Noch hat bei Verhandlungen in Brüssel auch der Union Jack, die britische Flagge, einen festen Platz. Doch die Zeit bis zum EU-Austritt Ende März 2019 wird knapp.

Foto: AFP / Emmanuel Dunand

Bild nicht mehr verfügbar.

Ob die britische Premierministerin Theresa May einen möglichen Kompromiss dann durch das Unterhaus bringen kann, ist ebenso alles andere als sicher.

Foto: AP / Alastair Grant

Die EU-Staaten haben am Mittwochabend den eigentlich für 17. und 18. November geplanten Sondergipfel zum Brexit wieder abgesagt. Es gebe bisher in den Gesprächen mit den Briten nicht ausreichend Fortschritte, um bei einer solchen Zusammenkunft etwas beschließen zu können, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters von einem hohen EU-Beamten. Sollte es doch noch möglich sein, sich aufeinander zuzubewegen, will die EU aber kurzfristig ein Treffen der Staats- und Regierungschefs einberufen.

Zuvor schon hatte es geheißen, man sei "noch lange nicht am Endpunkt". Den Zeitpunkt, zu dem eine definitive Entscheidung darüber fallen müsse, wie die "Scheidung" zwischen den Briten und den EU-27 ausfallen werde, "bestimmt letztlich die britische Premierministerin Theresa May", bestätigte ein Diplomat dem STANDARD.

Es sei daher auch noch zu früh für eine realistische Einschätzung, ob der Brexit chaotisch ausfallen werde, weil man sich über die Bedingungen in einem geregelten "Austrittsabkommen" nicht einig werde, oder ob man doch einen Kompromiss finden könne, der den wirtschaftlichen Schaden für beide Seiten in berechenbaren Grenzen halte.

"Die britische Premierministerin Theresa May hat keine konkreten Vorschläge vorgetragen", berichtet ORF-Korrespondent Tim Cupal zum beherrschenden Thema Brexit.
ORF

Das war die Ausgangsposition für den EU-Gipfel, der am Mittwochabend mit einem Arbeitsessen der 28 Staats- und Regierungschefs begann. Der ständige Ratspräsident Donald Tusk hatte May im Vorfeld dazu aufgefordert, mit "neuen Vorschlägen" in die EU-Hauptstadt zu kommen, um die derzeitige Lähmung zu überwinden.

Er verglich die Sache mit dem "gordischen Knoten", den es zu durchschlagen gelte, aber es sei kein Alexander der Große in Sicht. Bei ihrer Auftaktpräsentation am Mittwoch habe May dann aber "nicht wirklich substanziell Neues" präsentiert, hat EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani am Mittwochabend betont. Der Ton und die Körpersprache seien aber "relaxter als in Salzburg" gewesen.

Zerstrittene Partei

An sich war seit einem Jahr geplant, dass die Brexit-Verhandlungen bis Mitte Oktober abgeschlossen werden. Sowohl das Unterhaus in London wie auch das EU-Parlament hätten dann ausreichend Zeit gehabt, die Austrittsvereinbarungen zu studieren und zu beschließen. Fänden sich keine Mehrheiten für den Brexit-Vertrag, wäre ein EU-Austritt, bei dem Großbritannien sofort ein Drittland wird, nicht zu vermeiden. Genau das versuchen alle Beteiligten derzeit fast schon verzweifelt zu vermeiden.

May muss es dafür aber gelingen, in ihrem eigenen Land eine Mehrheit zu organisieren, die total zerstrittenen Lager auch in ihrer eigenen Partei zu einen, insbesondere was eine Lösung für die Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland betrifft. Dafür braucht sie offenbar mehr Zeit.

Ruhe trotz Zeitnot

May traf im Vieraugengespräch Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, erörterte ihre Vorstellungen zum neuen Zeitplan. EU-Chefverhandler Michel Barnier sagte, dass man noch einige Wochen "in Ruhe weiterverhandeln" solle. Bereits in Salzburg hatte man sich im September darauf geeinigt, dass es im November den Brexit-Sondergipfel nur dann geben soll, wenn "ausreichend Fortschritte" erzielt werden.

Verhandler gehen inzwischen sogar davon aus, dass ein Brexit-Abschluss erst Ende Dezember beim nächsten regulären Gipfel stattfinden könnte. Bis zur Auflösung des EU-Parlaments Ende März und vor den Europawahlen im Mai sei Zeit für eine Ratifizierung, wenngleich der Druck höher werde, was May zugutekäme.

"Quadratur des Kreises"

Alles, so hört man häufig, hänge nun davon ab, ob sie sich als flexibel erweise. Ein Element zur Lösung könnte sein, dass die Übergangsphase nach dem EU-Austritt am 29. März 2019 verlängert wird – statt 21 Monaten bis Ende 2020 um weitere ein, zwei Jahre. So lange würden dann EU-Regeln weiter gelten, Wirtschaft und Gesellschaft dies- und jenseits des Ärmelkanals bliebe mehr Zeit, sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen.

Emil Brix, ehemaliger österreichischer Botschafter in London und heutiger Direktor der Diplomatischen Akademie, spricht im Studio über die zähen Verhandlungen zum "Brexit".
ORF

Das könnte auch den Streit um Grenzkontrollen in Irland entschärfen, indem man auf Zeit spielt. Die EU-27 fordern dazu eine Notfalllösung (Backstop): Sollte es nicht gelingen, bis zum Ablauf der Übergangsfrist einen Freihandelsvertrag mit Großbritannien als Drittland zu vereinbaren, sollte Nordirland dennoch in der Zollunion bleiben. Nur so ließe sich das Karfreitagsabkommen zum Frieden im Norden der Insel erhalten, wo sich Unionisten und Anhänger eines Anschlusses an die Republik Irland gegenüberstehen. London lehnt den Backstop als Eingriff in die Souveränität ab. (Thomas Mayer aus Brüssel, 17.10.2018)