Die Scheuklappe kennen die meisten von uns aus zwei Richtungen: zum einen als Accessoire für arme Fiakerpferde, die auch bei größte Hitze ihren Frondienst auf dem Asphalt der Innenstädte leisten und zum anderen als Sprichwort – man möge doch, bitte, eine Sache ohne Scheuklappen angehen, damit man das Problem mit freiem Blick und ohne Angst bewältige. Nun ist es gut möglich, dass die Scheuklappe schon bald einen weiteren prominenten Platz in unserer Alltagswelt einnehmen wird, nämlich als Arbeitshilfe im Großraumbüro. So stellt sich das zumindest der japanische IT-Konzern Panasonic vor, die auf einer japanischen Crowd-Funding-Seite um Startkapital wirbt.

Die Produktidee folgt einer bestechenden Logik. Während US-amerikanische Konzerne wieder davon abkommen, setzen gerade europäische Unternehmen auf das Großraumbüro. Da spart man schließlich einiges an Kosten, wenn nicht jeder Mitarbeiter sein eigenes Bürozimmer hat. Außerdem soll das Großraumbüro anscheinend die Kommunikation zwischen den Angestellten fördern. Freilich wird dabei übersehen, dass sich der Mensch halt von Geräuschen und Bewegungen leicht ablenken lässt. Doch da soll nun bald die Büro-Scheuklappe Abhilfe leisten. Die setzt man sich wie einen Ohrenschutz auf und hat gleichzeitig einen Sichtschutz nach links und rechts. Wie sich das dann auf die gesteigerte Kommunikation unter den Mitarbeitern auswirkt, kann sich ein jeder selbst ausmalen.

Über den Kapitalismus und den Menschen hat einst schon Herbert Marcuse philosophiert: Der Kapitalismus hat Not und Hunger beseitigt, daher könnten die Menschen nun frei von allen Zwängen leben. Im 21. Jahrhundert allerdings scheint es so, dass sich der Mensch neue Zwänge auferlegt beziehungsweise auferlegen muss. Wer im Großraumbüro konzentriert und produktiv arbeiten will, braucht eben eine Büro-Scheuklappe. Und sicher wird jemand ordentlich daran verdienen. Immerhin hat Panasonic mit Stand heute schon 56 Prozent des angestrebten Startkapitals für seine Büro-Scheuklappe aufgestellt. (Markus A. Gaßner, 19.10.2018)