"Gewöhnlicher Tintenfisch" ist der wenig klangvolle offizielle Name der Sepienart Sepia officinalis, die auch vor den Küsten Europas anzutreffen ist.

Foto: Stephan Junek (Max-Planck-Institut für Hirnforschung

Frankfurt am Main – Was spontane Farbwechsel aus Gründen der Tarnung, Abschreckung oder Kommunikation anbelangt, stellen Kopffüßer die sprichwörtlich gewordenen Chamäleons weit in den Schatten. Ihr System ist deutlich ausgefeilter: Das Gehirn steuert die Kontraktionen kleiner Muskel, die Pigmentzellen an der Hautoberfläche weiten oder zusammenziehen – es sind gewissermaßen biologische Pixel auf einem weichen Displaysystem.

Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt untersuchten Sepien, zehnarmige Kopffüßer, die über Millionen solcher Chromatophoren verfügen. Dadurch können sie ihr Aussehen in Bruchteilen einer Sekunde verändern. Sie nutzen diese Eigenschaft, um sich vor Räubern zu schützen, selbst zu jagen, aber auch, um zu kommunizieren.

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Um sich zu tarnen, passen sich Kopffüßer aber nicht Pixel für Pixel ihrer lokalen Umgebung an. Stattdessen scheinen sie durch visuelle Wahrnehmung eine statistische Annäherung an ihre Umgebung zu erzielen, so die Forscher. Die Tiere nutzen diese Heuristiken, um eine adaptive Tarnung aus einem großen, wenn auch begrenzten Repertoire an wahrscheinlichen Mustern auszuwählen.

Wie die Tiere das Problem der statistischen Abgleichung lösen, ist noch nicht bekannt. Da Sepien dazu aber in der Lage sind, sobald sie aus dem Ei schlüpfen, sind die Lösungen wahrscheinlich angeboren, in das Gehirn der Sepien eingebettet und relativ einfach.

Haut spiegelt Gehirnvorgänge wider

Die Frankfurter Forscher haben analytische Methoden entwickelt, um die Farbwechsel besser zu erfassen. Da diese vom Gehirn gesteuert werden, kann man einem Tintenfisch also gewissermaßen beim Denken zusehen.

"Im Ruhezustand sind die Pigmentzellen zusammengezogen und man sieht nur die weiße Haut darunter", sagt Sam Reiter, einer der Autoren der im Fachjournal "Nature" veröffentlichten Studie. Ist das Tier weiß, lautet daher der Schluss: Da tut sich im Gehirn gerade nichts. Das sei aber eher selten der Fall, versichert Reiter.

Es seien aber auch Farbveränderungen etwa an schlafenden Tieren zu beobachten. "Dies ist eine einzigartige Möglichkeit, Hirnaktivität zu beobachten", sagte der Max-Planck-Wissenschafter: Vielleicht sieht man dann die Träume der Tiere – noch wisse man das aber nicht. Die Forscher wollen künftig größere Populationen über längere Zeiträume beobachten, um weitere Daten zu sammeln.

Ferne Verwandte

Die Max-Planck-Wissenschafter erhoffen sich von der Arbeit an den Tintenfischen letztlich auch ein besseres Verständnis über Hirnprozesse beim beim Menschen. Allerdings muss man auf der Suche nach Gemeinsamkeiten sehr weit zurückgehen: "Unser letzter gemeinsamer Vorfahre war ein kleiner Meereswurm, der vor etwa 600 Millionen Jahre lebte", sagt Reiter. "Diese Tiere sind für uns praktisch Aliens." (red, APA, 18. 10. 2018)