Das französische Enfant terrible Frédéric Beigbeder: "Ich wollte dem Terroristen sagen, er solle gut zielen, aufs Herz zum Beispiel."

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Frédéric Beigbeder hat für den Termin das Flore ausgewählt, das Café der Pariser Schickeria und Intelligenzia. Vor Ort fällt seine erfahrene Platzwahl auf ein Tischchen gleich neben dem Eingang. Damit alle den berühmten Autor und Pariser Dandy sehen? Nein, weil dies den Blick auf die Süßigkeiten unter dem Glasdeckel ermöglicht. Beigbeder wählt ein Eclair, eine Schokoladepatisserie mit Cremefüllung und Glasur. Dann ist er bereit für das Frage-Antwort-Spiel.

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Das Health Nucleus in San Diego kostet 12.000 Dollar am Tag, die Injektion genetisch modifizierter Zellen eine Million.
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Aber zuerst noch ein paar biografische Angaben: Frédéric Beigbeder, 53 Jahre alt, stammt aus der südwestfranzösischen Region Béarn und betätigt sich in Paris auch als Schauspieler und Regisseur. Nach der Publikation seines ersten Romans arbeitete er bei der Werbeagentur Young & Rubicam. Die entließ ihn fristlos, als er in seinem berühmten Roman 39,90 (auf Deutsch bei Piper) aus dem zynischen Innenleben der Werbebranche berichtete. Im Jahr 2009 erhielt er in Paris für sein ambitioniertestes Buch Ein französischer Roman den Renaudot-Preis. Aus der Haftzelle, in der er wegen Kokainkonsums einsaß, beschreibt er seine von der Scheidung seiner Eltern und von seinem älteren Bruder Charles bestimmte Kindheit. Andere Essays und Sachbücher tragen Titel wie Normal bleiben in Saint-Tropez oder Barbie.

In seinem neuen Roman Endlos leben (Piper-Verlag) widmet sich Beigbeder Themen wie Lebensverlängerung, Biogenetik und künstlicher Intelligenz. Die Reisereportage, die in Forschungslabors und Privatkliniken in Österreich, der Schweiz, Israel und den USA führt, wird zu einem fulminanten Bewusstwerdungsprozess in Bezug auf unsere Zukunft.

STANDARD: Herr Beigbeder, es freut uns, dass Sie "gute Gene" haben, wie Ihnen ein Arzt in Ihrem neuen Buch attestiert. Damit können Sie ein hohes Alter von 120 Jahren erreichen ...

Beigbeder: Danke, aber leider genügt das Erbgut nicht für ein langes Leben. Wichtig sind Faktoren wie Krankheit, Umweltverschmutzung, Ernährung, Sport. Für mein Buch habe ich selbst einen Gesundheits-Check-up gemacht. Die Resultate waren ziemlich gut, nur meine Leber ist etwas fett. Kein Wunder, nach all dem, was da schon durchgesickert ist.

STANDARD: Wenn Sie Ihre Exzesse etwas eindämmen, könnten Sie das Jahr 2050 erreichen. "Dann sollte das Problem des Todes gelöst sein", erklärt ein Bioforscher in Ihrem neuen Buch.

Beigbeder: Zum Glück muss man nicht alles beweisen können, was die Zukunft betrifft (lacht). Effektiv behaupten viele Nano-, Bio- und Genwissenschafter, das Jahr 2050 werde ein Schlüsseldatum, mit Fortschritten für die Langlebigkeit und die Verbesserung des menschlichen Körpers.

STANDARD: Alles eine Frage der Technik?

Beigbeder: Das denkt der Hauptakteur meines Buches zuerst. Er glaubt nicht an Gott, der Tod ist für ihn tatsächlich ein Problem mit einer technischen Lösung: Wenn man die Krankheiten in den Griff kriegte, könne man auch die Todesfrage regeln, vor der wir eine Heidenangst haben. Ich wollte mich dieser Frage nicht von der philosophischen oder gar metaphysischen Seite annähern, sondern von der technisch-medizinischen Seite.

STANDARD: Haben Sie Ihre Stammzellen zwecks späterer Wiederverwendung eingefroren?

Beigbeder: Das kann ich Ihnen nicht sagen, denn das ist in Frankreich strikt verboten. Und zudem sehr teuer. Man entnimmt der Haut am Arm Stammzellen und bewahrt sie bei unter minus 180 Grad Celsius auf, bis man sie eines Tages zur Zellschaffung braucht. Ich habe auch meine DNA sequenziert; in einer Detox-Klinik habe ich mein Blut per Laserstrahl reinigen lassen. Auf die Eingabe von "jungem Blut", wie es in den USA möglich ist, habe ich hingegen verzichtet, da die Herkunft des Blutes nicht klar ist. Auch so fühlte ich mich bei meinen Recherchen wie das menschliche Versuchskaninchen in Fear and Loathing in Las Vegas.

STANDARD: Den Blutlaser ließen Sie sich in der österreichischen Nobelklinik in Maria Wörth in die Adern stecken.

Beigbeder: Das leuchtete schön bunt unter der Haut, und nachher fühlt man sich ziemlich aufgekratzt. Die Österreicher und die Schweizer sind bei diesen Verjüngungskuren sehr weit.

STANDARD: Sind letztlich all diese Bestrebungen durch die Angst vor dem Tod motiviert?

Beigbeder: Ich habe höllische Angst vor dem Krankwerden und den Schmerzen. Heute etwas weniger vor dem Tod. Vielleicht auch, weil ich heute als Vater auf gewisse Weise bereits unsterblich bin – nämlich durch die Weitergabe des Lebens. Wenn man Leben schenkt, kann man den Tod besiegen.

STANDARD: Schon in Ihrem "französischen Roman" haben Sie geschrieben, seitdem Sie Vater seien, wollten Sie nicht mehr jung sterben.

Beigbeder: Vorher war ich fasziniert vom Gedanken, jung zu sterben. Die romantische Idee habe ich in der Tat aufgegeben, seitdem ich zwei Mädchen und einen Jungen habe. Meine siebenjährige Tochter fragte mich einmal, ob es stimme, dass ich sterben werde wie die Pflanzen und die Tiere. Ich konnte das nicht zugeben. Dafür habe ich sie auf meine Reise durch die medizinischen Fortschritte mitgenommen.

STANDARD: Die radikalsten Verfechter der Lebensverlängerung, etwa die Molekularbiologen André Choulika und George Church, scheinen Sie auf diesem Trip am meisten fasziniert zu haben.

Beigbeder: Ja, schon. Aber das Gute an einem Roman ist, dass er sich entwickelt. Am Anfang ist die Hauptfigur hin und weg von der Idee der Körperverjüngung; nach den dreijährigen Recherchen merkt sie aber, dass die Unsterblichkeit ihren Preis hat – den Verzicht auf die Menschlichkeit, wie bei Goethes Faust.

STANDARD: Was wollen Sie uns eigentlich mit Ihrem neuen Buch sagen?

Beigbeder: Zuerst wollte ich die Geschichte nur mit objektiven Informationen über Gentherapien, DNA-Mutation, Stammzellen, 3D-Organe, Bluteinpritzung oder Hirn-Download garnieren. Während der Recherchen machten mir diese Fortschritte und ihre Forscher aber zunehmend Angst. Eine Erkenntnis drängte sich auf: Wenn der Mensch länger leben will, muss er sich in ein Gemisch aus Mutant und Maschine verwandeln. Das heißt, wir entfernen uns vom Homo sapiens. Der hat zwar viel Schlimmes verbrochen – nicht zuletzt mit der Idee, eine Art Übermensch zu schaffen -, aber letztlich ist er doch eher sympathisch.

STANDARD: Wird das lange Leben nicht einer Elite reserviert sein, die sich diese Eingriffe überhaupt leisten kann, wie etwa in der Klinik in Maria Wörth?

Beigbeder: Wobei man dort mit tausend Euro pro Tag noch gut wegkommt. Das Health Nucleus in San Diego kostet 12.000 Dollar am Tag, die Injektion genetisch modifizierter Zellen eine Million. Auf uns kommt eine Medizin der zwei Geschwindigkeiten zu. Die reichen Kalifornier werden bald doppelt so lange leben wie andere Erdenbürger.

STANDARD: Die äußeren Körpereingriffe – Lippen, Wangenknochen, Haut – demokratisieren sich hingegen.

Beigbeder: Dabei geht es allerdings um ein Schönheitsideal, weniger um die Angst vor dem Tod, das heißt vor dem Verlust der Zeit.

STANDARD: In Ihrem Buch stellt kurioserweise der Roboter Pepper eine Gretchenfrage: Ist Unsterblichkeit überhaupt wünschbar?

Beigbeder: Pepper stellt in meinem Buch die intelligentesten Fragen. Er ist ein bisschen wie R2D2 in Star Wars, ich mochte ihn sehr. Allerdings entwickelte er sich während des Schreibens. Er wurde sexuell besessen, ein wenig fascho. So ist künstliche Intelligenz: Die Roboter nehmen rasch die Eigenheiten des Umfeldes an, je nachdem, welche Fragen ihnen die Leute stellen. In der Hand von Übeltätern wird die Maschine schnell verrückt.

STANDARD: Und die Unsterblichkeit ...?

Beigbeder: (Schaut an die Decke des lärmigen Cafés, überlegt lange.) Nein, nicht die Unsterblichkeit ist erstrebenswert, sondern ein längeres Leben. Unter Umständen. Wenn man mit 122 Jahren in einem sehr verbrauchten Körper vegetiert, nein danke. Mit meinem jetzigen Körper wäre ich eher einverstanden, sehr lange zu leben. Epikur sagte zwar, das Gute am Tod sei, dass er uns verpflichte, das Leben zu genießen. Aber ich würde gern zwanzig Jahre länger leben. Mit 80 Jahren kann man das Leben genießen! Mehr lesen, mehr Filme schauen, Sex mit möglichst vielen Leuten ...

STANDARD: Oder in Zukunft mit Robotern? Pepper ist doch kess.

Beigbeder: Pepper ist in vielen Altersheimen ein Star. Er wurde auf Emotionen, Empathie und menschliche Regungen programmiert, er kann scherzen, macht Komplimente und sagt Dinge wie "Ich will nicht ohne dich leben". Wenn es Liebe mit einer Software gibt, wie Spike Jonze im Film Her zeigte, oder wenn sich Leute auf Facebook ineinander verlieben, wenn Liebe also von Körper und Sex getrennt ist und über das Hirn abläuft, dann wird auch Roboterliebe möglich sein.

STANDARD: Etwas ernsthafter: Beeinflusst die künstliche Intelligenz unsere Sexualität?

Beigbeder: Ich denke schon. Man verfolge nur die monströse Entwicklung der sozialen Medien mit Apps wie Tinder, mit denen man sexuell verfügbare Partner geolokalisieren kann. Vor zwanzig Jahren musste man eine Frau noch mühselig in einer Bar oder einem Café ansprechen. Heute lässt man den Algorithmus suchen. Wenn ich daran denke, dass in Paris in diesem Jahr eine Bar mit lebensechten Puppen in Latex, sogenannten Love Dolls, eröffnet wurde ...

STANDARD: ... dann denken Sie nostalgisch an die guten alten Zeiten zurück?

Beigbeder: Ich gehöre jedenfalls zu den Widerstandskämpfern gegen die sozialen Medien und gegen die Menschmaschinen. Wie es scheint, werde ich mit zunehmendem Alter reaktionär, zu einem alten Depp, der die Welt nicht mehr versteht.

STANDARD: Kommt davon: Wie Sie in Ihrem Buch schreiben, wird man mit 30 Jahren zu Hochzeiten, mit 50 nur noch zu Beerdigungen eingeladen.

Beigbeder: Es ist noch schlimmer: Ich meide das soziale Internet, ich mache keine Selfies, dafür lese ich Bücher und Zeitungen auf Papier, schaue Filme im Kino. Wie der letzte Dinosaurier!

STANDARD: Mir fällt auf, dass Sie zur Vorstellung Ihres neuen Buches zahlreiche Lesungen im deutschsprachigen Raum abhalten.

Beigbeder: Ja, ich bin sehr gespannt darauf, wie Endlos leben in den deutschsprachigen Landen ankommt. Nicht nur Nietzsches Übermensch, sondern auch das Interesse für die natürliche Gesundheit und ein langes Leben sind etwas sehr Deutsches. Das gilt auch für die Lust, seinen Körper und sein Schicksal zu kontrollieren, zu perfektionieren.

STANDARD: Auch in der Klinik in Maria Wörth?

Beigbeder: Ja, diese Klinik verspricht ja fast, dass man wirklich jünger wird. Das grenzt an Vampirismus, das Trinken jungen Opferblutes. Noch mehr im Labor Ambrosia im kalifornischen Monterey: Dort legen Sie sich vier Stunden aufs Bett und erhalten dabei das Blut von 19- bis 25-Jährigen eingespritzt. Was ergäbe wohl die Mischung aus einem alten Zombie wie mir und einem Jungen, der flott auf der Straße herumkurvt, bis man ihm das Blut abzapft?

STANDARD: Vielleicht die Illusion des ewigen Lebens. Dem richtigen Leben beziehungsweise Tod sind Sie in diesem Jahr im Pariser Hotel Ritz begegnet ...

Beigbeder: Das kann man so sagen. Ich hatte gerade mein Buchmanuskript von Endlos leben abgegeben und saß an der Hotelbar, als gleich daneben eine Schießerei losging. Wir flüchteten uns in den Keller und dachten natürlich an einen Terroranschlag. Später stellte sich heraus, dass es nur ein großer Raubüberfall war. Aber währenddessen hatten wir Angst, dass unser letztes Stündchen geschlagen habe. Ich dachte an meine Kinder. Was mich betrifft, hatte ich nur Angst vor dem Schmerz, wenn der Terrorist schlecht zielt. Beim Bataclan-Attentat gab es Opfer, die später bis zu 17 Operationen über sich ergehen lassen mussten.

STANDARD: Wenigstens überlebten sie.

Beigbeder: Ich wollte dem Terroristen sagen, er solle gut zielen, aufs Herz zum Beispiel.

STANDARD: Wird man solche Tote vielleicht eines Tages wieder ins Leben zurückholen können?

Beigbeder: Kann gut sein. Eine blitzschnelle Herztransplantation auf der Speicherbasis des Bioprints und Ihres 3D-Organs, dazu eine Hirnanimation – ja, das kann funktionieren. Aber nicht vor dem Jahr 2030 oder 2035.

STANDARD: Mir macht in Ihrem Buch mehr Angst, dass es möglich werden soll, Gedanken zu lesen. George Orwell lässt grüßen.

Beigbeder: Wir nähern uns dieser Möglichkeit. Bis die Google-Brillen funktionieren, ist es eine Frage der Zeit. Dann wird eine Kamera Ihr Gesicht erkennen und in Sekundenschnelle alle Daten über Sie eingeben. Zum Beispiel: Gestern waren Sie in der Disco, jetzt geht er mit seinem Ticket ins Museum. Die nächste Etappe wird sein, Mails per Gedanken zu versenden. Es braucht nur noch eine gute Wi-Fi-Verbindung. (Stefan Brändle, 14.10.2018)