Nachdem ein Mann Molotowcocktails in ein Kölner Schnellrestaurant geworfen hatte, verschanzte er sich mit einer Geisel in einer Apotheke. Gegen ihn wurde ein Haftbefehl wegen versuchten Mordes erlassen.

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Köln/Wien – Auch einen Tag nach der Geiselnahme am Kölner Hauptbahnhof war noch vieles unklar. Der Täter, der beim Zugriff der Polizei schwer verletzt wurde, befand sich nach einer Notoperation am Dienstag weiter auf der Intensivstation im Koma. Lebensgefahr bestehe laut Behörden aber nicht mehr. Zumindest seine Identität konnte nun festgestellt werden. Es handle sich zweifelsfrei um den Mann, dessen Papiere die Polizei am Tatort gefunden hatte, sagte ein Polizeisprecher. Dieser sei ein 55 Jahre alter Syrer mit offiziellem Flüchtlingsstatus. Er sei polizeibekannt.

Der Mann hatte Montagmittag in der Stadt in Nordrhein-Westfalen (NRW) in einem Fastfood-Restaurant Molotowcocktails geworfen und sich dann in einer Apotheke mit einer Angestellten verschanzt. Ein Spezialkommando der Polizei griff ein und schoss den Täter nieder, als dieser offenbar die Geisel anzünden wollte. Bei alldem wurden eine Jugendliche und zwei Frauen verletzt.

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Das Motiv des Täters war am Dienstag noch unklar, die Polizei schloss einen terroristischen Hintergrund nicht aus. Zeugen zufolge soll der Mann gesagt haben, dass er der "Terrorgruppe Daesh" angehöre. Dabei handelt es sich um den arabischen Namen der Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Am Dienstag durchsuchte die Kölner Polizei seine Wohnung, dabei wurde aber kein Bekenntnis zum IS gefunden. Schriftzeichen an den Wänden hätten zwar einen intensiven muslimischen Bezug, aber keine konkret islamistischen Bekenntnisse zum sogenannten Islamischen Staat, so die Polizei. Es würden aber noch Datenträger ausgewertet.

Triebfeder polizeilichen Handelns

Wann genau die Polizei bei einer Geiselnahme eingreife, könne man pauschal nicht sagen, erklärte Uwe Thieme, Leitender Polizeidirektor beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW. Thieme war bereits bei zahlreichen Einsätzen zu Geiselnahmen in leitender Funktion tätig, auch das Gladbecker Geiseldrama erlebte er 1988 hautnah mit. "Die Triebfeder polizeilichen Handelns ist einerseits die Gefahrenabwehr: Wie befreien wir die Geiseln? Andererseits geht es um die Strafverfolgung: Wie ergreifen wir den Täter, wie können wir Beweise sichern?", so Thieme zum STANDARD.

Da gelte es immer abzuwägen, eine feste Formel für einen Zugriff gebe es aber nicht. Gefahrenabwehr gehe aber stets vor Strafverfolgung. Der Einsatzleiter trifft vorab eine strategische Entscheidung, bei welchen Entwicklungen der Zugriff erfolgen soll. Er legt vor Ort fest, wie handwerklich eingegriffen werden soll. Die Risiken würden gemeinsam abgewogen, so Thieme.

Weniger Geiselnahmen

Der Einsatzanlass Geiselnahme wie nun in Köln hat laut Thieme in den 2000ern an Bedeutung verloren. Anders sei es mit Szenarien im sozialen Nahbereich, so Thieme, etwa wenn "der betrunkene Ehemann seine Frau festhält. Das ist bei uns aber keine Geiselnahme, das ist eine Bedrohungslage." (Kim Son Hoang, 16.10.2018)