Alexandra D. war am 13. November 2015 dann doch nicht im Le Carillon.

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Alexandra D. erzählte den Medien immer wieder, wie sie vor drei Jahren, an jenem 13. November 2015, auf der Terrasse des Pariser Bistros Le Carillon gesessen habe, als die Terroristen kamen. Eine Gewehrkugel habe sie am Ellenbogen getroffen, fügte sie mit Verweis auf eine Narbe an. Schuldgefühle zeigte sie gegenüber den 130 Todesopfern jener Schreckensnacht: "Ich fragte mich ständig, ob ich sie hätte retten können."

All das war gelogen. Am Dienstag ist die 33-Jährige von einem Gericht zu zwei Jahren Haft, davon sechs Monate unbedingt, verurteilt worden. Unter Tränen hatte sie zuvor gestanden, dass sie den 13. November zu Hause verbracht habe und die ganze Szene erfunden hatte. Auf die Schliche gekommen waren ihr ein Opferverband und die von ihm eingeschaltete Polizei, weil Alexandra D. in ersten Interviews mit roten Augen – aber unverletztem Ellenbogen – erklärt hatte, sie sei Stammgast in dem Bistro, auch wenn sie an jenem Abend nicht dort gewesen sei.

Ihr Motiv wurde im Prozess nicht ganz klar. Der Staatsanwalt sprach von "Geldgier" und setzte durch, dass die Angeklagte den von einem Opferfonds bezogenen Betrag von 20.000 Euro zurückzahlen muss. Die junge Frau bat unter Tränen um Verzeihung und meinte vage, sie habe sich in einer "Schutzblase" gefühlt, als sie an einer Erholungswoche für Terroropfer in der Normandie teilgenommen habe. Das Gericht erlegte ihr eine Psychotherapie auf.

In Frankreich sind solche Fälle weniger selten, als man annehmen würde. Fünfzehn Personen sind schon verurteilt worden, weil sie sich fälschlicherweise als Opfer der Pariser Anschläge von 2015 ausgegeben haben. Rettungsfahrer Cédric R. etwa erzählte, wie er gegenüber dem Bataclan-Konzertlokal in einem Café gesessen und dann einem Verwundeten geholfen habe. Schließlich gab er zu, dass er an jenem Abend in seinem Auto auf der Autobahn unterwegs gewesen war. Er erhielt 18 Monate Haft bedingt.

Druckwelle ohne Bombe

Zwölf Monate erhielt die 24-jährige Laura L., die der Polizei eine Geschichte mit einem Schönheitsfehler aufgetischt hatte: Sie erzählte nicht nur detailliert von der blutigen Szenerie im Le Carillon, sondern auch von der Druckwelle der Explosion. Bloß war dort keine Bombe hochgegangen.

Auffällig ist, dass die Motive meist nicht pekuniärer Natur sind. Eher scheinen die Hochstapler in den Sog der auf die Anschläge folgenden Medienbilder zu geraten – und daran teilhaben zu wollen. Opfervertreter Julien Rencki fordert dennoch eine harte Bestrafung: "Diese Betrüger säen Zweifel über das Leiden der echten Opfer." Renckis Opferverband FGTI hat bereits 6000 Opfer entschädigt. Jetzt werden ihre Berichte neu überprüft – aber diskret, um die wirklichen Opfer nicht zusätzlich zu traumatisieren. (Stefan Brändle aus Paris, 16.10.2018)