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John Carlos (links) und Tommie Smith, ...

Foto: AP/ Sait Serkan Gurbuz

1968 im Protest vereint (Carlos rechts), treffen einander heute noch regelmäßig.

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Die Sache mit den Handschuhen – wenn Tommie Smith fünfzig Jahre danach von ihr erzählt, erzählt er von einer Übung im Improvisieren. Am Tag vor der Siegerehrung hatte er seine Frau gebeten, ein Paar schwarzer Lederhandschuhe zu kaufen. Mit John Carlos, seinem Freund und Rivalen, sei er sich einig gewesen, dass sie ein Zeichen des Protests setzen mussten. "Aber was genau, das wussten wir erst im allerletzten Moment. Noch kurz bevor ich die Arena betrat, konnte ich nicht sagen, was ich auf dem Podest tun würde."

Protest

Das Bild ging um die Welt. Zwei schwarze Amerikaner, die ihre Fäuste recken und die Köpfe senken, als die ersten Töne des Star Spangled Banner erklingen, der Hymne ihres Landes. Beide waren statt in Schuhen in Socken über den Stadionrasen gelaufen, ein Symbol für die Sklaverei und die Armut vieler Afroamerikaner, erklärt Smith. Die Fäuste hätten für ein kraftvolles Sichauflehnen gestanden, nicht unbedingt für die Black-Power-Bewegung, wie es seinerzeit hieß. "Ich nenne es den Schrei nach Freiheit, nicht Black Power", korrigiert Tommie Smith. Das Internationale Olympische Komitee, erzählt er noch, habe wohl etwas geahnt und Jesse Owens, den legendären Olympiasprinter von 1936, zu ihnen geschickt, um ihnen das mit dem Protest auszureden – vergebens.

Smith hatte das olympische 200-Meter-Finale von Mexiko-Stadt gewonnen, Carlos wurde Dritter. Im Newseum, dem Nachrichtenmuseum Washingtons, wo sich die Gelegenheit zum Interview ergibt, sind zwei ältere Herren zu erleben, die rein optisch so gar nichts von Rebellion an sich haben. Smith (74) erscheint im Nadelstreif, mit Weste unter dem Jackett, ein hochgewachsener, stämmiger Herr mit blankpolierter Glatze. Carlos, ein Jahr jünger, auch er kahlköpfig, sitzt die meiste Zeit in einem Rollstuhl.

Auszeichnung

Das Newseum hat ihnen vor Monaten den Free Expression Award verliehen, eine Auszeichnung für Menschen, die leidenschaftlich für das Recht auf Meinungsfreiheit kämpfen und dabei persönliche Risiken in Kauf nehmen. Auf dem Campus der San José State University, der kalifornischen Hochschule, an der beide studierten und trainierten, ist den berühmten Fäusten seit 2005 ein Denkmal gewidmet. Das Motiv gehört längst zum Ikonenschatz der amerikanischen Demokratie.

Rein sportlich gesehen stand es damals auf der Kippe. Im Halbfinale hatte sich Smith einen Muskel in der Leistengegend gezerrt. Den Endlauf habe er bestritten, ohne sich vorher groß aufzuwärmen, er ließ es langsam angehen. Erst achtzig Meter vor dem Ziel habe er richtig Gas gegeben. Das Rennen, dies wolle Smith noch betonen, habe er ebenso wie Carlos in Schuhen der Marke Puma bestritten, "der einzigen Marke, die uns respektierte". Adidas habe sich geweigert, schwarze Athleten zu beliefern.

Kaepernick, Trump und Hühnerstall

Nike gab es damals noch nicht. Das Gesicht der neuesten Werbekampagne des US-Unternehmens ist Colin Kaepernick, der Footballprofi, der aus Protest niederkniete, sobald die Hymne gespielt wurde. Donald Trump hat die Footballklub-Besitzer daraufhin aufgefordert, Spieler, die dergleichen tun, ohne viel Federlesens zu feuern. Die Worte des Präsidenten, sie lassen Smith, so abwegig das klingen mag, an den Hühnerstall seiner Mutter denken. Die habe all ihre Hühner gefüttert, egal wie seltsam sich eines benommen habe. Trump sei auf seine Weise ein krankes Huhn. "Aber ich werde ihm Futter geben, indem ich auch ihn Mister President nenne."

Nach der Zeremonie an jenem Oktobertag des Jahres 1968, erinnert sich Carlos, habe er neben Applaus auch Buhrufe gehört, und manche Zuschauer hätten mit dem Daumen nach unten gezeigt. Vor Journalisten ließ er seinem Frust freien Lauf. "Für die Weißen sind wir nur so etwas wie Turnierpferde. Sie geben uns Erdnüsse, klopfen uns auf den Rücken und sagen: Gut gemacht, Boy." Wenn er siege, sei er Amerikaner, hat Smith damals ergänzt. "Wenn ich etwas Schlechtes tue, nennen sie mich einen Neger. Das schwarze Amerika wird verstehen, was wir gemacht haben."

Morddrohungen

Für Smith wie für Carlos war es das letzte internationale Rennen. Die Olympier veranlassten eine Sperre, es gab Morddrohungen. Beide suchten ihr Glück erfolglos im Football. Danach hielt sich Carlos eine Zeitlang mit Gelegenheitsjobs über Wasser, als Türsteher, in einer Putzkolonne. Seine Ehe hielt dem Stress nicht stand. Smith, Sohn von Baumwollpflückern, machte den Abschluss in Soziologie, schlug eine akademische Laufbahn ein. In Mexiko, sagt er zum Schluss, hätten sie das Richtige getan. "Und mit der Zeit hat auch die Gesellschaft erkannt, dass es gut für sie war." (Frank Hermann aus Washington, 17.10.2018)