Die Romanows standen auf der Kippe. Die Produktion der Anthologieserie über Nachfahren der 1918 ermordeten Zarenfamilie war 2017 mitten im Gange, als die Nachricht hereinplatzte, wonach der Schöpfer der Serie, Matthew Weiner, in den Sog #MeToo-Debatte und unter Verdacht geraten war, sich Frauen gegenüber unangemessen verhalten zu haben. Ausgerechnet

Ausgerechnet jener Matthew Weiner, der mit Mad Men zwischen 2007 und 2015 Maßstäbe im Serienschaffen setzte, indem er die Welt der Werber in den 1950er- und 60er-Jahren als gelackte Machopartie zeigte, und in der Frauen um ihre Stimme kämpften und es in der Zeit des Wandelssich Gehör verschafften. Feministisches Gespür steckte da drin, eine hohe Erzählkunst und ein sorgfältiger Blick auf jedes noch so kleinste Detail in Licht, Ton, Farben und Ausstattung. Das ist bis heute im Fernsehen einzigartig und fantastisch.

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Aber was hilft’s. Kater Gordon, Mitglied der Autorengemeinschaft von "Mad Men" hatte sich von Weiner in Worten sexuell angegriffen gefühlt. Weiner bestreitet die Vorwürfe, sagt, er könne sich nicht erinnern. Gordon spricht, die Übergriffe seien keine Einzelfälle gewesen. Amazon versprach, die Vorwürfe zu prüfen – und ließ Weiner weitermachen.

Seit Freitag ist das Produkt dieser turbulenten Zeit abrufbar, und mit "The Romanoffs" ist Weiner erneut ein bildschönes, wenn auch kein epochales Werk gelungen über Menschen, die in verschiedenen Gesellschaften leben und nur der Glaube an dieselbe Herkunft verbindet, nämlich Romanow-Abkömmlinge zu sein.

Präzise Kamera wie bei "Mad Men"

Es geht unter anderem um raffinierte Pläne, die scheitern ("The Violet Hour" mit Marthe Keller, Ines Melab, Louise Bourgoin), Ehe und Auswege ("The Royal We" mit Corey Stoll, Janet Montgomery), Auffassungsunterschiede am Set (""House of Special Purpose" mit Christina Hendricks, Isabelle Huppert ab 19. Oktober) und verhängnisvolle Lügen ("Expectation" mit Amanda Peet, John Slattery, ab 26. Oktober). Es folgen "Bright and High Circle" am 2. November mit Diane Lane, "Panorama" am 9. November, "End of the Line" und die Woche darauf "The One That Holds Everything".

Corey Stoll und Janet Montgomery in "The Royal We".
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Im Erzählungstil hat sich der Meister selbst beschränkt. Jede Folge ist abgeschlossen und dauert 90 Minuten. Er habe ans Publikum gedacht, sagte Weiner. "Wäre es nicht nett, etwas zu haben, das einmal pro Woche stattfindet, das du nicht aufholen und das du egal in welcher Reihenfolge schauen kannst?" Ein Angebot, vom Binge-watchen erschöpften Zuschauern wieder Einzelstücke zu servieren.

1965 in Baltimore geboren und in Los Angeles aufgewachsen, studierte Weiner Literatur, Philosophie und Geschichte. 2000 fiel ihm die Geschichte von "Mad Men" ein. Fernsehen war damals wenig innovativ, Weiner beschrieb die Zeit als dunkel. Sein Handwerk lernte er bei David Chase, dem er das Skript vorlegte. Chase mochte Weiners Stil und ließ ihn für die "Sopranos" schreiben. Mit "Mad Men" ging Weiner weiter hausieren. HBO, Showtime und FX sagten "No", AMC ließ sich darauf ein, letztlich wurden es 92 Folgen. Dazwischen lief sein erster Kinofilm Are You Here.

Marthe Keller und Inès Melab in "The Violet Hour".
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2015, nach dem Ende von Mad Men, machte der Vater von vier Söhnen zwei Jahre Pause, bevor er seinen ersten Kurzroman "Heather, the Totality" veröffentlichte, in der sich der über Perspektivenwechsel funktionierende Erzählstil von "The Romanoffs" bereits abzeichnet. Das Buch habe ihm den Weg für abgeschlossene Geschichten gezeigt, also habe er beschlossen, dass seine nächste Fernseharbeit keine Serie im herkömmlichen Sinne werden sollte, sagte Weiner.

Bei "The Romanoffs" führte er auch Regie. Über die Arbeit an der Serie erzählte Weiner, dass er die Autorenrunde stets mit einem Weihnachtsglöckchen eröffnete. Weil der Ton die Luft reinige und einen Moment des Vertrauens in die Intuition und den kreativen Prozess erzeuge. Die ersten Kritiken waren verhalten. Eine Fortsetzung scheint vorerst nicht geplant. (Doris Priesching, 14.10.2018)