In Carrickcarnan liegt der lokale Friedhof auf irischem Gebiet, die dazugehörige Kirche steht auf der nordirischen Seite. Mit einem Lkw-Anhänger machen Politaktivisten auf ihr Problem aufmerksam.

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Theaterdonner oder Regierungsdämmerung? Nachdem am Wochenende eine Einigung zum Greifen nahe schien, haben London und Brüssel ihre Brexit-Verhandlungen vorläufig auf Eis gelegt. Ein Durchbruch rechtzeitig zum EU-Gipfel am Donnerstag schien am Montag kaum noch möglich. Spekulationen darüber, es handle sich um einen "inszenierten Streit", trat Premierministerin Theresa May entgegen: Der Sonderstatus für Nordirland sei "ein echtes Problem", warnte sie im Unterhaus.

Um dem Karfreitagsabkommen von 1998 gerecht zu werden, das einen blutigen Bürgerkrieg mit 3500 Toten und zehntausenden Verletzten beendete, soll die innerirische Grenze auch zukünftig offenbleiben. Darin sind sich alle Beteiligten einig, und das Vereinigte Königreich hat dies bereits vertraglich zugesichert.

Lösung gesucht

Gesucht wird nun nach einer Lösung, mit der Nordirland im Binnenmarkt und der Zollunion für Güter und Agrarprodukte bleiben kann, ohne das Gebiet wirtschaftlich von Großbritannien zu trennen. Letztere Möglichkeit fürchten die erzkonservativen DUP-Unionisten unter der früheren nordirischen Ministerpräsidentin Arlene Foster; weil die zehn DUP-Abgeordneten Mays konservative Minderheitsregierung an der Macht halten, hat die Regierungschefin dem Druck aus Belfast bisher stets nachgegeben.

Aber Bedenken gegen den nordirischen Sonderstatus kommen auch aus Schottland. Übereinstimmend drohten die hochpopuläre schottische Tory-Chefin Ruth Davidson und Schottland-Minister David Mundell mit ihrem Rücktritt für den Fall, dass May EU-Zollkontrollen zwischen Grossbritannien und Nordirland zustimmt. Die Konservativen fürchten Konsequenzen für ihren eigenen Landesteil, schließlich haben die Schotten viel deutlicher den Brexit abgelehnt als die Nordiren; zudem drängt die SNP weiterhin auf die Unabhängigkeit.

SNP-Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon drängt auf einen deutlich weicheren Brexit als von May geplant: Das gesamte Land solle in Binnenmarkt und Zollunion verbleiben. "Damit wäre auch das nordirische Problem gelöst."

Am Montagabend wollten sich EU-feindliche Minister und Ministerinnen untereinander absprechen, wie sie sich bei der Kabinettssitzung am heutigen Dienstag positionieren wollen. Die britischen Medien spekulieren seit Tagen über einen möglichen Rücktritt von Andrea Leadsom, die im Unterhaus für die Gesetzgebung der Regierung zuständig ist, sowie der Ressortchefs für Entwicklungshilfe und Soziales, Penelope Mordaunt und Esther McVey. Letztere entkäme einem Ministerium, dessen groß angekündigte Sozialhilfe-Reform derzeit in sich zusammenbricht.

EU wartet auf Mays Angebot

Die EU-27 treten bisher in Sachen Brexit erstaunlich einig auf. Was die Frage der inneririschen Grenze betrifft, hätte Chefverhandler Michel Barnier sogar Spielraum für mehrere Varianten, aber nur unter einer Bedingung: Die Grundprinzipien des EU-Binnenmarktes dürfen nicht verletzt werden. Es kann für die Briten keinen Marktzugang à la carte geben; Sollten sie am Binnenmarkt teilhaben wollen, muss London die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes akzeptieren.

Auch eine "Hongkong"-Lösung für Nordirland mit völlig offenen Grenzen wäre denkbar, aber nur, wenn die EU in die Lage versetzt wird, auf britischem Gebiet Zollkontrollen durchzuführen und wenn beim Handel EU-Standards eingehalten werden. Bereits im Dezember vergangenen Jahres wurde eine "Auffanglösung" vereinbart, dass Nordirland in der Zollunion bleiben könne, sollte man keine bessere Lösung finden.

Nun werden sich die Regierungschefs beim EU-Gipfel am Mittwoch und Donnerstag in die Verhandlungen einschalten. Alle Detailprobleme werden sie in der Kürze der Zeit kaum lösen können. Ein Brexit-Sondergipfel im November ist wahrscheinlich. (Sebastian Borger aus London Thomas Mayer aus Brüssel, 15.10.2018)