In seinem letzten Buch aus dem Nachlass, das am Dienstag erscheint, warnt Stephen Hawking vor einer möglichen neue Rasse von "Supermenschen".
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London – Stephen Hawking bleibt auch nach seinem Tod am 14. März dieses Jahres ein Phänomen. Seine sterblichen Überreste ruhen zwar seit Juni in Form von Asche in der Westminster Abbey zwischen den Gräbern von Sir Isaac Newton und Charles Darwin. Doch es ist noch lange nicht still geworden um den großen Physiker und sein wissenschaftliches Erbe: Vor wenigen Tagen erschien der allerletzte Fachartikel Hawkings, und am Montag wurde in London sein letztes populärwissenschaftliches Buch vorgestellt: "Kurze Antworten auf letzte Fragen".

Dass Hawking zum wohl bekanntesten Wissenschafter unserer Zeit wurde, dazu trug ebenfalls ein Buch bei, das "kurz" im Titel trug: Der 1988 erschienene Band "Eine kurze Geschichte der Zeit" wurde mit weit mehr als zehn Millionen verkauften Exemplaren und Übersetzungen in mehr als 40 Sprachen zum erfolgreichsten Wissenschaftsbuch der letzten Jahrzehnte.

Geht es in diesem Klassiker vor allem um die Entstehung, die Struktur und das weitere Schicksal unseres Universums, so widmet sich Hawking in den posthum veröffentlichten Essays auch sehr viel menschlicheren Problemen. So ist er sich in einem Essay der nachgelassenen Schriften sicher, "dass die Menschen in diesem Jahrhundert herausfinden werden, wie man die Intelligenz, aber auch Instinkte wie etwa Aggression verändern kann". Das ließ ihn befürchten, dass reiche Menschen ihre Körper und die ihres Kinder genetisch so verbessern könnten, dass eine neue Rasse von Supermenschen entsteht.

Seit 43 Jahren ungelöst

Wenige Tage vor Erscheinen dieses letzten Buchs wurde Hawkings vermutlich allerletzter Beitrag zur Astrophysik publiziert: Gemeinsam mit seinen renommierten Fachkollegen Malcolm Perry und Sasha Haco (beide Uni Cambridge) sowie Andrew Strominger (Harvard University) griff er abermals eines der fundamentalsten Probleme der theoretischen Physik auf: das sogenannte Informationsparadoxon Schwarzer Löcher" das Hawking selbst vor 43 Jahren erstmals formuliert hatte und das immer noch ungelöst ist.

Worum geht es? Im Prinzip enthält jedes Objekt im Universum Information in Form seiner Struktur und Merkmale, was es im Prinzip auch möglich macht, die Zukunft dieses Objekts vorherzusagen. Bei extrem kleinen Teilchen wird das schwierig bis unmöglich, doch auch nach den Regeln der Quantenmechanik kann Information nicht völlig verschwinden, sondern muss in irgendeiner Form erhalten bleiben.

Sind Schwarze Löcher "Glatzen"

Wo aber bleibt die Information der ins Schwarze Loch gesaugten Strahlung und Materie, wenn das Schwarze Loch selbst zerstrahlt? Nach den gängigen Annahmen über Schwarze Löcher müsste diese Information eigentlich verlorengehen. Diesem sogenannten No-Hair-Theorem hing Hawking lange an, ehe er 2004 erstmals die Meinung vertrat, dass auch Schwarze Löcher "Haare" haben könnten – oder anders formuliert: bei ihrem Ableben die gesammelte Information wieder abgäben. Das Wie blieb freilich offen.

Diese Frage hat ihn auch noch in seinen letzten Tagen beschäftigt, was posthum zum Fachartikel "Black Hole Entropy and Soft Hair" führte, der nun auf dem Preprint-Server arXiv veröffentlicht wurde. Darin gehen die vier Physiker davon aus, dass beim Verschwinden eines Objekts im Schwarzen Loch eine Spur in der Entropie des Schwarzen Lochs und seines Randbereichs hinterlassen werde.

Künstlerische Darstellung eines Schwarzes Lochs. Im "Haarkranz" aus Photonen im Ereignishorizont rund um die Singularität könnte die Information über die "verschluckten" Objekte stecken.
Foto: NASA/ESA

Konkret sei der Ereignishorizont – also jene Grenzfläche in der Raumzeit, für die gilt, dass Ereignisse jenseits dieser Grenzfläche prinzipiell nicht sichtbar für Beobachter sind – von einem Kranz aus Photonen umgeben.

"Soft Hair" statt "No Hair"

Diesen Kranz bezeichnen die Forscher als "Soft Hair", und in ihm würde sich die Entropie und damit die Information im Schwarzen Loch widerspiegeln. Wie Perry gegenüber der britischen Zeitung "The Guardian" erklärte, könnte "Soft Hair" die Entropie quasi aufzeichnen. In ihrem Text entwickeln die Forscher um Hawking mathematisch-physikalische Formeln, die dieses Geschehen am Ereignishorizont abbilden und darlegen, wie die Information erhalten bleibt. Zentral dabei seien spezielle quantenphysikalische Symmetrien.

Perry und seine Kollegen denken, bei der Lösung des Problems einen Schritt weitergekommen zu sein. "Aber es bleiben noch einige Rätsel zu lösen", so Perry. So müsse noch geklärt werden, ob der "Haarkranz" aus Photonen am Ereignishorizont wirklich die gesamte Information der eingesogenen Objekte speichert. "Denn wenn es nur die Hälfte oder selbst 99 Prozent sind, dann hat man das Problem nicht gelöst." (Klaus Taschwer, 15.10.2018)

Morgen im STANDARD: eine ausführliche Rezension von "Kurze Antworten auf letzte Fragen"