problem zu lösen – oder zumindest die Sachlage so zu verschleiern, dass auf der Insel keiner merkt, dass der EuGH ein wesentliches Wörtchen mitzureden hat.

· Gibraltar: Der Status der britischen Exklave in Spanien gehört zu den leichteren Übungen. Zwischen Madrid und London soll es bereits weitgehend Einigkeit geben – bis hin zum Tabakregime.

· Zypern: Für die britischen Militärbasen auf der Mittelmeerinsel ist ein neuer Status nötig. Auch das ist laut Experten nahezu gelöst. Barnier will die Verhandlungen dem Vernehmen nach bis auf die Punkte eins und zwei abschließen und den Staats- und Regierungschefs so wenig wie möglich Restmaterie übriglassen, auch damit das Paket nicht wieder aufgeschnürt und zerpflückt werden kann.

Wird sich der EU-Gipfel Mitte November einig, stellt sich die Frage, ob Premierministerin Theresa May das Ergebnis durch das Parlament bekommt. Zwischen 40 und 80 Hinterbänkler ihrer eigenen Partei, angeführt von Ex-Außenminister Boris Johnson, sollen gegen sie stimmen wollen. Im Gegenzug könnten Labour-Abgeordnete entgegen dem Beschluss ihrer Partei mit May stimmen, um das Schlimmste von Großbritannien abzuwenden.

Deshalb beschwört May gerne mit ihrem Namen ein Untergangsszenario herauf: "May-deal or no deal". Will heißen: entweder mein Deal oder kein Deal. (Christoph Prantner aus London, red, 11.10.2018)