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Papst Franziskus (in Weiß) begrüßt die Kardinäle. Wer ist sein Freund, wer sein Feind? Zu seinen deklarierten Gegnern gehören jedenfalls die Erzkonservativen Raymond Leo Burke und Carlo Maria Viganò. Sie fordern mitunter sogar seinen Rücktritt.

Foto: AP / Alessandra Tarantino

Papst Franziskus ist dieser Tage gleich zweimal gestolpert: Am Dienstag stürzte er auf dem Weg zu seiner Wohnung im Pilgerheim Santa Marta zu Boden – ohne sich zu verletzen, wie das Presseamt des Heiligen Stuhls sogleich versicherte. Tags darauf wieder, diesmal im übertragenen Sinn: Bei der allwöchentlichen Generalaudienz verglich er die Abtreibung behinderter Kinder mit einem Auftragsmord – eine für viele unerhörte Anmaßung gegenüber Frauen und Paaren, die in großer Gewissensnot eine schwierige Entscheidung treffen. Die beiden Fehltritte – wenn man den Killervergleich als solchen bezeichnen will – stehen symbolhaft für ein Pontifikat, das mit großen Hoffnungen verbunden war und das in den vergangenen Wochen viel von seinem Elan und seiner Heiterkeit verloren hat.

Die größte Belastung für Papst Franziskus und die gesamte katholische Kirche ist aber der Missbrauchsskandal. Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Bekanntwerden systematischen sexuellen Missbrauchs durch Priester in aller Welt blickt die Kirche nach wie vor in einen Abgrund, der keinen Boden zu kennen scheint. Und der Papst aus Argentinien, der gleich nach seiner Wahl im März 2013 die bereits von seinem Vorgänger Benedikt XVI. verkündete Null-Toleranz-Politik gegenüber Sexualtätern im Priestergewand bekräftigt hat, muss sich heute fragen lassen, was er denn konkret gegen diese Verbrechen und deren Vertuschung unternommen habe. Die Antwort lautet: wenig.

Glaubenskongregation bisher wenig kooperativ

Auch unter Franziskus zeigten sich der Vatikan und die für die Missbrauchsfälle zuständige Glaubenskongregation bisher wenig kooperativ gegenüber zivilen Justizbehörden. Allzu oft bleiben Akten unter Verschluss. Kleriker, die im Verdacht standen, in Missbrauchsfälle oder deren Vertuschung involviert zu sein, haben auch unter Jorge Mario Bergoglio Karriere gemacht.

Das eklatanteste Beispiel dafür ist der australische Kardinal George Pell, den Franziskus zum mächtigen Finanzchef des Vatikans ernannt hatte und der sein Amt erst vor kurzem "auf Eis legen" musste, um sich in seiner Heimat einem Strafprozess zu stellen. Und auch wenn Franziskus am Freitag den Rücktritt von Kardinal Donald Wuerl angenommen hat – dieser soll in seiner Zeit als Bischof von Pittsburgh an der Vertuschung von Missbrauchsfällen beteiligt gewesen sein –, so ändert das die Zwischenbilanz kaum zum Besseren.

Trotz Skandalen haben viele Karriere gemacht

Auch andere hohe Kleriker, gegen die ermittelt wurde, wurden nicht mit sofortiger Wirkung suspendiert. Der ehemalige Erzbischof von Washington, Kardinal Theodore McCarrick, konnte seit Bergoglios Wahl 2013 bis im vergangenen Sommer im Amt bleiben, obwohl der Vorwurf, er habe sich an Seminaristen vergangen, seit Jahren im Raum stand.

Der frühere Nuntius in den USA, der italienische Erzbischof Carlo Maria Viganò, warf dem Papst Ende August vor, den mutmaßlichen Sexualtäter McCarrick "bis zum bitteren Ende gedeckt" zu haben – und forderte den Pontifex deswegen zum Rücktritt auf. Der Vatikan hat mit seiner Antwort lange gewartet und ließ die alles entscheidende Frage letztlich offen: nämlich die, ob der Papst von den Missbrauchsvorwürfen gegen McCarrick gewusst hat oder nicht.

Obwohl der Abscheu des Papstes in Bezug auf sexuellen Missbrauch glaubwürdig ist, sind unter ihm innerhalb der Kirche keine neuen Strukturen geschaffen worden, die wirklich unabhängige Untersuchungen garantieren würden. Auf die von Franziskus angekündigte Schaffung eines Sondertribunals wartet man bisher vergeblich. "Bei den meisten der angekündigten Maßnahmen handelt es sich um Lippenbekenntnisse", kommentiert das der italienische Vatikan-Experte Emiliano Fittipaldi, der im vergangenen Jahr das Buch Lussuria ("Wollust") veröffentlichte, in welchem er sich mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche beschäftigte.

Erzkonservative Gegner

Sein Zögern liefert den Gegnern des Papstes einen willkommenen Vorwand, gegen ihn Stimmung zu machen. Angeführt werden die Rebellen vom ultrakonservativen US-Kardinal Raymond Leo Burke, der dem Papst wegen dessen Toleranz gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexuellen auch schon "Häresie", also Ketzerei, vorgeworfen hat. Burke hat unlängst in einem Kloster südlich von Rom eine Kaderschmiede für katholische Führungskräfte eingerichtet, wo die künftige fundamentalistische Speerspitze ausgebildet werden soll. Organisator und wichtigster Dozent der Kurse ist Steve Bannon, der weit rechts stehende ehemalige Berater von US-Präsident Donald Trump und ebenfalls ein erzkonservativer Katholik. Auch Ex-Nuntius Viganò zählt zu den Vertrauensleuten Burkes.

Im Grunde sind den rechtskonservativen Papstgegnern der Missbrauchsskandal und auch die vorsichtige Öffnung Franziskus’ gegenüber Wiederverheirateten eher egal: In Wahrheit sind es die Ansichten des Papstes zu den Auswüchsen des Kapitalismus, sein Einsatz für die Flüchtlinge und gegen den Klimawandel sowie seine Bemühungen um den interreligiösen Dialog mit dem Islam, die Burke und Bannon ein Dorn im Auge sind. Mit diesen Positionen weicht der Papst aus Sicht homophober, islamfeindlicher Traditionalisten die Doktrin der Kirche auf. Letztlich ist Franziskus für die US-Traditionalisten einfach ein Marxist auf dem Papstthron.

Vorwurf der Ketzerei

Sowohl der Vorwurf des Marxismus als auch jener der "Aufweichung" der Lehre oder gar der "Häresie" gehen ins Leere: Franziskus hat das Prinzip der freien Marktwirtschaft nie infrage gestellt, sondern lediglich die Gier, die Ausbeutung und die Konsumwut gegeißelt – und zwar in Übereinstimmung mit der katholischen Soziallehre. Und die geltende Lehre hat Franziskus schon gar nicht umgekrempelt. "Ich bin ein Kind der katholischen Kirche, und die Positionen der Kirche sind bekannt", hat Franziskus in einem Interview erklärt. Inzwischen ist auch klar: Die Priesterweihe für Frauen, die Abschaffung des Zölibats, die Billigung künstlicher Verhütungsmittel oder der Abtreibung wird es auch unter Franziskus nicht geben.

Auch die Kurienreform kommt nicht so richtig vom Fleck: Faktisch wurde bisher in der Kirchenverwaltung nicht viel mehr gemacht, als drei päpstliche Räte zusammenzulegen. Aber: "Die eigentliche, die wahre Reform von Papst Franziskus ist eine andere, die er mit seinem Beispiel vorlebt: Franziskus will eine Reform des Herzens, nicht der Strukturen", betont der Vatikan-Spezialist und Leiter des Internetportals Vatican Insider, Andrea Tornielli. Der Papst verlange eine pastorale Umkehr: Die Kirche solle den "Klerikalismus" hinter sich lassen, nahe an den Menschen sein, sich um diejenigen kümmern, die leiden. Letztlich fordert der Papst einen Mentalitätswechsel in der Kirche. Und den kann man nicht mit einem Gesetz oder einer Reform verordnen.

Der Papst will also keine andere Lehre, sondern eine andere Haltung der Kirche: Er fordert Respekt und Mitgefühl auch für Kirchenmitglieder, die vom Pfad der katholischen Tugend abgewichen sind. "Moralische Gesetze sind keine Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft", heißt es im päpstlichen Schreiben Amoris Laetitia ("Freude der Liebe"). Doch genau das hat er mit seiner Gleichsetzung von Abtreibung und Auftragsmord nun selbst getan – und seinem Nimbus als Hoffnungsträger einen weiteren Kratzer zugefügt. (Dominik Straub aus Rom, 14.10.2018)