Bei Joel Rossouw trifft Wiener Schmäh auf südafrikanische Lebensfreude – auch wenn er das hier gut zu verbergen weiß.

Foto: Heribert Corn

"Als Friseur musst du ein bisschen verrückt sein. Ich will wie Zohan sein." Noch ist Hasan Ali Duran nicht so weit, dass die Damenwelt vor dem eigenen Salon Schlange steht wie bei Zohan – seinem boratähnlichen Vorbild aus dem aberwitzigen Klamaukfilm Leg dich nicht mit Zohan an. Noch hat er Lehrjahre vor sich – bei Joel's Dreamhair im fünften Wiener Gemeindebezirk. Bis er, wie sein vom US-Blödler Adam Sandler verkörpertes Vorbild, Frauen mit seinem "silky smooth"-Stil glücklich macht, wird der 19-Jährige wohl noch viele Haare vom Boden aufkehren.

Schicke schwarze Maojacke, aschblondes, akkurat geschnittenes Haar, fein säuberlich gestutzter Schnurrbart, seine Profession trägt der junge Mann schon jetzt mit Stolz und Lausbubenhaftigkeit vor sich her. Kunden hält er mit überschwänglicher Geste und angedeuteter Eleganz die Tür zur Gasse auf – Zohan lässt grüßen.

Sein eigener Herr

Am frühen Vormittag geht der Tag bei Joel Rossouw in der Schönbrunnerstraße gemächlich los. Um zehn Uhr trudeln die ersten Kunden ein. Zwei Herren steht der Sinn nach einer schicken Kurzhaarfrisur. Während Hasan Ali selbstbewusst seine Visionen erklärt, schnipselt Mir Chaman Rahimi gekonnt am Haar des Kunden herum. Viel geredet wird nicht. Da ein bisschen kürzer, hier noch etwas mehr Schwung. "Gut so?" Chef Joel Rossouw schaut streng über die Schulter und gibt Tipps. Mir Chaman kommt den Wünschen geflissentlich nach.

Der Zwanzigjährige ist seinem Ziel um etliches näher. Er ist im letzten Lehrjahr – und probt das Unternehmerdasein schon. Der junge Afghane hat in Joel Rossouws Salon rechts vom Eingang sein eigenes Reich. In dem hellen hohen Raum ist die nüchterne Koje mit dem wuchtigen schwarzen Drehsessel auch optisch eine Einheit. Ein Flyer weist auf Mir Chamans Angebot "The Barber Chair" hin. Sobald er die Lehrabschlussprüfung in wenigen Monaten in der Tasche hat, will er den Sprung in die Selbstständigkeit wagen. Wie andere in Österreich auch. Unternehmer zu werden ist auch hierzulande etwas schicker geworden. Knapp 30.000 Neugründungen (ein Viertel davon in Wien) gab es im Vorjahr, heuer entschieden sich um 2,8 Prozent mehr für den Schritt in die Selbstständigkeit.

Ein Drittel hat Migrationshintergrund

Gar nicht so wenige der neuen Firmenchefs und -chefinnen haben Migrationshintergrund. Rund 119.000 sind es laut Wirtschaftskammer in Österreich. Knapp ein Drittel der Einzelunternehmer. In Wien ist die Konzentration besonders hoch. Fast 40 Prozent der 125.000 Unternehmer in der Hauptstadt haben ausländische Wurzeln. Vor zehn Jahren waren es rund 30 Prozent.

Erst damals rückten sie in den Fokus – hierzulande und anderswo. Man wollte wissen, ob die zunehmenden Vorbehalte, die Neuankömmlinge würden mehr Last als Bereicherung sein, auch stimmen. Nikolaus Franke vom Institut für Entrepreneurship der Wirtschaftsuniversität Wien hat den Stand der Forschung zusammengefasst. Eines kam dabei ziemlich deutlich heraus: In vielen Ländern gründeten Immigranten häufiger als Einheimische, auch in Österreich.

Wer neu kommt, hat es oft schwer

Zahlen der Wirtschaftsagentur Wien geben ihm recht: Seit 2008 ist der Zahl der Gründer mit nicht österreichischer Staatsbürgerschaft in der Hauptstadt dreimal so stark gewachsen wie der Rest. Die Gründe variieren in vielen Ländern, einer wird immer wieder genannt: Wer neu kommt, hat es oft am Arbeitsmarkt schwerer als die Alteingesessenen. Vor allem dann, wenn das Herkunftsland besonders exotisch ist.

Afghanische Unternehmer, wie Mir Chaman bald einer sein wird, gibt es hierzulande nicht allzu viele. Auch wenn Wien bedeutend internationaler geworden ist. Kamen die Gründer vor zehn Jahren aus 85 Ländern, sind es heute 146. Sie kommen vorwiegend aus der Türkei, wie Hasan Ali Duran, aus Deutschland oder aus den osteuropäischen Nachbarländern. So einen weiten Weg wie Mir Chaman legten die meisten nicht zurück.

Traumberuf Friseur

Friseur ist mittlerweile sein Traumberuf, sagt der junge Mann mit dem auffallend dichten Haar sanft, nachdem er die Kunden höflich verabschiedet hat. Dass er schon einiges hinter sich hat, lässt er sich nicht anmerken. Mir Chaman kam ohne Familie nach Wien – über Pakistan und den Iran. Dort begann 2013 seine Reise nach Europa, meist zu Fuß. In Österreich hieß der erste Stopp Traiskirchen. "Später habe ich in einem Heim für minderjährige Flüchtlinge gewohnt. Ich habe einen Deutschkurs und den Hauptschulabschluss gemacht", sagt er.

Über das Arbeitsmarktservice (AMS) begann er eine überbetriebliche Kfz-Lehre, die nicht das Richtige war. Auf zahlreiche Bewerbungen als Elektrotechniker kam nicht einmal eine Absage. Mit exaltierten Filmfiguren wie Zohan, der Frauen gerne auch mit unübersehbarer Männlichkeit betört, hat er nichts am Hut. Beharrlichkeit, daran glaubt er. Was ihm heute an seinem Job gefällt? Unter anderem der Kundenkontakt, und: "Du musst immer fesch sein."

Wegen der Liebe nach Wien gezogen

Dass er seinem Ziel so nahe ist, verdankt er auch seinem Chef. Joel Rossouw ist selbst zugewandert, von Südafrika nach Wien, der Liebe wegen. Der heute 48-Jährige hatte in Durban einen Salon, in Wien hat er sich selbstständig gemacht, weil er mit den Bedingungen als Angestellter nicht zufrieden war – und weil ihm sein heutiger Ehemann finanziell unter die Arme griff. Und wie schwierig ist der Schritt zum Unternehmer? "Man muss ein bisschen Glück haben, Durchhaltevermögen und die richtigen Leute treffen", sagt er. Um die Jungs kümmert er sich, weil "jeder eine Chance verdient, so wie ich auch".

Wer sie braucht, bekommt mittlerweile Unterstützung durch zahlreiche Gründerprogramme. Freiwillig sind dennoch nicht alle selbstständig. In Wien sind Pflege, Gastro und Bau die größten Betätigungsfelder. Damit gehört auch der als Maurer beschäftigte Subunternehmer dazu. Zahlen gibt es nicht, aber Gerhard Weinhofer vom Gläubigerschutzverband Creditreform geht davon aus, dass viele Insolvenzen in der Gastro und im Bau Unternehmer mit Migrationshintergrund betreffen. Auch viele, die an den Bezirksgerichten die Entschuldung suchen, seien Personen mit Migrationshintergrund und gescheiterte Selbstständige. Laut Statistik der WKO sind österreichweit vor allem Rumänen und Slowaken mit 7,8 und 6,8 Prozent fleißige Gründer. Mit 2,2 Prozent fallen Deutsche ins Gewicht. Ihre Chancen suchen die meisten in Gewerbe, Handwerk, Transport, Tourismus und Handel und als Berater.

Es sind vor allem Kleinstunternehmen, die aus der Taufe gehoben werden. Aus manchen werden aber rasch respektable Firmen. Whatchado-Gründer Ali Mahlodji, Ex-Flüchtling, Schulabbrecher und Jobhopper, beschäftigt mit seiner Videoplattform mittlerweile 40 Leute. Der Aufstieg zu einem Konzern in der Größenordnung von Attila Dogudans Do & Co" ist wenigen vorgezeichnet. Aber auch nicht alle eröffnen ein Kebabhaus oder einen Handyshop. "Der Anteil der wissensbasierten Gründungen steigt", sagt Tülay Tuncel von der Wiener Wirtschaftsagentur.

Internationaler Zuzug

Wahrgenommen werden aber vor allem Start-ups, die auch Wien heftig umwirbt und auch einiges an Geld dafür in die Hand nimmt. In der Hoffnung, dass sie frisches Blut und neue Ideen bringen, bleiben und neue Jobs schaffen. Mittels Start-up-Programms finanziert man Interessierten einen zweimonatigen Aufenthalt. 2014 haben 20 eingereicht, jetzt sind es 230.

Doch auch um Menschen wie Mir Chaman ist man bemüht. 2015 bis 2017 wurden bei der Wirtschaftsagentur 254 Flüchtlinge beraten und durch Workshops unterstützt – auf Arabisch, Farsi, Paschtunisch. Eine Handvoll gründete wohl eine Firma. Dass Flüchtlinge besonders ambitionierte Gründer sind, kann AMS-Chef Johannes Kopf nicht bestätigen. Auch das AMS hat ein Gründerprogramm aufgelegt. 2016 gab es 22 Absolventen, mit Ende 2018 werden es laut Schätzungen Kopfs 50 sein. "Die Vermutung, die Menschen hätten eine hohe Neigung zur Selbstständigkeit, bestätigt sich zwar nicht, aber wir geben die Hoffnung nicht auf," sagt Kopf. Für Hasan Ali Duran steht indes fix fest, wo sein Glück liegt: "Ich habe den Willen zum eigenen Chef." (Regina Bruckner, 13.10.2018)