Die bevorstehende Reform bringt eine Neuordnung der Sozialversicherung.
Illustration: Davor Markovic

Am Freitag endete die Begutachtungsfrist für den Gesetzesentwurf der Regierung zur Kassenreform. Neben Einsparungen, deren Höhe Gegenstand politischer Diskussionen ist, bringt die Reform auch eine Neuordnung der Sozialversicherung und eine Änderung der bestehenden Organisation. Vor allem die Neuerungen im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) werden sich auf zahlreiche Bereiche der Gesundheitspolitik auswirken – von der Honorierung des Hausarztes bis zu den Entscheidungsstrukturen bei Sozialversicherungsträgern.

Vom Haupt zum Dach

Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger wird zu einem Dachverband umgebaut, der gemeinsame Interessen der Versicherungsträger wahrnehmen und trägerübergreifende Aufgaben koordinieren soll. Zahlreiche Agenden, die bisher beim Hauptverband angesiedelt waren, wandern zumindest mittelfristig zu den Versicherungsträgern.

So war der Hauptverband bisher für die Erstellung von Richtlinien zuständig; in Zukunft soll dem Dachverband nur noch deren Beschlussfassung obliegen, während die Vorbereitung der Richtlinien durch die Versicherungsträger erfolgt. Auch die Wahrnehmung trägerübergreifender Verwaltungsaufgaben soll durch einen oder mehrere Versicherungsträger erfolgen. In beiden Fällen gilt, dass der Dachverband formal nicht zur Übertragung dieser Aufgaben verpflichtet ist. Für den Fall, dass er die Übertragung bis 30. Juni 2021 nicht durchführt, kann die Gesundheitsministerin diese mittels Verordnung vornehmen.

Die neue Rolle des Dachverbands setzt sich auch bei den Strukturen fort: Die Geschäfte werden künftig nicht mehr von einem eigenen Verbandsvorstand geführt, sondern von der Konferenz der Sozialversicherungsträger, deren Mitglieder sich aus dem Kreis der Obleute der Versicherungsträger und deren Stellvertretern rekrutieren. Damit wird die zentrale Rolle des Hauptverbands in der Sozialversicherung erheblich reduziert und ist nun, grob gesagt, mit der Konferenz der Landeshauptleute vergleichbar.

Da war'n es nur noch ...

Die Zusammenführung von 21 Versicherungsträgern auf fünf Versicherungsträger ist das zentrale Element der Kassenreform. Insbesondere werden die neun Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse fusioniert, die ex lege sämtliche Rechte und Verbindlichkeiten der Gebietskrankenkassen übernimmt. Bestehende Gesamtverträge mit den Gebietskrankenkassen gelten bis zum Abschluss eines neuen Gesamtvertrages fort.

Damit ist auch eine Machtverschiebung bei den einzelnen Versicherungsträgern verbunden: Bisher setzten sich die Verwaltungskörper bei der AUVA je zur Hälfte aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern, bei der PVA zu zwei Dritteln aus Arbeitnehmer- und einem Drittel aus Arbeitgebervertretern, und bei den Gebietskrankenkassen zu vier Fünfteln aus Arbeitnehmer- und einem Fünftel aus Arbeitgebervertretern zusammen.

Künftig sind Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter je zur Hälfte in den Verwaltungskörpern der Versicherungsträger vertreten. Die Einflussmöglichkeiten bei den Sozialversicherungsträgern werden also neu geordnet. Damit ist diese Reform – gleich aus welchem politischen Blickwinkel sie betrachtet wird – sicherlich als massivste organisatorische Reform im Sozialversicherungsbereich in den letzten Jahrzehnten zu werten.

Neue Vertragsstruktur

Gesamtverträge sind Verträge zwischen Sozialversicherungsträgern und Ärztekammern, die – ähnlich wie Kollektivverträge – auch für den Einzelvertrag zwischen Kassenarzt und Versicherungsträger zwingende Wirkung entfalten. Sie regeln unter anderem den Stellenplan, die Auswahl der Kassenärzte und deren Honorierung.

Gesamtverträge kommen derzeit zwischen den Versicherungsträgern, vertreten durch den Hauptverband, und den örtlich zuständigen Ärztekammern zustande. Die bestehenden Gesamtverträge unterscheiden sich untereinander nur geringfügig, da sie einem zwischen dem Hauptverband und der Österreichischen Ärztekammer vereinbarten Mustergesamtvertrag folgen.

Künftig sollen die Versicherungsträger die Gesamtverträge selbst und bundeseinheitlich mit der Österreichischen Ärztekammer abschließen. Regionale Besonderheiten können durch Honorarvereinbarungen zwischen der Gesundheitskasse und den regionalen Kammern berücksichtigt werden. Ob sich aus dem Abschluss eines bundeseinheitlichen Gesamtvertrages mit regionalen Zusatzvereinbarungen relevante inhaltliche Änderungen und Angleichungen ergeben werden, bleibt abzuwarten.

Wahlarzt-Kostenersatz

Eine Neuregelung gibt es auch beim Kostenersatz für Behandlungen durch Wahlärzte. Hier findet sich die derzeitige Regelung – erstattet werden 80 Prozent des Kassentarifs – zwar weiterhin im Gesetz. Zusätzlich ist jedoch vorgesehen, dass die Höhe der Kostenerstattung davon abweichend in der Satzung festzulegen ist. Auf die in den (regionalen) Honorarordnungen festgelegten Grundvergütungen ist dabei Bedacht zu nehmen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wären in der Satzung auch Regelungen möglich, die von der "80-Prozent-Regel" deutlich abweichen. Eine Klarstellung, ob dies tatsächlich der Fall ist, wäre wünschenswert.

Starke Bundesaufsicht

Die Kassenreform stärkt die Aufsicht des Bundes über die Versicherungsträger und den Dachverband und weitet die Kontrollbefugnisse auf die Gesundheitskasse und die AUVA aus. So wird die Zweckmäßigkeitsprüfung der Aufsichtsbehörde auf die im Gesetz genannten "wichtigen Fragen" erweitert.

Schon bisher konnte die Aufsichtsbehörde verlangen, dass die Verwaltungskörper mit einer bestimmten Tagesordnung zu Sitzungen einberufen werden. Künftig können die von der Aufsichtsbehörde und dem Finanzminister in die jeweiligen Verwaltungskörper entsandten Vertreter auch Punkte von der Tagesordnung absetzen (bis zu zweimal pro Tagesordnungspunkt).

Neu ist auch das Zustimmungserfordernis der Aufsichtsbehörde und des Finanzministers zu Dienstpostenplänen. Die Stärkung der Aufsicht des Bundes bewirkt zugleich eine Schwächung der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, weshalb zu diesem Aspekt bereits verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht wurden.

Insgesamt verschiebt die Kassenreform die Machtverhältnisse in der Sozialversicherung weg vom Hauptverband hin zur neuen Gesundheitskasse. Zugleich werden die Rechte des Bundes zulasten der Selbstverwaltung gestärkt. Wie stark diese Änderungen in der Praxis zu spüren sind, wird sich jedoch erst in den nächsten Jahren zeigen. (Thomas Zivny, Katharina Wilding, Wirtschaft & Recht Journal, 19.10.2018)

ZU DEN PERSONEN

Thomas Zivny ist Partner, Katharina Wilding ist Rechtsanwaltsanwärterin bei Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati.

Foto: CHSH
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