Greenpeace protestiert vor dem Umweltministerium gegen die Pläne der Regierung.

Foto: APA / Robert Jäger

Diese will Genehmigungsverfahren für Infrastrukturprojekte abkürzen.

Illustration: Davor Markovic

Dagegen wehren sich die Umwelt-NGOs.

Illustration: Davor Markovic

Wer in Österreich ein Großprojekt bauen will, etwa ein Wasserkraftwerk, eine Hochleistungsstraße, eine Bahnverbindung oder eine Starkstromleitung, braucht einen langen Atem. Genehmigungsverfahren können sich über Jahre, ja sogar Jahrzehnte ziehen. Betroffene Gemeinden, Anrainer, Umweltschutzorganisationen mischen sich ein und zwingen Behörden und Gerichte zu langwierigen Prüfungen und immer neuen Gutachten.

Vor allem die Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVPs) ziehen sich bereits in der Vorbereitung in die Länge. Für die Projektbetreiber ist das ein teurer Spießrutenlauf, der sich etwa im Fall der dritten Piste des Flughafens Wien im Vorjahr zu einer politischen Großkontroverse auswuchs.

Untaugliche Mittel

Dass die meisten kleineren Projekte recht geräusch- und problemlos über die Bühne gehen, fällt den wenigsten auf. Die türkis-blaue Regierung nahm die Aufregung über die dritte Piste sowie die jüngste Verurteilung Österreichs durch den Europäischen Gerichtshof, weil der Öffentlichkeit nicht genug Mitsprache ermöglicht wurde, zum Anlass, die Gesetzgebung ganz im Sinne der Wirtschaft zu verändern – und dies mit teils untauglichen, weil möglicherweise verfassungswidrigen Mitteln.

Das geplante Standortentwicklungsgesetz, die UVP-Novelle, die Reform des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) als Reaktion auf eine jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs – das meiste, was die Regierung auf den Tisch gelegt hat, treibt Umweltgruppen und die Opposition auf die Barrikaden.

Intransparent und ineffizient

Gespräche mit Rechtsexperten und Interessenvertretern zeigen eines: Die Abläufe für Baugenehmigungen sind in Österreich intransparent und ineffizient und müssten jedenfalls reformiert werden. Doch wie das geschehen sollte, sodass alle Seiten gehört und dennoch Verfahren zügig abgewickelt werden können, darüber herrscht tiefe Uneinigkeit.

Georg Eisenberger, Rechtsanwalt und Partner bei Eisenberger Herzog: "Kaum ein Richter traut sich zu sagen, diese Forderung ist überschießend. Er beauftragt lieber einen Sachverständigen, selbst wenn es darum geht, die Zahl der Käfer in einem Kubikmeter Erde zu zählen."

Anwälte, die Projektbetreiber vertreten, sehen eine Kultur des Widerstands gegen Bauprojekte und ein Rechtssystem, das Gegnern zu viele Möglichkeiten bietet. "Alle großen Projekte, ob Lobautunnel, Flughafen oder Koralmkraftwerk, haben eine gewisse Anzahl an Gegnern, und diese verhindern durch die ihnen eingeräumten Möglichkeiten ein zügiges Verfahren", sagt Anwalt Georg Eisenberger. Er sieht eine "Dagegenrepublik", die sich auch häufig gegen öffentliche Interessen stellt, etwa wenn es um Erneuerbare-Energie-Projekte geht.

Christian Schmelz von Schönherr verweist etwa auf den Ausbau des Speicherkraftwerks Kaunertal, der 30 Prozent des in der Klimastrategie geplanten Wasserkraftausbaus für ganz Österreich ausmacht und laut einer Kosten-Nutzen-Analyse 500 Millionen Euro im Jahr an Vorteilen bringen würde.

Doch er hat derzeit keine Chance auf Verwirklichung, und das nicht wegen Naturschutzbedenken. Gegner haben zwei kleine Konkurrenzprojekte eingereicht, wobei unter dem Prinzip des "wasserrechtlichen Widerstreits" erst formal geprüft werden muss, welche Projekte dem öffentlichen Interesse besser dienen. Dies geschieht seit neun Jahren. "Das lädt zu einer missbräuchlichen Nutzung ein", kritisiert Schmelz.

Und er fügt hinzu: "Welchen Sinn macht eine solche Prüfung, wenn dieses Vorhaben bereits auf der Liste jener Projekte der EU steht, die im unionsweiten öffentlichen Interesse stehen und für die das Umweltministerium in einer Verordnung das übergeordnete öffentliche Interesse festgestellt hat?" Die Widerstreitverfahren laufen seit mehr als neun Jahren, haben wegen diverser Formalfragen bereits mehrfach die Höchstgerichte beschäftigt und verhindern ein Fortkommen im UVP-Verfahren.

Christian Schmelz, Partner bei Schönherr Rechtsanwälte: "Früher gab es einen Naturschutz-Sachverständigen. Heute gibt es je einen für Vögel, für Amphibien, für Schmetterlinge, für Kurzflügelkäfer, für Fledermäuse, für Ameisen."

Es sind vor allem solche rechtlichen Hürden, die Verfahren in die Länge ziehen. Die unterschiedlichen Materiengesetze kennen jeweils unterschiedliche Regeln, Bund, Länder und Gemeinden funken hinein, und in jeder Stufe des Verfahrens können neue Einsprüche eingebracht werden, die dann wieder geprüft werden müssen.

Ein besonderer Dorn im Auge der beteiligten Juristen sind die Feststellungsverfahren, ob überhaupt eine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist. In dieser Zeit steht der Rest des Genehmigungsprozesses still, sagt Eisenberger, was Projektgegnern einen Anreiz biete, dieses in die Länge zu ziehen. Aber auch die Betreiber sind in dieser Phase aktiv, wenn sie sich die UVP ersparen wollen.

Ebenso unbeliebt ist das teilkonzentrierte Genehmigungsverfahren für Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken, das die Landesregierung nach der normalen UVP für Landesmaterien wie den Naturschutz durchführt.

"Wir brauchen eine Modernisierung des Verfahrensrechts", sagt Anwalt Martin Niederhuber. "Das jetzige ist völlig veraltet – egal ob für eine ÖBB-Hochleistungsstrecke oder einen mittelgroßen Gewerbebetrieb, der sich erweitern will."

Martin Niederhuber, Rechtsanwalt bei Niederhuber und Partner: "DerRegierungsentwurf ist ein Schnellschuss ohne ausreichende fachliche Vorbereitung. Wir werden künftig noch mehr streiten. Damit ist weder den Betrieben noch den NGOs gedient."

Vor allem im Naturschutz stecken zahlreiche Fallstricke für effiziente Verfahren. Wenn gefährdete Tierarten betroffen sein könnten, werden unzählige Prüfungen und Auflagen fällig.

Schmelz: "Früher gab es einen Naturschutz-Sachverständigen. Heute gibt es je einen für Vögel, für Amphibien, für Schmetterlinge, für Kurzflügelkäfer, für Fledermäuse, für Ameisen. Hier gibt es viele geschützte Arten, die man nach Unionsrecht und EuGH-Judikatur weder töten noch stören darf. Das sind Themen, die Gegner weidlich ausnützen können."

Oft kommen die Einsprüche in letzter Minute, wenn alle anderen Fragen schon geklärt sind, klagt Eisenberger. "Kaum ein Richter traut sich zu sagen, diese Forderung ist überschießend. Er beauftragt lieber einen Sachverständigen, selbst wenn es darum geht, die Zahl der Käfer in einem Kubikmeter Erde zu zählen."

Viel Streit um Tiere und Natur

Für Thomas Alge, der als Geschäftsführer des Ökobüros die Umweltorganisationen vertritt, ist der Fokus auf Tierschutz legitim, selbst wenn dadurch ein Projekt für saubere Energie verzögert wird. "Es gibt den Klimawandel, aber wir haben auch ein enormes Problem mit Biodiversität. Deshalb wird um die Lebensräume von Tieren so viel gestritten."

Und oft werde durch das Verfahren ein Projekt zugunsten bedrohter Tierarten verbessert, sagt Alge: Bei einem Windkraftwerk im Burgenland werden die Räder während der Zugzeit der Fledermäuse bei schwachem Wind abgeschaltet, beim Bau eines Staudamms wurden Rodungen während der Vogelbrutzeit verboten, anderswo eine nachhaltige Müllentsorgung erzwungen. Die Umweltorganisationen seien keine Verhinderer, betont Alge. "Wir verschleppen keine Verfahren." Auch er wünscht sich klarere Verfahrensregeln. Das sieht auch Schmelz so: "Anerkannte NGOs haben gar kein Interesse daran, dass es so aus dem Ruder läuft."

Minimalismus bei Aarhus

Eine Gelegenheit dazu hat der EuGH der Regierung geboten, als im Dezember 2017 in der Protect-Entscheidung Österreich verurteilt wurde, weil es die Aarhus-Konvention nicht ausreichend umgesetzt hat. Dieser Vertrag, den auch Österreich unterschrieben hat, verlangt Mindeststandards für die Information und Beteiligung der Öffentlichkeit, vor allem der NGOs, bei Bauprojekten. Statt das Aarhus-Prinzip durch eine umfassende Reform des Verfahrensrechts durchzusetzen, sieht der Regierungsentwurf allerdings nur punktuelle Verbesserungen in den Bereichen vor, die der EuGH direkt angesprochen hat. "Die Regierung will nur das absolute Minimum umsetzen", sagt Eva Schulev-Steindl, Professorin für öffentliches Recht an der Uni Graz. "Damit provoziert man die NGOs, die zu Recht sagen, dass mehr gefordert ist. Das schafft neue Rechtsunsicherheit."

Denn durch die Protect-Entscheidung, die fehlende öffentliche Beteiligung im Wasserrecht betraf, sind auch bereits rechtskräftige Genehmigungen wieder infrage gestellt. Das könnte sich wiederholen, wenn NGOs wieder klagen, weil sie sich übergangen fühlen. Beobachter sehen dahinter das Wirken der Wirtschaftskammer, die möglichst wenig NGO-Beteiligung will. Nun wartet man auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, der eine umfassende Umsetzung von Aarhus erzwingen könnte.

Ruf nach öffentlicher Kundmachung

Notwendig wäre es laut Schulev-Steindl, dass jedes Projekt auf einer Plattform öffentlich kundgemacht wird und NGOs sich immer beteiligen können, wenn erhebliche Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Derzeit müsse man unzählige Amtsblätter, Aushänge und oft versteckte Webseiten durchforsten, um zu wissen, was geplant ist.

Damit könnten auch viele Projektbetreiber leben, wenn gleichzeitig die Fristen für Einwände begrenzt werden. "Es muss in einem Rechtsstaat die Möglichkeit geben, Entscheidungen zu bekämpfen", sagt Eisenberger. "Aber irgendwann muss man das Ergebnis akzeptieren."

Paradebeispiel Schwarze Sulm

Für Eisenberger ist das Kraftwerksprojekt Schwarze Sulm in der Steiermark, bei dem er den Projektbetreiber vertritt, ein Paradebeispiel für die fehlende Rechtssicherheit. "Es ist genehmigt, aber wir können nicht bauen, weil ständig neue Angriffe kommen. Würde man den Bau beginnen, müsste im schlimmsten Fall rückgebaut werden." Dadurch sei es für Anwälte generell schwierig, Garantien abzugeben, dass die Bewilligungen halten. Das sei auch volkswirtschaftlich problematisch, weil die Banken kaum noch zu Kreditfinanzierungen bereit sind.

Ökobüro-Chef Alge sieht hingegen bei der Schwarzen Sulm ein anderes Problem: Man habe die NGOs aus dem Verfahren ausgeschlossen. "Hätte es ein strukturiertes Verfahren mit Parteienrechten gegeben, dann wäre das längst erledigt", sagt er. Im Durchschnitt der vergangenen Jahre seien NGOs überhaupt nur an zwei Verfahren im Jahr beteiligt gewesen.

Thomas Alge, Geschäftsführer Ökobüro – Allianz der Umweltbewegung: "Es gibt den Klimawandel, aber wir haben auch ein enormes Problem mit Biodiversität. Deshalb wird um die Lebensräume von Tieren so viel gestritten."
Foto: Victoria Tichy

Eine zeitliche Grenze sehen die Pläne der Regierung vor. Sie will die mündliche Verhandlung bei privilegierten Großprojekten abschaffen und spätere Einsprüche nicht mehr zulassen. Alge sieht das kritisch: "Wenn das Verfahren noch lange dauert, kann es neue Erkenntnisse geben. Die können nicht mehr berücksichtigt werden."

Für Alge sind die Projektbetreiber oft selbst schuld an den Verzögerungen. Es dauere bei UVP-Verfahren im Durchschnitt sechs Monate, bis alle Unterlagen vollständig seien; ab diesem Zeitpunkt sei in sieben Monaten im Durchschnitt alles fertig.

Auch bei der dritten Piste habe es nach dem ersten Antrag 2007 sechs Änderungsanträge der Projektbetreiber gegeben. "Dass die Vollständigkeit so lange dauert, hat nicht mit den Umweltorganisationen zu tun", sagt er.

Unsinnige Genehmigungsfiktion

Dennoch hat sich die Regierung entschlossen, die UVPs durch Zurückdrängen der NGOs zu beschleunigen. Damit schießt sie aber übers Ziel, sagen Rechtsexperten. Im vorgeschlagenen Standortentwicklungsgesetz wäre nämlich vorgesehen, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) innerhalb von drei Monaten entscheiden muss und ein Projekt als bewilligt gilt, wenn nach zwölf Monaten die UVP nicht abgeschlossen ist – durch eine sogenannte "Genehmigungsfiktion".

Für Schulev-Steindl ist das Gesetz "verfassungswidrig, europarechtswidrig und unsanierbar. Man erhält auch nicht automatisch einen Führerschein, wenn die Regierung einem nicht in drei Monaten einen Termin gibt." Das sehen auch Wirtschaftsanwälte so. "Die Reduktion auf drei Monate wird nicht funktionieren, und die Genehmigungsfiktion ist Unsinn", sagt Eisenberger.

Eva Schulev-Steindl, Professorin für öffentliches Recht an der Universität Graz: "Die Regierung will nur das absolute Minimum umsetzen. Damit provoziert man die NGOs, die zu Recht sagen, dass mehr gefordert ist. Das schafft neue Rechtsunsicherheit."

Bei einem anderen umstrittenen Vorhaben – der Einschränkung der UVP-Beteiligung auf NGOs, die zumindest 100 Mitglieder dokumentieren können – gehen die Meinungen hingegen auseinander. Eisenberger sieht einen Sinn darin, "exklusive Drei-Personen-NGOs" von Verfahren auszuschließen. Schmelz hält die Klausel für unionsrechtlich zulässig, fügt aber hinzu: "Ob dies der politisch beste Weg ist, Missbrauch zu vermeiden, ist eine andere Frage."

Alge hält es für ungerechtfertigt, kleinere NGOs, die etwa lokal agieren oder stärker auf Spenden als auf Mitglieder setzen, auszuschließen. Und Niederhuber sieht im Regierungsentwurf "einen Schnellschuss ohne ausreichende fachliche Vorbereitung. Wir werden künftig noch mehr streiten. Damit ist weder den Betrieben noch den NGOs gedient."

Strukturierte Verfahren gewünscht

Was also tun? Einig sind sich alle Experten, dass das BVwG einen eigenen Sachverständigenapparat benötigt, auch wenn das Steuergeld kostet. Zusätzlich sollte es mehr Möglichkeiten geben, eigene Sachverständige auf eigene Kosten zuzuziehen, wenn die amtlichen ausgelastet sind, schlägt Schulev-Steindl vor. Klar strukturierte UVP- und andere Genehmigungsverfahren, mit transparenten Kundmachungen und klaren Fristen, würden ebenso helfen.

Während des Feststellungsverfahrens für die UVP sollte das restliche Materienverfahren weiterlaufen können. Eine umfassende Umsetzung von Aarhus würde Rechtssicherheit schaffen. Und es würde auch helfen, meint Eisenberger, wenn statt drei Richtern nur noch einer bei UVP-Verfahren nötig wäre; dann würde es weniger Verzögerungen durch Urlaub oder Krankheit geben.

Staat soll Prioritäten setzen

Eisenberger wünscht sich auch, dass NGOs für Verfahrensschritte, die sie durch Anträge verursachen, bezahlen müssen, wenn sie abgewiesen werden. "Die größte Beschleunigung wäre die Kostenwahrheit", sagt er. Doch das sei politisch wohl nicht durchsetzbar.

Sinnvoll wäre es laut Niederhuber, wenn der Staat, wie im sonst verunglückten Standortentwicklungsgesetz vorgesehen, gewisse Projekte mit öffentlichem Interesse definiert. "Der Staat soll sagen, welche Projekte er vorrangig verfolgt."

Zusätzlich braucht es in Österreich einen Kulturwandel und mehr Mut, sagt Schmelz und verweist auf Deutschland: "In Österreich haben wir für gleichartige Verfahren doppelt so viele Sachverständige wie in Deutschland. Wir kümmern uns im Genehmigungsverfahren um jedes Detail, es wird alles geprüft. Das läuft nach dem Prinzip: Darf's ein bisserl mehr sein? In Deutschland fragt man: Was können wir weglassen?" (Eric Frey, Wirtschaft & Recht Journal, 19.10.2018)