Der Mensch will seit jeher fliegen können. Meist ist jedoch Hightech im Spiel, wenn es darum geht, etwas in luftige Höhen abheben zu lassen. Die Forschung einiger innovativer Gruppen geht seit vielen Jahren einen anderen Weg. Dabei wird die Natur unter die Lupe genommen – sie hat im Laufe der Evolution Lösungen hervorgebracht, die an Einfachheit und Effizienz nicht zu überbieten sind. "Keep it simple" war dabei ein unschlagbares Erfolgsrezept.

Forschung unter Wasser und in der Luft

Im Bionic Learning Network von Festo – einem Verbund von Universitäten, Schulen, Instituten und Unternehmen – ist das Fliegen ein immer wiederkehrendes Thema. Am Anfang tauchten wir noch unter Wasser ab, um verschiedene biologische Vorbilder zu untersuchen, die zwar nicht fliegen können, sich aber dennoch per Flügelschlag fortbewegen. Vor rund zehn Jahren hoben dann die ersten Forschungsträger richtig ab. Kurze Zeit später wurde der Vogelflug entschlüsselt: Der "Smartbird" war von der Silbermöwe inspiriert und produzierte gleichzeitig Vor- und Auftrieb – ein Meilenstein in der Bionik. Beim heuer präsentierten "Bionic Flying Fox" geht es ebenfalls ums Fliegen.

Fliegen ohne Federn

Für den "Bionic Flying Fox" wurden die Eigenschaften des Flughunds mit einem ultraleichten Flugobjekt technisch umgesetzt. Bei einer Spannweite von 228 Zentimetern und einer Körperlänge von 87 Zentimetern wiegt der künstliche Flughund lediglich 580 Gramm. Ein besonderes Kennzeichen ist seine feine und elastische Flughaut. Beim Fliegen steuern die Tiere mit ihren Fingern gezielt die Wölbung der Flugmembran.

Elias Knubben

Für gewöhnlich lösen wir in der Technik Komplexität mit noch mehr Komplexität. Wird dieser Kreislauf durchbrochen und ein hochkomplexes Problem mit einfachen Mitteln gelöst, ist das genial. Die Natur ist dabei eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Von ihr können Forscher viel lernen. "Let‘'s think bionic" eröffnet für Konstrukteure und andere Techniker spannende Möglichkeiten. Beim bionischen Flughund kann man das sehen.

Agile Kinematik

Um dem natürlichen Vorbild so nahe wie möglich zu kommen, ist die Flügelkinematik des "Bionic Flying Fox" ebenfalls in Arm- und Handschwinge gegliedert und mit einer elastischen Haut bespannt. Wie beim biologischen Vorbild liegen alle Gelenkpunkte auf einer Ebene, sodass der künstliche Flughund seine Flügel einzeln ansteuern und zusammenfalten kann. Die Arm- und Handschwingen lassen sich in jedem Zustand so ansteuern, dass sich die Flügel harmonisch und nahezu rüttelfrei bewegen. Seine Agilität verdankt der künstliche Flughund neben der ausgetüftelten Kinematik auch seiner Leichtbauweise und dem speziellen Materialeinsatz: Sein Körper ist aus Schaumstoff – das Skelett besteht aus gefrästen Carbonstäben und 3D-gedruckten Teilen.

Die Flughaut des Modells ist hauchdünn, ultraleicht und gleichzeitig robust. Sie besteht aus zwei luftdichten Folien und einem Elastan-Gestrick, die an rund 45.000 Punkten miteinander verschweißt sind. Der Fokus liegt beim künstlichen Flughund wie bei seinem biologischen Vorbild auf Leichtbaustrukturen. Denn in der Technik wie in der Natur gilt: Je weniger Gewicht zu bewegen ist, desto geringer ist der Energieverbrauch.

Impulse für die Produktion der Zukunft

Industriell gefertigte Werkstücke werden zunehmend intelligenter und wissen, welches Produkt aus ihnen entstehen soll. Oft können sie mit Maschinen kommunizieren und ihnen mitteilen, wie sie bearbeitet werden müssen. Beim "Bionic Flying Fox" ist das ähnlich. Die Bilder der Kameras im Umfeld gehen an einen zentralen Leitrechner. Die Intelligenz ist jedoch dezentral verteilt: Der Leitrechner gibt nur die Flugbahnen und die Steuerbefehle vor. Während des Flugs vergleicht der bionische Flughund dann die von ihm berechneten Sollbahnen mit den tatsächlichen und passt diese durch Machine Learning immer besser an.

Bionik ist für Elias Knubben eines der spannendsten Forschungsfelder der Zukunft.
Elias Knubben

Robuster, effizienter und weniger komplex

Weiche Materialien und flexible Strukturen werden häufig verwendet, um Bewegungsabläufe, Greifvorgänge oder das Zusammenspiel von Mensch und Maschine einfach und sicher zu gestalten. Im Gegensatz zu unserer meist zentral gesteuerten, technischen Welt finden sich in der Natur oft Lösungen, die sich durch große Toleranzen, adaptives Verhalten oder dezentrale Aktionen auszeichnen. Diese sind oft robuster, effizienter und weniger komplex.

Bionic Thinking

Das Bionic Learning Network wurde gegründet, um von der Natur zu lernen und neue Impulse für die Industrie zu gewinnen. Diesen Erfahrungsschatz geben wir in Österreich auch in einem ungewöhnlichen Workshop weiter: "Agiles Entwickeln von der Natur inspiriert" heißt er. Dabei kann man erleben, wie man bionische Ansätze für die Entwicklung technischer Innovationen nutzbar macht. Es eröffnet Inspirationsquellen für ganz neue Denkansätze bei Interessierten und Forschern. (Elias Knubben, 19.10.2018)