Nunmehr sind vom Arbeitszeitrecht nicht nur leitende Angestellte, sondern auch sonstige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen maßgebliche selbstständige Entscheidungsbefugnis übertragen ist, ausgenommen.

Illustration: Davor Markovic

Zwölf Stunden tägliche Höchstarbeitszeit statt zehn: Diese Änderung im österreichischen Arbeitszeitgesetz sorgt seit dem Sommer für heftige Diskussionen. Eine andere Änderung, die die Reform der Bundesregierung mit sich gebracht, hat, erhielt im Vergleich wenig Beachtung: Der leitende Angestellte, der vom gesetzlichen Arbeitszeitschutz ausgenommen ist, wurde völlig neu definiert. Das betrifft zehntausende Arbeitnehmer in der mittleren Managementebene.

Vom Geltungsbereich des Arbeitszeitgesetzes (AZG) und des Arbeitsruhegesetzes (ARG) waren bis 31. 8. 2018 leitende Angestellte ausgenommen, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind. Für sie galten keine Höchstarbeitszeitgrenzen und keine Sonntags-, Feiertags und Wochen(end)ruhe.

Es musste sich nach der Judikatur aber um Arbeitnehmer handeln, die wesentliche Teilbereiche eines Betriebes in der Weise eigenverantwortlich leiten, dass sie hierdurch auf Bestand und Entwicklung des gesamten Unternehmens Einfluss nehmen konnten. Weiters war wichtig, dass sie ihre Arbeitszeit weitgehend selbst einteilen konnten.

So wurden etwa Abteilungsleiter, die für 20 bis 50 Arbeitnehmer verantwortlich waren, als leitende Angestellte ohne Arbeitszeitschutz angesehen. Mit diesem von der Judikatur weitgehend geprägten Begriffsverständnis war maximal die erste und zweite Führungsebene eines Unternehmens betroffen.

Entscheidungsbefugnis

Diese Ausnahmebestimmung wurde durch die AZG-Novelle 2018 völlig neu gefasst, der Begriff des leitenden Angestellten im AZG und ARG neu definiert. Nunmehr sind vom Arbeitszeitrecht nicht nur leitende Angestellte, sondern auch sonstige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen maßgebliche selbstständige Entscheidungsbefugnis übertragen ist, ausgenommen.

Der Gesetzgeber erläuterte diese Neuregelung in den Gesetzesmaterialien damit, dass künftig auch die dritte Führungsebene in die Ausnahmeregelung einbezogen ist. Es besteht also die Absicht des Gesetzgebers, den Kreis der vom Arbeitszeitrecht ausgenommenen Arbeitnehmer zu erweitern.

Betont wird aber auch, dass es sich weiterhin nur um Führungskräfte handeln kann, die maßgeblichen Einfluss auf den Betrieb haben. Daher wurde als zusätzliche Voraussetzung normiert, "dass die gesamte Arbeitszeit [der leitenden Angestellten] aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit a) nicht gemessen oder im Voraus festgelegt wird, oder b) ?on diesen Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmern hinsichtlich Lage und Dauer selbst festgelegt werden kann."

Diese Formulierung ist weitgehend der EU-Arbeitszeit-Richtlinie (2003/88/EG) entnommen, die den Begriff des leitenden Angestellten im Unionsrecht definiert. Damit lohnt sich ein Blick auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs.

Diese geht davon aus, dass der Anwendungsbereich der Ausnahmeregelungen auf das zur Wahrung der Interessen der Arbeitnehmer unbedingt Erforderliche zu begrenzen ist. Zuletzt judizierte der Gerichtshof im Fall Hälvä (C-175/16 vom 6. 4. 2017), dass es nicht ausreicht, dass der Arbeitnehmer über eine gewisse Autonomie bei der Gestaltung seiner Arbeitszeit und der Organisation seiner täglichen Arbeit verfügt.

Die Ausnahmebestimmung ist nur dann anzuwenden, wenn er die Zahl der Arbeitsstunden völlig frei bestimmen kann. Darüber hinaus dürfe er nicht verpflichtet sein, zu festen Arbeitszeiten an seinem Arbeitsplatz anwesend zu sein. Dies alles müsse sich aus den besonderen Merkmalen der Tätigkeit ergeben.

Nichtmessbarkeit

Diese Judikatur zeigt klar, dass leitende Angestellte über eine weitreichende Arbeitszeitautonomie verfügen müssen. Das hat auch der österreichische Gesetzgeber erkannt, denn nach den Gesetzesmaterialien können Arbeitnehmer nur dann ausgenommen werden, wenn die Voraussetzungen "Nichtmessbarkeit bzw. Nichtfestlegbarkeit" oder "Selbstfestlegung" wegen der besonderen Merkmale der Tätigkeit vorliegen. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Arbeitszeit nur freiwillig nicht gemessen werde.

Die bloße Einführung einer "Vertrauensarbeitszeit" reicht nicht dafür aus, dass die Höchstgrenzen der Arbeitszeit nicht beachtet werden müssen. Es muss sich vielmehr aus den organisatorischen Rahmenbedingungen der Tätigkeit selbst ergeben, dass sich die Arbeitszeit bei objektiver Betrachtung vorab nicht vereinbaren lässt. Es darf also vorab nicht klar sein, zu welchem Zeitpunkt wie viel Arbeit anfällt – auch weil der Arbeitnehmer durch die ihm übertragene Gestaltung der Arbeitsabläufe dies beeinflusst. Leitende Angestellte müssen daher notwendigerweise mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis ausgestattet sein.

Restriktive Auslegung

Diese restriktive Auffassung vertritt auch die Europäische Kommission. Diese sagt ausdrücklich, dass nur bestimmte, hochrangige Führungskräfte unter die Ausnahmeregelung fallen können. Als Beispiele werden bestimmte Experten, erfahrene Anwälte in einem Beschäftigungsverhältnis oder Wissenschafter genannt, die ihre Arbeitszeit weitgehend selbst festlegen können (2017/C-165/01).

Die Arbeitszeitreform hat den Adressatenkreis der Ausnahmeregelung durch die Einbeziehung der Arbeitnehmer mit maßgeblicher selbstständiger Entscheidungsbefugnis zwar ausgeweitet, die Regelung aber gleichzeitig durch die Betonung einer sehr weitreichenden Arbeitszeitautonomie eher eingeschränkt. Die Führung von Mitarbeitern ist nicht mehr unbedingt erforderlich, sodass auch tatsächlich Arbeitnehmer der dritten Führungsebene vom Arbeitszeitrecht ausgenommen sein können – dies allerdings nur, wenn sie über die entsprechende Arbeitszeitsouveränität verfügen.

Umgekehrt unterliegen zukünftig auch all jene leitenden Angestellten ungeachtet der Führung von Mitarbeitern den Höchstgrenzen des Arbeitszeitrechts, wenn sie ihre Führungsaufgaben in einem engen zeitlichen Korsett erbringen müssen, und zwar gleichgültig ob dieses vom Arbeitgeber unmittelbar angewiesen wird oder ob sich die zeitliche Gebundenheit aus vom Arbeitnehmer nicht beeinflussbaren Rahmenbedingungen ergibt. (Christoph Wolf, Wirtschaft & Recht Journal, 24.10.2018)