Es gibt in Ausstellungen zu Egon Schiele meist nicht viel zu lachen. Gar frei von Verklärung sind die Blicke, die der Expressionist auf den Leib, das Leben, Lieben und Sterben warf. Wenn Betrachtern in der Jubiläumsschau des Wiener Leopold-Museums demnächst doch ein Schmunzler entfährt, ist dafür wahrscheinlich die britische Künstlerin Sarah Lucas verantwortlich.

Inmitten von Akten Schieles sitzt da eine Frauenfigur mit wurstförmigen Gliedmaßen, die eigentlich ausgestopfte Nylonstrumpfhosen sind. Statt eines Kopfes wachsen der Guten Hasenohren, die sich in ihrer schlauchigen Form nur unwesentlich von den üppig vorspringenden Brüsten unterscheiden. In aller Tragikomik hängt die Entstellte schlaff auf einem Bürostuhl, ist teils gar mit diesem verwachsen.

Wozu braucht die Frau einen Kopf?

"Bunnies" nennt Sarah Lucas diese Objekte. Sie sind eines ihrer Markenzeichen und angetan, den männlich-objektivierenden Blick auf die Weiblichkeit unzweideutig anzuklagen: Wozu braucht die Frau einen Kopf? Was ist die Frau mehr als ein Teil des Mobiliars? Im kuriosen Zusammenspiel mit Schieles Akten lenkt so ein "Häschen" den Blick zum Beispiel darauf, dass den Frauenfiguren des Expressionisten dann doch eine gewisse Kraft zur Selbstbehauptung innewohnt: Immerhin haben diese durchwegs einen Kopf und können den Blick des Betrachters erwidern.

Sarah Lucas: "Tracey", 2018
Foto: Courtesy the artist and Sadie Coles HQ, London/Robert Glowacki
Egon Schiele: "Kauernder Mädchenakt", 1914
Foto: Leopold Museum, Wien, Inv. 1398

Resonanzräume für Untertöne

Lucas ist eine von neun Gegenwartskünstlerinnen und -künstlern, die in der Jubiläumsschau des Leopold-Museums zu sehen sind, seit diese upgedatet wurde. Das neu hinzugekommene Wörtchen "reloaded" im Titel bedeutet in diesem Fall: Das Kuratorenteam Verena Gamper und Diethart Leopold hat in jeden Themenkomplex der bereits laufenden Ausstellung eine Arbeit zeitgenössischer Kunst "injiziert".

So stehen den zwiespältigen Mutter-Kind-Bildern Schieles nun expressive pinke Aquarelle gegenüber, in denen Louise Bourgeois den Konflikt zwischen Mutterschaft und Künstlerinnentum thematisierte. Im Abschnitt über Spiritualität landete ein "Altar" der Wiener Künstlerin Elisabeth von Samsonow, in dessen Bildsprache heiter Popkultur, Wissenschaft und Religion kollidieren. Formale Ähnlichkeiten waren für die Auswahl nicht ausschlaggebend, so Kuratorin Gamper, sondern das zugrundeliegende Thema: Wie Schiele es tat, so befasst sich auch die Wissenschafter-Künstlerin von Samsonow eingehend mit der Frühgeschichte.

In den generationenübergreifenden Duetten gelingt durchwegs das schöne Kunststück, dass Neben- und Untertöne von Schieles Kunst akzentuiert und greifbar gemacht werden. So zum Beispiel im Falle der Entschwebung (1915), einer Darstellung zweier Blinder, die gespenstergleich über einer Landschaft zu fliegen scheinen. Ihr wurde eine Skulptur von Rudolf Polanszky beigegeben, die aus "schwebenden" Plexiglasobjekten besteht.

Egon Schiele: "Entschwebung" (»Die Blinden« II), 1915
Foto: Leopold Museum, Wien, Inv. 467
Rudolf Polanszky: "Hypertransforme Zwillings-Skulptur", 1990
Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger

Der niemals geschlossene Körper

Gut, Schiele-Puristen könnten irritiert sein ob des trashigen Plastiklooks, mit dem Polanszkys Hypertransforme Zwillingsskulptur ihrem 75 Jahre älteren Widerpart entgegentritt. Tatsächlich ergibt es aber einigen Sinn, sie als Verkörperlichung jenes raffinierten Spiels mit Leichtigkeit und Schwere zu lesen, das Schiele im Bild der Entschwebenden treibt. Umgekehrt mag auch die Ausstrahlung der Figuren auf die ranzigen Plastikkästen abfärben und diese zu mehr machen, als sie in einem anderen Kontext wären.

Dass die Dialoge "funktionieren", liegt nicht zuletzt daran, dass Schieles Themen überzeitlich sind. An der grundlegenden Durchwachsenheit des kreatürlichen Daseins hat sich seit der Wiener Moderne nicht viel geändert. Und wenn die Künstlerin Chloe Piene erklärt, die Körpererfahrung sei für sie "nie etwas Geschlossenes", so hätte Egon Schiele diese Einsicht vermutlich unterschrieben. Sie frage sich beständig, so die US-Amerikanerin, was der Körper sei, nehme ihn nicht als gegeben hin.

Piene begegnet Schiele im Metier der Aktzeichnungen. Ihre großformatigen Blätter muten auf den ersten Blick wie zielloses Gekritzel an, in das sich eher zufällig das eine oder andere Körperteil verirrt hat. Sie treiben allerdings eine Tendenz des Expressionisten auf die Spitze: Sind Schieles Körper ob ihrer inneren Zerrissenheit oft bis zum Äußersten verzerrt, so löst sich der Leib bei Piene gleich völlig auf. (Roman Gerold, 16.10.2018)

Variationen eines Spiels mit der Identität: Jürgen Klaukes Fotoserie "Self-Performance" (1972/73) ...
Foto: Jürgen Klauke | © Bildrecht, Wien, 2018
... und die zahlreichen Selbstdarstellungen Egon Schieles. Bild: "Kniender Selbstakt", 1910.
Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger