Der deutsche Journalist und Soziologe Samuel Schirmbeck war einmal ein Linker.

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Ein Auszug aus seinem Buch im STANDARD erzeugte ein Echo wie kaum ein Kommentar der anderen zuvor. Vergleichbar freilich den Reaktionen auf die Diagnose der Lehrerin und bekennenden Sozialdemokratin Susanne Wiesinger über den Umgang mit dem Islam an Wiener Schulen. Der deutsche Journalist und Soziologe Samuel Schirmbeck war einmal ein Linker. Vom 68er hat er sich zu einem gnadenlosen Kritiker seiner einstigen politischen Heimat gewandelt. "Gefährliche Toleranz" ist das zweite Buch, in dem er sich mit westlichen Haltungen gegenüber der muslimischen Offensive befasst.

Schirmbecks zentrale These: Die deutsche Linke verrät mit ihrer Toleranz gegenüber dem seinerseits intoleranten Islam ihre eigene Wertebasis, die zugleich jene Europas ist: eine Kultur des Zweifels, Kritik an Dogmen, uneingeschränktes Bekenntnis zu den Menschenrechten. Echte Linke würden rückständige Verhältnisse ändern, statt sie zu stabilisieren. Wie kommt es dann, dass Linke ihr Menschen- und Weltbild, mit dem sie entscheidend etwa zur Befreiung der Frau beigetragen haben, verraten, wenn es um den Islam geht? Dafür liefert Schirmbeck eine höchst interessante sozialpsychologische Erklärung: Aus dem noch immer nicht überwundenen Schuldgefühl für die Nazi-Vergangenheit versage sich die Linke Kritik am obskurantistischen Islam und Unterstützung für dessen aufgeklärte Strömungen. Damit trage sie zur Stärkung ebenjener Rechten bei, die sie dann als Neonazis bekämpfe. Schirmbecks Verdacht: Dies sei zumindest unbewusst beabsichtigt.

Ein weiterer Verdacht drängt sich auf: Will sich die Linke mit dieser "Blanko-Toleranz" (Schirmbeck) eine Auseinandersetzung mit dem Wesen des Islam ersparen? Denn, wie es der vom Autor zitierte ehemalige Großmufti von Marseille, Soheib Bencheikh, ausdrückt: Eine "theologische Stütze" für den "friedlichen, toleranten Islam" gibt es nicht. (Josef Kirchengast, 15.10.2018)