Enée ist davongesegelt, um Rom zu gründen: Die verlassene Königin Didon (Joyce DiDonato) lässt die Erinnerungsstücke an die Trojaner für eine Verbrennung stapeln.

Foto: Michael Pöhn

Welch Glück, dass Monarchin Didon so unglücklich ist: Nachdem ihr der flatterhafte Herzensheld Enée eröffnet hat, ihre Rauschliebe der Pflichterfüllung opfern und nach Italien wegsegeln zu wollen, geht hinter der verzweifelten Königin ein schwarzer Vorhang darnieder. Fassungslos singt sich Didon (Dido) Richtung Wahnsinn, es entschwebt die Verlassene in spe mit dramatischem Klagegesang in lichte Höhen der Verzweiflung. Für den Premierenabend ist dies allerdings ein regelrecht befreiender Glücksmoment.

Die US-amerikanische Mezzosopranistin Joyce DiDonato – zuvor schon ein vokaler wie szenischer Lichtblick dieser trägen Arbeit von Regisseur David McVicar – formt ein dichtes Porträt des Entsetzens, echtes Opernleben erstrahlt: Bis an die (auch vokalen) Grenzen der Selbstentäußerung geht DiDonato, um jenem Unerträglichen, dem ihr Selbstmord das Ende bereiten wird, expressiv Ausdruck zu verleihen.

Sie war mit ihrem markanten, leicht flehenden Tonfall eine die trojanischen Flüchtlinge großzügig umsorgende Gründerin der Stadt Karthago. Sie war auch die ihre Zuneigung zu Enée (also Aeneas) in kostbare Lyrik hüllende Verliebte. Nun explodiert aus ihr der Furor einer inneren Apokalypse, die auf dem Scheiterhaufen – ein Hügel aus trojanischen Erinnerungsstücken – enden wird.

Schablonen statt Figuren

Das Ironische dabei: In diesem ausstattungsfreien Augenblick erreicht die opulente Grand-opéra-Version, die erstmals 2012 in London gezeigt wurde und nun nach langer Kooperationsfahrt die Wiener Gestade (Staatsoper) erreicht hat, ihren szenischen Höhepunkt.

Dieser zeigt dabei exemplarisch, in welch signifikantem Ausmaß dieser Modeschau der szenischen Konventionen zuvor der Wille gefehlt hatte, Charaktere zu gestalten und die Interaktion zwischen den Figuren zu formen. Als verließe sich die Regie auf die Ausstattung, erzählt sie die Geschichte der trojanischen Flüchtlinge reichlich schwerfällig rund um eine architektonische Monumentalität (ersonnen von Es Delvin), die sie durch vertiefende szenische Ideen nicht behelligen will: Zu Beginn mahnt Cassandre (grandios intensiv: Monika Bohinec, die kurzfristig für Anna Caterina Antonacci einsprang) an den Mauern Trojas, die wie ein riesiger, sich in der Mitte öffnender Öltank geformt sind.

Epochenvermählung

Später bestaunt das Volk das schaukelnde trojanische Pferd, das als imposante Skulptur aus Resten griechischen Kriegsgeräts besteht. Dieses Waffenzeug wiederum – wie auch die Uniformen – symbolisiert eine Epochenvermählung: Antike Rüstungen treffen auf Kriegsmode jener Zeit, als Hector Berlioz (in Frankreich des 19. Jahrhunderts) seine Troyens komponierte.

Das alles bewirkt optische Effekte, leuchtet das Pferdchen ja auch noch lampenrot auf, was – zum Finale – eine Männerskulptur ebenfalls tut. Sie scheint ihren Bizeps anzuspannen und beschert der Inszenierung einen etwas lächerlich-protzigen Schluss.

Nicht zu vergessen, dass auch Karthago errichtet wird: Vor halbkreisförmig angeordneten Lehmhäuschen steht ein Miniaturentwurf der Stadt auf einer Plattform, die Didon als ihr Werk freudig betrachtet. Während die süffige Musik, die zwischen Prunk und Intimität changiert, dahintönt, gibt es in Karthago dann auch Zeitvertreib durch triviale Choreografie (Lynne Page).

Vokale Qualität

Später wird dieses Stadtmodell in Trümmern liegen wie Didons Traum vom Zusammenleben mit dem Helden, der unerschütterlich in skulpturaler Pose verharrt: Brandon Jovanovich allerdings singt immerhin mit prachtvoller Vitalität, dabei so durchdringend wie klar. Er fügt sich als Enée in ein sehr gutes Kollektiv: Zu erwähnen wären Jongmin Park (als Narbal), Benjamin Bruns (als Hylas), Szilvia Vörös (als Anna) und letztlich auch Adam Plachetka (als Chorèbe). Und natürlich soll auch die engagierte Arbeit des Staatsopernchors nicht unterschlagen werden, den der Slowakische Philharmonische Chor ergänzte.

Dass die Vollständigkeit dieser Opernversion nicht zur grausamen Geduldübung wurde, ist auch dem Staatsopernorchester unter Alain Altinoglu zu verdanken. Das Gespann transportiert die orchestrale Erzählung mit sattem Klang, der den romantischen Passagen Atmosphäre verleiht. Durch die Flexibilität des Orchesters, das auch Dramatik wie tänzerische Heiterkeit pointiert umsetzt, kommen trotz des epischen Charakters des dramaturgisch ausufernden Werkes denn auch nie Gefühle von Stillstand auf.

Im Gegenteil: Es ging leicht dahin zwischen harmlosem Gehüpfe und Tragödie. Zwischen Liebesidyll und Trennungsschmerz, den Didon mit einem Bauchstich beendete. (Ljubiša Tošić, 15.10.2018)