Karriere mit Lehre machen immer weniger, beklagen viele.

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Wien – Den Elektro-Schuster in Pöchlarn in Niederösterreich gibt es seit über 70 Jahren. Seither hat der Betrieb rund 300 Lehrlinge ausgebildet. "Heuer ist es das erste Mal, dass wir keinen Lehrling erhalten haben", sagt Renate Scheichelbauer-Schuster. Anderen kleineren Betrieben geht es ähnlich, große Industriefirmen tun sich leichter. Die Lehrlingssuche ist höchst unterschiedlich.

"Die Not, keine Lehrlinge zu finden, haben wir nicht", schilderte der für das Personal zuständige KTM-Finanzvorstand, Viktor Sigl, bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Wien. Der oberösterreichische Motorradhersteller hatte heuer für 40 Lehrstellen über 270 Bewerber. Den Fachkräftemangel spürt KTM trotzdem. Vor zwei Jahren gab es Probleme in der Produktion, weil KTM zu wenige Schweißer hatte und es auch keine am Arbeitsmarkt gab. Kurzerhand verpflichtete KTM seine Lehrlinge dazu, zusätzlich eine Schweißausbildung zu machen.

Neue Initiative

Jeder zweite 15-Jährige in Österreich soll eine Lehre beginnen, das ist das erklärte Ziel einer neuen Initiative mehrerer Unternehmen, die am Donnerstag präsentiert wurde. Die Wirtschaft kämpft seit Jahren mit sinkenden Lehrlingszahlen, weil sich immer mehr Jugendliche nach der Schulpflicht für eine weiterbildende Schule entscheiden.

In den 1980er-Jahren lag der Anteil der 15-Jährigen, die eine Lehre begannen, noch über 45 Prozent. Derzeit hadere man mit 40 Prozent, sagte Werner Steinecker, Generaldirektor der oberösterreichischen Energie AG und Präsident des heuer gegründeten Vereins Zukunft Lehre Österreich (ZLÖ).

Laut Lehrlingsstatistik der Wirtschaftskammer entschieden sich 2017 österreichweit 39,3 Prozent für eine Lehre, 2016 waren es 38,2 und 2015 37,8 Prozent. Heuer ist der Abwärtstrend Steinecker zufolge auch in absoluten Zahlen gestoppt worden. Die Zahl der Lehrlinge stieg von 106.000 auf 108.000.

Fachkräfte von morgen

Aus Sicht der Wirtschaft sind die Lehrlinge von heute die Fachkräfte von morgen. Laut Steinecker drohen 2030 bis zu 500.000 Fachkräfte zu fehlen, für die Wirtschaft Österreichs wäre das ein Schaden in Milliardenhöhe. Nach Bundesländern zeigt sich, dass die Lehre in Vorarlberg und Tirol deutlich beliebter ist als im Osten Österreichs.

ZLÖ-Vizepräsidentin Scheichelbauer-Schuster, in der Wirtschaftskammer Bundesobfrau der Sparte Gewerbe und Handwerk, kritisierte, dass Eltern Druck auf ihre Kinder ausüben würden, eine höhere Schule zu absolvieren. "Österreich braucht nicht nur Akademiker, sondern mindestens so viele Handwerker."

Die Initiative, der Firmen wie KTM, Kapsch, Hofer, Uniqa, SBO, Salzburg AG und Raiffeisenlandesbank Oberösterreich angehören, will Mitte 2019 einen Lehrabsolventenverband sowie eine Lehrlingsplattform mit Events, einem Bonusprogramm, Weiterbildungsangeboten und zur Vernetzung starten. Daneben soll in Schulen, bei Eltern und Lehrern für die Lehre geworben werden. Politisch will man sich für eine flexiblere Gesetzgebung zur dualen Ausbildung einsetzen.

Erfolgsmodell

Sowohl Scheichelbauer-Schuster als auch KTM-Mann Sigl sind überzeugt, dass die Lehre in Österreich ein Erfolgsmodell ist – sowohl für die Wirtschaft als auch für die Lehrlinge.

Eine Umfrage des Market-Instituts für ZLÖ unter 1.000 Österreichern hat ergeben, dass 82 Prozent der Meinung sind, dass es derzeit zu wenige Menschen gibt, die eine Lehre machen wollen. Lehrlinge selbst halten die Lehre für sehr attraktiv, in der Bevölkerung ist es um das Image der Lehre laut Market-Chef Werner Beutelmeyer aber schlecht bestellt. Berufseinstieg und Karrierechancen werden bei Matura oder Studium demnach deutlich besser eingeschätzt.

Karriere mit Lehre

Das Gegenbeispiel liefert ZLÖ-Präsident Steinecker. Er selbst hat 1972 als Lehrling in der Gmundener Lehrwerkstätte der Energie AG begonnen und ist heute, nach zwei Studien und einer postgradualen Ausbildung, Generaldirektor des Konzerns.

Aus Sicht der Initiative wird – trotz hoher Kosten für Nachhilfe – viel zu oft einer schulischen Ausbildung der Vorzug gegeben. Die Matura an HAK, HTL, HBLA oder Gymnasium stelle für die Lehre eine ernstzunehmende Konkurrenz dar. Deshalb strich der Verein am Donnerstag die Vorteile der Lehre hervor.

Ein Facharbeiter verdiene ähnlich viel ein Akademiker beim Berufseinstieg, mit dem Unterschied, dass Ersterer schon Geld verdient, seit er 15 ist. Laut den Angaben der Initiative ergibt sich daraus ein höheres Lebenseinkommen. Bei KTM haben Lehrlinge, die eine Ausbildung mit gutem oder sehr gutem Erfolg absolvieren, eine Einstellungsgarantie, sagte Sigl. Obendrauf gibt es ein Motorrad geschenkt.

Weniger ausbildende Betriebe

Das Problem des Fachkräftemangels ist zum Teil aber auch von der Wirtschaft selbst verschuldet. Die Zahl der Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, ist seit Jahren rückläufig und lag Ende 2017 bei nur noch rund 29.000. Die Gewerkschaftsjugend kritisiert seit längerem, dass niemand darüber spreche, dass in den letzten zehn Jahren rund 10.000 Ausbildungsbetriebe verlorengegangen seien. Steinecker dazu: "Das liegt auch daran, dass viele Betriebe resignieren, weil sie keine Lehrlinge bekommen."

Im Fall der offenen Lehrstelle für Elektroinstallationstechnik bei Elektro-Schuster in Pöchlarn gibt es übrigens vielleicht doch noch ein Happy End. Erst kürzlich habe sie eine junge Frau kennengelernt, die sich für den Beruf des Elektrikers interessiere und nun zum Schnuppern eingeladen sei, sagte Scheichelbauer-Schuster. Es wäre in der 70-jährigen Firmengeschichte die erste Elektrikerin, die Elektro-Schuster ausbildet. (APA, 18.10.2018)