Schimmelpilzkulturen auf verschiedenen Nährböden.
Foto: BiMM Research

Das Problem war kein geringes. Als im Zweiten Weltkrieg die US-Armee dutzende Pazifikinseln der japanischen Besatzung entrang, machten den Soldaten nicht nur feindlicher Beschuss und Tropenkrankheiten zu schaffen. Im feuchtheißen Klima fiel irgendetwas über ihre Zelte und Uniformen her, zersetzte diese regelrecht. Nach einigem Suchen fanden Mikrobiologen den Übeltäter. Die aus Baumwolle bestehenden Ausrüstungsstücke wurden offenbar von einem Schlauchpilz verzehrt.

Man taufte die bis dahin unbekannte Spezies schließlich auf den Namen Trichoderma reesei. Fachleute erkannten schnell das biochemische Potenzial des Tuchfressers. Um Baumwolle und anderes Pflanzliches zu verdauen, produziert der Pilz Spezialenzyme, sogenannte Zellulasen. Diese wiederum können für diverse technische Verfahren genutzt werden. Die Enzyme zerlegen nämlich Zellulose in deren Einzelteile, sprich Zucker. So wandelt sich billiges Pflanzenmaterial in wertvollen industriellen Rohstoff um.

Heutzutage ist T. reesei der wichtigste Enzymproduzent weltweit, wie die Biologin Monika Schmoll vom Austrian Institute of Technology (AIT) in Tulln berichtet. Der Pilz synthetisiert nicht nur Zellulasen, sondern auch Proteine aufspaltende Enzyme und diverse weitere Wirkstoffe. Doch trotz seiner wirtschaftlichen Bedeutung blieben viele Details zur Physiologie des Schimmels Jahrzehnte unentdeckt.

Es hieß zum Beispiel, T. reesei vermehre sich nur ungeschlechtlich – ein Irrtum. Molekulargenetische Untersuchungen zeigten, dass die Art mit Hypocrea jecorina, einer sich sexuell fortpflanzenden Spezies, identisch ist. Inzwischen wurde die geschlechtliche Reproduktion bereits vielfach unter Laborbedingungen beobachtet. Ganz so einfach geraten die Pilze allerdings nicht in Wallung. Die Paarung findet normalerweise im Hellen statt, Licht regt die Produktion von Pheromonen an. Abgesehen davon sind einige Stämme nicht untereinander kreuzbar. Zwischen zwei Partnern muss offenbar die Chemie stimmen.

Heimische Pilzstämme

Für die Wissenschaft ist die sexuelle Vermehrung von T. reesei äußerst interessant. Der Hintergrund: Sämtliche in der Industrie eingesetzten Stämme stammten ursprünglich von einem einzigen Klon ab – jenem, den die US-Armee im Zweiten Weltkrieg auf den Salomon-Inseln einsammelte. "Man dachte lange, der Pilz kommt nur in den Tropen vor", sagt Monika Schmoll.

Die Expertin und ihr Team machten sich deshalb auf die Suche nach verwandten, in unseren Breiten beheimateten Arten. Zu ihrem Erstaunen jedoch fanden sie T. reesei auch in Österreich, auf Äckern, in Waldböden und in Gärten. Der erste Nachweis außerhalb tropischer Gefilde. Mittlerweile haben die Tullner Forscher hierzulande zwölf verschiedene Stämme aufgespürt. Erfreulicherweise sind sie geschlechtlich miteinander kompatibel, wodurch man am AIT neue, natürliche Züchtungslinien starten konnte. Bei manchen davon gelang es bereits, die Enzymproduktion zu verbessern. "Sie sind ein sehr schönes Werkzeug", schwärmt Schmoll.

Bis Anfang dieses Jahrtausends basierte die industrielle Züchtung von T. reesei auf eher kruden Methoden. Die Pilze wurden in großer Zahl UV-Strahlung und erbgutverändernden Chemikalien ausgesetzt. Unter den vielen verschiedenen Mutanten, die dabei entstanden, wählten Biotechnologen diejenigen mit den gewünschten Eigenschaften aus. Neue gentechnische Verfahren ermöglichten eine gezieltere Manipulation der Pilz-DNA, aber die klassischen, oft noch immer sehr erfolgreichen Züchtungsansätze blieben außen vor. Ohne sexuelle Fortpflanzung keine Kreuzung. Die Fachwelt tappte im Dunkeln.

Erst 2009 gelang Monika Schmoll und ihren damaligen Kollegen an der Technischen Universität Wien der Durchbruch. Sie analysierten zunächst das Erbgut von T. reesei und fanden dabei Gene für Peptidpheromone und zwei schlauchpilztypische Paarungscodes. Diese entsprechen den weiblichen und männlichen Chromosomen bei Säugetieren. Anschließend brachten die Experten Pilze unterschiedlicher Paarungstypen auf einer Petrischale zusammen. Nun ließ sich Erstaunliches beobachten. Die Schimmel nahmen eine andere Form an, bildeten neue Signalsubstanzen, wuchsen aufeinander zu. "Sie spüren ihren Partner", sagt Schmoll. Die gegenseitige Wahrnehmung erfolgt über Pheromone und weitere Botenstoffe.

Paarungen und Sporenbildung finden im Labor vor allem bei Beleuchtung statt. Schmoll glaubt, dass dies auch in der Natur der Fall sei. T. reesei kann unter vielerlei Bedingungen wachsen, erklärt die Wissenschafterin. Mitunter lebt die Art als Mykoparasit auf anderen Pilzen, meistens aber gedeiht sie am Waldboden und baut dort Falllaub ab. Die Neigung, sich nur bei Licht geschlechtlich fortzupflanzen, hängt womöglich vom Ressourcenangebot ab, meint Schmoll. An der Oberfläche könnten andere Nährstoffe vorliegen als unterirdisch, im Dunkeln. Auch dürften die Sporen oben leichter verbreitet werden.

Pilzsignale dekodieren

Es sind noch viele Fragen offen, doch die AIT-Forscher decken stetig neue Details auf. Um Licht überhaupt wahrnehmen zu können, verfügt T. reesei über winzige Fotorezeptoren. Diese Eiweißmoleküle sind offenbar auch zentrale Schaltstellen im Stoffwechsel des Pilzes. Sie docken unter anderem an wichtige Gene an und lösen so die Synthese vieler weiterer Proteine aus – Enzyme und Botenstoffe.

Der Fotorezeptor ENV1 zum Beispiel scheint zumindest einen Teil der Pheromonproduktion zu steuern. Monika Schmoll und ihr Team wollen, unterstützt durch die niederösterreichische Forschungs- und BildungsgesmbH (NFB) des Landes Niederösterreich, letztlich die chemische Kommunikation zwischen den Schimmeln verstehen. "Mit dem, was der Pilz produziert, beeinflusst er seine Nachbarn." Sollte es gelingen, die Signale genau zu dekodieren, könne man sie auch beeinflussen. Das wiederum würde wahrscheinlich eine Verbesserung der Enzymausbeute ermöglichen oder auch die Freisetzung von Schadstoffen durch andere Pilzarten unterbinden. "Das Bild wird immer interessanter", betont Schmoll. (Kurt de Swaaf, 15. 10. 2018)