Die Unterschiede zwischen den längsten und kürzesten Tagen während der Schwangerschaft könnten ein wesentlicher Faktor für glückliche Nachkommen sein, vermuten Forscher.

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Dass Ort und Jahreszeit der Geburt unsere psychische Grundkonstitution beeinflussen, glauben mittlerweile nicht mehr nur Astrologen. Wie sehr Kinder schon im Mutterleib von ihrer Umgebung geprägt werden, wird durch Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre immer deutlicher.

So konnten amerikanische Forscher in Tierexperimenten nachweisen, dass die Lichtexposition von noch ungeborenen Mäusen langfristige Folgen für deren Gehirnentwicklung hat. "Aufgrund von Hinweisen aus Voruntersuchungen ging man davon aus, dass die Dauer des Tageslichts, dem die trächtigen Tiere ausgesetzt sind, die neuronale Entwicklung der Nachkommen in Richtung verstärkter bzw. verminderter Ängstlichkeit beeinflusst", berichtet Eva Schernhammer, die mehrere Jahre an der Harvard University geforscht hat und nun die Abteilung für Epidemiologie an der Med-Uni Wien leitet.

Anders als erwartet konnte die unterschiedliche neuronale Entwicklung der Mäuse-Embryos aber nicht auf die Länge der Lichtexposition zurückgeführt werden. Überraschenderweise war es der Unterschied zwischen minimaler und maximaler Lichteinwirkung, der sich messbar auf deren Gehirnentwicklung auswirkte. "Je größer die Differenz zwischen minimaler und maximaler Lichtexposition im Uterus war, desto geringer war später die Neigung zur Ängstlichkeit", erklärt Schernhammer. Vereinfacht gesagt: Nicht die Menge des Lichts, sondern die Bandbreite der Lichtverhältnisse – also helle, aber auch dunkle Tage während der Schwangerschaft – könnte wichtig sein.

Offenbar geht es dabei um eine Art Training des Neuronensystems: Immerhin sei es eine Herausforderung für das sich gerade entwickelnde Gehirn, sich einerseits an kurze, andererseits an lange Dunkelheitsphasen anzupassen. "Wir vermuten, dass dieses Lichtzyklentraining nötig ist, um das Gehirn auf die Welt außerhalb der Gebärmutter vorzubereiten", schlussfolgert die Forscherin.

Ab wann Licht wirkt

Die Übertragbarkeit dieser Hypothese auf die menschliche Gehirnentwicklung hat Schernhammer gemeinsam mit US-Kollegen von der Harvard Medical School an rund 240.000 amerikanischen Krankenschwestern überprüft. Wie das möglich war? "Wir konnten auf die Daten zweier umfangreicher Gesundheitsstudien zurückgreifen, die unter anderem Datum und Ort der Geburt sowie das Gesundheitsprofil inklusive diagnostizierter depressiver Erkrankungen der Schwestern enthielten", erklärt die Forscherin. "Indem wir Geburtsdatum und -ort mit den Daten der National Oceanic and Atmospheric Administration kombinierten, konnten wir ausrechnen, wie vielen Tageslichtstunden jeder Embryo ausgesetzt war." Als zweiter Messwert wurde der Unterschied zwischen minimaler und maximaler Tageslichtperiode – also die Differenz zwischen längstem und kürzestem Tag – ermittelt.

Die verblüffenden Ergebnisse liegen seit kurzem vor: Mit der Studie konnten die Forscher zweifelsfrei nachweisen, dass die Menge der Tageslichtstunden, denen das ungeborene Kind im Mutterleib ausgesetzt ist, keinen Einfluss auf die spätere Depressionsneigung hatte. Ausschlaggebend dürfte die Bandbreite zwischen der kürzesten und der längsten Tageslichtperiode sein. "Je größer dieser Unterschied während der Schwangerschaft war, desto geringer war für den späteren Erwachsenen das Depressionsrisiko", so Schernhammer.

Es sei vor allem das zweite Drittel der Schwangerschaft, in der dieser Einfluss besonders groß ist. "Das korrespondiert auch mit den vorhergehenden Tierversuchen, in denen man beobachten konnte, dass genau in dieser Phase beim Embryo die Melatonin-Rezeptoren entstehen und die photoperiodische Prägung beginnt", ergänzt die Epidemiologin.

Geburtsdatum wenig relevant

Und was bedeutet das nun für die Eltern? Sollte man sich vor der Empfängnis die Differenz zwischen minimaler und maximaler Tageslichtperiode ausrechnen, um sich nicht an einer gesteigerten Depressionsneigung seiner Nachkommenschaft schuldig zu machen? "So genau sind unsere Daten noch nicht, dass man daraus den Zeitpunkt für das geringste Risiko ableiten kann", sagt Schernhammer. "Wir wollen sicher keine Empfehlungen abgeben, wann man am besten Kinder zeugt." Hier gehe es in erster Linie um völlig neue Erkenntnisse zur Programmierung unseres neuronalen Systems bereits bei seiner Entstehung im Mutterleib. "Aber da ist noch viel Forschung nötig, bevor man daraus praktischen Nutzen ziehen kann", so die Forscherin.

Auch ältere Studien etwa zur Verbindung zwischen Geburtsdatum und Depressionsneigung müsse man nun im Zusammenhang mit diesen Erkenntnissen neu bewerten: "Möglicherweise sind die Ergebnisse dieser Untersuchungen deshalb so uneinheitlich, weil das Geburtsdatum nicht die richtige Variable ist", vermutet Schernhammer. "Vielleicht sollte man den kritischen Zeitpunkt im zweiten Drittel der Schwangerschaft ansetzen, also etwa vier, fünf Monate vor der Geburt."

Angesichts der Forschungsergebnisse drängt sich natürlich die Frage auf, warum in Äquatornähe geborene Menschen nicht depressiver sind als solche mit nördlicheren Geburtsorten. Immerhin ist dort durch die gleichbleibende Tageslänge die Differenz zwischen minimaler und maximaler Lichtperiode so klein wie nirgendwo sonst. Dennoch zeigen Untersuchungen, dass gerade in solchen Ländern die Depressionsraten ausgesprochen niedrig sind.

In den Norden ziehen

"Vermutlich kommt die 'Lichtprogrammierung' erst zum Tragen, wenn Menschen aus diesen Regionen in äquatorferne Gegenden ziehen", so die Epidemiologin. "Weil sie das Licht-Dunkel-Training im Mutterleib nicht erfahren haben, können sie sich dann, wenn es erforderlich ist, nur sehr schwer darauf einstellen und sind deshalb besonders anfällig für Depressionen." Diese neuen Studienergebnisse sollten daher in Zukunft bei der Beurteilung migrantischer Lebenssituationen mitgedacht werden, meint die Wissenschafterin.

Und wie sollen Schwangere mit dem neuen Wissen umgehen? Sollen sie etwa mit Tageslichtlampen an einer ausreichenden Licht-Dunkelheit-Differenz basteln, wenn es die Natur nicht tut? "Noch ist es zu früh, um Ratschläge geben zu können", betont Eva Schernhammer. "Hier ist jetzt die Forschung gefordert. Man könnte etwa an Tieren untersuchten, ob sich das Gehirn der Embryos mit Lampen trainieren lässt."

Für alle, die es trotz aller Zurückhaltung der Forscher mit praktischen Tipps nicht lassen können und sich den besten Zeugungstermin für besonders depressionsresistenten Nachwuchs ausrechnen wollen, ein kleiner Hinweis aus der Astronomie: Am größten ist die tägliche Änderung der Tageslichtstunden um die Äquinoktien, also in den Tagen um den 21. März und den 21. September. (Doris Griesser, 16.10.2018)