Budapest – Mit seiner Unterschrift unter einen Regierungserlass hat Ungarns nationalkonservativer Premier Viktor Orbán das Fach Geschlechterstudien – auch Gender-Studies genannt – von den Universitäten des Landes verbannt. Der Ukas vom Freitag listet die in Ungarn zugelassenen Masterfächer auf. Dort, wo bisher die Gender-Studies standen, prangt nun eine Leerstelle. "Auf einmal gibt es uns nicht mehr" , schrieb Andrea Petö, Professorin für Gender-Studies an der Budapester Central European University (CEU), auf ihrer Facebook-Seite.

Die Abschaffung des Lehrfachs hatten Regierungsvertreter schon im August in Aussicht gestellt. Damals hieß es, es bestehe kein Bedarf an Absolventen. Doch die Regierung propagiert ein rückwärtsgewandtes Frauen- und Familienbild. Sie weigert sich etwa beständig, die Istanbuler Konvention gegen häusliche Gewalt vom Parlament ratifizieren zu lassen.

Die Gender-Studies arbeiten heraus, wie männliche und weibliche Rollenbilder gesellschaftlich konstruiert und nicht naturgegeben sind. Orbán und seinen Ideologen ist das ein Dorn im Auge. Sie verschreiben ihren zehn Millionen Staatsbürgern eine "christliche und nationale Identität". Von der Norm abweichende Auffassungen über die Geschlechterrollen passen da nicht hinein.

Unliebsame Studien

Bisher boten lediglich zwei ungarische Universitäten Masterlehrgänge in Geschlechterforschung an: die CEU und die Budapester Eötvös-Universität (ELTE). Jeweils rund 20 Studenten und Studentinnen haben dieses Lehrfach belegt. Laufende Lehrgänge können zu Ende geführt werden. Die Universitäten dürfen jedoch keine neuen starten.

Die Orbán-Regierung will kritische Wissenschaft zunehmend abwürgen. Auch die angesehene Ungarische Akademie der Wissenschaften (MTA) nimmt sie an die Kandare. Zwei Drittel ihres Budgets darf diese nunmehr nicht mehr selbst verwalten, über die Vergabe dieser Forschungsgelder entscheidet das Innovationsministerium. Vor allem Sozialwissenschafter der MTA haben mit ihren profunden Studien zur Armut in Ungarn oder zur Migration den Ärger der Orbán-Leute auf sich gezogen.

Proteste

Gegen die Abschaffung der Gender-Studies protestierten zahlreiche Akademiker und ihre Institutionen, so etwa in der Nacht zum Mittwoch die Sozialwissenschaftliche Fakultät der ELTE. Die CEU, eine Gründung des liberalen US-Milliardärs George Soros, wird das Lehrfach weiter anbieten, allerdings nur in der in den USA akkreditierten Version – die Abschlüsse wären dann in Ungarn nicht gültig. Letzteres wird vielleicht bald keine Rolle mehr spielen: Der Fortbestand der CEU in Ungarn ist durch eine Anlassgesetzgebung der Orbán-Regierung ernsthaft bedroht, der Umzug nach Wien bereits geplant. (Gregor Mayer, 18.10.2018)