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Edward Snowden deckte 2013 den NSA-Skandal auf.

Foto: AP

Edward Snowden: Ist er ein Held oder ein Verräter? Mehr als fünf Jahre nach seinen spektakulären NSA-Enthüllungen sorgt diese Frage noch immer für heftige Diskussionen. Für die einen ist der wohl bekannteste Whistleblower der Held des 21. Jahrhunderts, für sein Heimatland, die USA, und viele andere bleibt er ein Verräter, der Terroristen in die Hände gespielt habe.

Dabei begann alles ganz anders: Aus Liebe zu seinem Heimatland, wie er selbst gerne betont, meldet sich Snowden, aus einer Militärfamilie stammend, 2003 freiwillig zum Einsatz im Irak-Krieg. Später bewirbt er sich bei den Special Forces, wo er sich jedoch bei einem Trainingskurs beide Beine bricht. Er landet schließlich beim US-Geheimdienst CIA und wird aufgrund seines Programmiertalents auf die virtuelle Bekämpfung von Terrorismus angesetzt. Erstmals erhält er Zugang zu streng geheimen Informationen.

Skepsis

Bei seiner Stationierung in Genf erfährt Snowden von PRISM, einem Programm, mit dem die US-Geheimdienste auf Millionen Daten von Nutzern von Internetfirmen wie Facebook oder Google zugreifen können. Schon jetzt ist er nach eigenen Angaben skeptisch, lässt sich aber von der Notwendigkeit der Maßnahmen überzeugen. Andere Vorgänge bringen ihn dazu, die CIA zu verlassen. Über die Vertragsfirma Booz Allen Hamilton landet er schließlich als externer Mitarbeiter bei der National Security Agency (NSA), stationiert in Hawaii.

Verbrechen begangen

Seinen Schritt, an die Öffentlichkeit zu gehen und die Welt über die beispiellose Massenüberwachung, die seiner Meinung nach gegen die Menschenrechte sowie die US-Verfassung verstößt, zu informieren, plant der junge Computerexperte genau und lange Zeit im Voraus. Dass er damit in Konflikt mit dem Gesetz gerät, ist dem damals 29-Jährigen bewusst. Er habe sich dazu entschlossen, ein "Verbrechen zu begehen, um ein noch viel größeres offenzulegen", wird er später dazu sagen.

2013 flüchtet Snowden nach Hongkong – eine Kopie tausender vertraulicher Dokumente im Gepäck -, wo er sich schließlich den Journalisten Laura Poitras und Glenn Greenwald anvertraut. Kurz darauf tritt er an die Öffentlichkeit, ein Katz- und Mausspiel folgt. Snowden flieht aus einem Hotel in Hongkong und taucht bei verschiedenen Flüchtlingsfamilien in der Stadt unter, bevor sein Anwalt Robert Tibbo die Flucht – eigentlich geplant nach Lateinamerika – organisiert. Weil die USA seinen Pass annullieren, strandet Snowden bei einer Zwischenlandung aber auf einem Moskauer Flughafen. Nach wochenlanger Unklarheit über seinen Aufenthaltsort erhält der Whistleblower Asyl, später ein Geschäftsvisum für Russland. Bis heute lebt er im Großraum Moskau.

"Berechtigte Sorgen"

Eigentlich, so beteuert Snowden immer wieder, möchte er am liebsten zurück in die USA. In seiner Heimat ist der heute 35-Jährige jedoch unter dem "Espionage Act" angeklagt, der es ihm nicht erlaubt, die Argumente für sein Tun vor einer Geschworenen-Jury darzulegen. Zudem droht die Todesstrafe – ein Urteil, das auch US-Präsident Donald Trump favorisiert. Aber auch dessen Vorgänger Barack Obama war Snowden gegenüber nicht besonders wohlwollend. So ließ er sich von einer Bürgerrechtskampagne, die die Begnadigung Snowdens kurz vor Ende der Amtszeit Obamas forderte, nicht beeindrucken, räumte aber ein, dass dieser "berechtigte Sorgen" angesprochen habe.

Aus Europa erfuhr Snowden zwar immer wieder große Unterstützung und erhielt zahlreiche Preise. Doch sein Asylgesuch wollte keines der 21 Länder, in denen der US-Amerikaner einen Antrag stellte, akzeptieren. Auch Österreich winkte aus formalen Gründen ab. Kritiker sehen hinter den Entscheidungen auch politischen und wirtschaftlichen Druck seitens Washingtons.

Asyl in Russland

Ein Held also, den niemand wirklich will – außer Russland? Tatsächlich scheint es, als sei Russland derzeit der einzig sichere Ort für Snowden. Doch "was sagt das über unsere Welt, wenn das einzig sichere Land für einen US-amerikanischen Whistleblower Russland ist?", stellte er selbst die Frage.

Dass Snowden nun ausgerechnet in Russland lebt, dem Menschenrechtsorganisationen auch kein besonders gutes Zeugnis ausstellen, brachte ihm viel Kritik ein. Er sei ein russischer Spion, habe die streng geheimen Dokumente der US-Geheimdienste, von denen im Übrigen bisher nur ein Bruchteil veröffentlicht wurde, mit Moskau geteilt. Snowden selbst bestreitet dies.

Andere Kritiker werfen ihm vor, US-amerikanische und britische Geheimdienstarbeit düpiert zu haben. Mit seinen Enthüllungen habe er Militär- und Anti-Terror-Strategien verraten, die Abwehr- und Angriffsmethoden Amerikas gegen Cyberangriffe offengelegt und damit den Feinden in die Hände gespielt. Snowdens Verteidiger wiederum meinen, dass nichts veröffentlicht worden sei, was Terroristen nicht ohnedies schon gewusst hätten.

Überwachung öffentlich gemacht

Viel wichtiger, so die Fürsprecher, sei, dass er ein Thema immensen öffentlichen Interesses, nämlich die Praxis der massenhaften, anlasslosen staatlichen Überwachung, öffentlich gemacht und dafür Bewusstsein geschaffen habe. Er habe zeigen wollen, dass in der Gesellschaft etwas schiefläuft. Und wie gefährlich es für jeden werden könnte, wenn Politiker, die über solche Techniken verfügten, diese missbrauchten, um etwa Kritiker mundtot zu machen. Seine Enthüllungen seien demnach als "Akt zivilen Ungehorsams im Zeitalter der totalen Überwachung" zu sehen.

Snowden selbst bereut seinen Schritt jedenfalls nicht, wie er in Interviews immer wieder wiederholt. Er gehe jede Nacht mit der Gewissheit ins Bett, für seine Überzeugungen gekämpft zu haben

Snowdens Anwalt bereut nichts

Robert Tibbo lebt für seinen Beruf: Vor allem seit der Menschenrechtsanwalt Snowden vor rund fünf Jahren zur Flucht aus Hongkong verholfen hat, arbeite er fast rund um die Uhr. Der Fall Snowden habe sein Leben durchaus schwieriger gemacht, doch bereue er nichts, sagt Tibbo im Interview mit der APA und der "Tiroler Tageszeitung" (TT).

"Ich bereue vor allem nicht, getan zu haben, was die Aufgabe eines Anwalts ist", betont der Kanadier. "Wenn Sie selbst der Angeklagte sind, welchen Anwalt möchten Sie haben?" Diese Frage stelle er sich selbst immer wieder und versuche dann eben, ein möglichst guter Rechtsbeistand für jeden seiner Klienten zu sein, so Tibbo. Auch wenn es "sehr schwierig, teilweise extrem schwierig" gewesen sei – das sei "Teil der Arbeit, vor allem bei einem so politischen Thema".

Tibbo vertritt neben seinem wohl berühmtesten Klienten auch die sogenannten Snowden-Flüchtlinge in Hongkong – jene Familien, die selbst Asylwerber in Hongkong sind und Snowden im Juni 2013 Unterschlupf gewährten, als die Welt über den Verbleib des Whistleblowers rätselte. Seit 2016 ihre Identität bekannt wurde, versuche Hongkong sie loszuwerden. Die Regierung gehe auf die "verletzlichste Bevölkerungsschicht" los, kritisiert Tibbo. "Und als das nicht funktioniert hat, haben sie mit den Rechtsanwälten begonnen."

Zulassung aberkennen

Man habe ihm die Zulassung als Anwalt aberkennen wollen, die Einwanderungsbehörde habe Beschwerde gegen ihn wegen "Fehlverhaltens" eingebracht. Er stehe seinen Klienten "zu nahe" und könne sie deshalb nicht mehr vertreten, so der Vorwurf. Der Jurist denkt aber nicht ans Aufgeben. "Das ist nicht, was ich von einem Anwalt erwarte – als Person, deren Leben in Gefahr ist." Er werde jedenfalls nicht aufgrund von "Drohungen durch die Regierungen klein beigeben und sich zurückziehen", bekräftigt er. "Ich werde nicht zulassen, dass die Regierung mich stoppt."

Die insgesamt sieben "Snowden-Flüchtlinge" (vier Erwachsene, drei Kinder) sind indes weiter "in der Schwebe", seit eineinhalb Jahren warteten sie auf eine Entscheidung nach ihrer Berufung gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge 2017. Bis auf einen Fall sei auch die staatliche finanzielle Unterstützung eingestellt worden. "Wir sind daher auf Spenden angewiesen", so Tibbo unter Verweis auf die Hilfsorganisation "For the Refugees". "Wenn also die österreichische Bevölkerung helfen will – wir schätzen jede Unterstützung, jeder Beitrag ist willkommen."

"Politische Apathie" weltweit

Ob sich der Menschenrechtsanwalt mehr mediale Berichterstattung über die Themen, die Edward Snowden an die Öffentlichkeit gebracht hat – Massenüberwachung, Schutz der Privatsphäre u.ä. – wünschen würde? "Die Aufmerksamkeit vieler Menschen liegt im Alltag woanders", Regierungen würden sich auf andere Probleme konzentrieren, so Tibbo. Diese "politische Apathie" krieche über den ganzen Planeten. "Für die allgemeine Bevölkerung in vielen Ländern ist öffentliches Bewusstsein schlicht keine Priorität, was besorgniserregend ist."

Auch dass Snowden in Europa zwar viel Sympathie erhalten hat, aber keines der 21 Länder, in denen der Computerspezialist um Asyl ansuchte, ihm dieses gewähren wollte, ist für Tibbo enttäuschend. Es sei "eindeutig großer politischer Druck" auf diese Länder ausgeübt worden, kritisiert er. Wahrscheinlichstes Szenario nach 2020 – dann läuft das aktuelle Visum des US-Amerikaners in Russland aus – sei, dass dieses verlängert werde, Snowden also in Moskau bleibt, erklärt Tibbo. Dass Snowden kürzlich den russischen Präsidenten Wladimir Putin als "korrupt" bezeichnete, habe seinen Informationen nach bisher keine "nachteiligen Folgen" gehabt.

Scharfe Worte

Er selbst findet hingegen scharfe Worte für die US-Regierung unter Donald Trump: Diese habe "offensichtlich so viele Probleme für sich und für so viele Menschen in den Vereinigten Staaten geschaffen, dass Herr Trump sich auf sein politisches Überleben konzentriert", so der Kanadier. Es scheine, dass der "Medien-Rausch" um Trump, aber auch seine Agenda und seine Fehltritte die "Aufmerksamkeit von vielen wichtigen Themen abgelenkt hat – wie Herrn Snowden", schildert Tibbo. Die ganze Welt sei in Beschlag genommen von "wie soll ich es sagen – Präsidentenunterhaltung". (APA, 17.10.2018)