Rudolf Gelbard im Jahr 2016 während einer Pressekonferenz zur Ausstellung "Letzte Orte vor der Deportation" in der Krypta im Äußeren Burgtor der Wiener Hofburg.

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"Seit Jahrzehnten vergeht kaum ein Tag, ohne dass ich jener Zeit gedenke, da mein Volk im Herzen Europas von den herrschenden Mördern ausgerottet wurde." Dieser Satz stammt aus einem Text des 1984 verstorbenen Manès Sperber, den Rudolf Gelbard besonders schätzte.

Der Satz steht auch für das Leben des Wieners Gelbard, der einer der aktivsten Zeitzeugen unter den Überlebenden des NS-Regimes war. Er konnte und wollte nicht vergessen, was ihm, seiner Familie und Millionen anderen von den Nationalsozialisten angetan worden war. Gelbard wurde im Alter von nur zwölf Jahren mit seinen jüdischen Eltern ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Er überlebte, aber viele seiner Verwandten und Freunde, vor allem viele Kinder, überlebten nicht.

Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer

Für Gelbard wurden in der Zeit seiner Internierung ältere politische Häftlinge seine Lehrer. Er war nach dem Krieg Mitglied der Sozialdemokratischen Freiheitskämpfer. Als unerschütterlicher Antifaschist sah er es als seine Pflicht als Überlebender an, an Schulen, Unis, bei diversen Bildungseinrichtungen oder als Bildungsreferent der Kultusgemeinde unermüdlich aufzuklären und zu warnen.

Rudolf Gelbard auf den Spuren der Demos von 1965.
derstandard.at/ von usslar

Dabei beschränkte er sich im Erzählen nicht nur auf seine eigenen Erlebnisse, sondern wurde über die Jahre tatsächlich ein Fleisch gewordenes Lexikon der Zeitgeschichte, konnte aus dem Stegreif den Aufbau der Wehrmacht oder der SS genauestens erklären. Auf sein beeindruckendes Wissen konnten sich auch jahrelang die Redakteure im "Kurier", denen er als zeitgeschichtlicher Experte zuarbeitete, verlassen. Von 1975 bis zu seiner Pensionierung arbeitete er dort. Gelbard war auch im Vorstand des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands tätig.

Protest auf der Straße

1965 war es wegen Protesten gegen den antisemitischen Hochschulprofessor Taras Borodajkewycz in Wien zu Unruhen gekommen, bei denen der ehemalige Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger vom Rechtsextremen Günther Kümel niedergeschlagen wurde und starb. 50 Jahre später ging Gelbard die Route der damaligen Demo und Gegendemo mit dem STANDARD ab.

Nicht nur 1965 war Gelbard auf der Straße, um gegen Faschisten und Antisemiten zu demonstrieren. Wann immer es seine Gesundheit erlaubte, marschierte er auch später bei antifaschistischen Kundgebungen mit.

Rudolf Gelbard am Rande einer Demo gegen den Akademikerball der FPÖ 2014.
derStandard.at

Gelbard wurde von der Republik Österreich mit dem Berufstitel Professor und zahlreichen weiteren Auszeichnungen geehrt, darunter auch die Joseph-Samuel-Bloch-Medaille. Der Republikanische Club – Neues Österreich vergibt seit zehn Jahren den "Rudolf-Gelbard-Preis für Aufklärung gegen Faschismus und Antisemitismus". Der erste Preisträger war 2008 Gelbard selbst.

Gelbard war kämpferisch, aber auch sehr humorvoll. Wenn man sich mit ihm traf – er schlug gern das Café im Hotel Imperial vor –, kam er nicht selten mit einem Packen Bücher als Geschenk unterm Arm. Von Internet oder E-Mails hielt er nicht so viel. Seine "Dateien" waren bunte Flügelmappen aus Karton, in denen er kapitelweise Material zusammenstellte.

Er sah die Gefahr des Faschismus als allgegenwärtig an. Und erlaubte sich selbst im hohen Alter und mit seiner Gesundheit ringend keine Pause. Seine Frau Inge unterstützte ihn dabei stets nach Kräften. Er stand als einer der letzten Zeugen in der gleichnamigen Produktion von Matthias Hartmann und Doron Rabinovici auf der Bühne des Burgtheaters, raffte sich noch im Mai dieses Jahres auf, um am Fest der Freude auf dem Heldenplatz zu sprechen.

Klage gegen "Aula"

2016 war Gelbard einer von neun Holocaustüberlebenden, die die rechtsextreme Zeitschrift "Aula" klagten, weil diese Überlebende des KZ Mauthausen in einem Artikel unter anderem als "Landplage" und "Massenmörder" bezeichnet hatte, die nach der Befreiung des KZs "plündernd durchs Land" gezogen seien.

Gelbard war alarmiert von der politischen Entwicklung und dem Rechtsruck in Österreich und in Europa. Im Oktober des Vorjahres wandte er sich in einer Videobotschaft an die Öffentlichkeit, in der er vor einer Regierungsbeteiligung der FPÖ warnte und NS-Kriegsverbrecher auflistete, die Mitglieder von Burschenschaften waren. Diese FP-nahen Burschenschaften hätten sich nie von einigen dieser Männer distanziert oder huldigten ihren Namen sogar nach wie vor auf Ehrentafeln.

Als Reaktion auf das Video erhielt der Holocaustüberlebende zahlreiche Hassbotschaften in sozialen Medien.

Gelbard warnte 2017 eindringlich vor einer Regierungsbeteiligung der FPÖ.
Peter Ladinig

"Solche Einsamkeit nistet seither in meinesgleichen. Im heiteren Sonnenschein bricht vereisende Kälte herein, das Geschehene dringt in die Gegenwart ein, als ob es nicht Erinnerung, sondern eine unablässig wiederholte Gewalttat wäre", heißt es weiter bei Manès Sperber.

Rudolf Gelbard starb in der Nacht auf Mittwoch im Alter von 87 Jahren in Wien. (Colette M. Schmidt, 24.10.2018)