"Der Tiller ist überall": Bald ist die Amtszeit von Bezirkschef Adolf Tiller in Wien-Döbling jedoch vorbei.

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Adi Tiller steht zwischen den Fronten der Döblinger Regimenter. Auf der einen Seite redet ein großgewachsener Mann mit weißem Haar und hellem Poloshirt – wohnhaft in den Wiener Weinbergen – auf ihn ein, der dem langjährigen Chef des 19. Bezirks unbedingt seine Enttäuschung mitteilen will.

Auf der anderen Seite gesellt sich ein grauhaariger Mann mit Rucksack aus dem Grenzgebiet zu Währing dazu, der Tiller überschwänglich gratuliert, endlich das Richtige getan zu haben. Grinzing gegen Cottage – das emotional diskutierte Thema ist das kürzlich beschlossene Parkpickerl im Nobelbezirk.

Tiller ist Döblinger Urgestein. Seit 40 Jahren führt der frühere Tankstellenpächter den Bezirk. Am 31. Oktober übergibt er das Zepter an seinen Stellvertreter Daniel Resch. An diesem Tag eröffnen sie gemeinsam die Seniorenmesse im Q19, einem Einkaufszentrum in Heiligenstadt. Ständig unterbrechen den amtierenden Bezirksvorsteher Passanten, um ihm die Hand zu schütteln.

Sündenbock Vassilakou

Der Beschluss des Parkpickerls ist eine bittere Niederlage für Tiller. Er ist im Bezirksparlament schlussendlich mit Stimmen aus den eigenen Reihen ausgebremst worden. "Das ist alles Vassilakou, nicht Tiller", beschwichtigt er den aufgebrachten Grinzinger.

Der 79-Jährige ist keiner, der einem unangenehmen Gespräch mit Floskeln ausweicht. Er bleibt stehen und diskutiert. Er redet gerne und viel, seine Wortwahl wirkt nicht immer durchdacht. Er erzählt vom gut funktionierenden Zusammenleben von "Asylanten", die in Oberdöbling gemeinsam mit Pensionisten untergebracht seien, für die Verkehrsstädträtin findet er wenig schmeichelhafte Worte.

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15.000 Ehrungen, unzählige Eröffnungen und Spatenstiche und tausende Bauverhandlungen: Als Bezirksvorsteher musste Adi Tiller viele Veranstaltungen besuchen und Termine wahrnehmen.
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"Sein Reich ist Döbling, dort war er Kaiser, das hat er signalisiert", sagt Bernhard Görg, der zehn Jahre lang die Wiener ÖVP führte. Ihr Verhältnis war nicht immer friktionsfrei, hat doch auch Tiller Görgs Abgang beschleunigt.

Heute sieht das Görg entspannt: Er habe Respekt dafür, was er alles geleistet hat. "Er war sich für nichts zu minder", beschreibt ihn der frühere Wiener Vizebürgermeister. Das Geheimnis seiner politischen Langlebigkeit? "Er hatte ein absolutes Amtsverständnis und hat den Bezirk autoritär geführt, er ist entscheidungsfreudig und dominant. Das mag manchen auf die Nerven gehen, ist aber erfolgreich."

Sorge um politisches Vermächtnis

Von sich selbst redet der Bezirkschef in der dritten Person. "Der Tiller ist überall" ist sein Leitsatz. Wenn er von seinem Schaffen im Bezirk erzählt, wechselt er in die Ich-Form, um seine Bedeutung hervorzuheben: "Ohne mich hätte es das Einkaufszentrum nicht gegeben", erklärt er im Q19, "ich habe eine Park-and-Ride-Anlage gemacht", sagt er über die parkplatzsuchenden Pendler, "ich habe den Karl-Marx-Hof saniert", sagt er über die Renovierung des großen Gemeindebaus. Für seine Mitstreiter befremdlich. Sie stöhnen, dass er in den Monaten vor seinem Rückzug mit einer Liste seiner Döblinger Projekte hausieren geht.

Das Parkpickerl hatte er nicht darauf, die Einführung konnte er nicht mehr verhindern. Jahrelang war er dagegen Sturm gelaufen. Nach dem Beschluss sprach er von "Parkpickerlmafia" und Drohungen gegen seine Leute, ihnen die Autoreifen aufzustechen. Offenkundig fühlte er sich von Rot-Grün im Stich gelassen. "Dass das Parkpickerl jetzt an mir hängenbleibt, tut mir weh", gibt er sich ehrlich besorgt um sein politisches Vermächtnis.

Was war passiert? Nachdem der Nachbarbezirk Währing das Pickerl eingeführt hatte, wurde der Druck in Döbling immer größer. Auch seitens der Bewohner kippte die Stimmung, als die Stellplatzsuche mühsamer wurde. "Wir sind der Parkplatz von Wien", ruft ein Pensionist. Tiller kontert: "Die Pendler stellen ihre Kraxn überall hin." Sein Kompromiss eines Nachmittagspickerls, das Geschäftsleute zufriedenstellen sollte, fand keine Mehrheit.

Eine Speziallösung für Döbling? Zu Tiller hätte das gepasst. Doch die Stadt machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Ein weiteres Tarifmodell hätte im Gemeinderat beschlossen werden müssen.

"Die Situation hat sich zugespitzt, der Handlungszwang war da", rechtfertigt sich Tillers Nachfolger Resch. Sogar er stimmte Ende September für die Einführung. Ob er damit Tiller in den Rücken fiel? Er wollte das Thema vom Tisch haben, damit auch wieder andere Projekte bearbeitet werden können, so der 33-Jährige.

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Adi Tiller pflanzte gemeinsam mit Vizebürgermeisterin Grete Laska Bäume in Döbling.
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Mit der Amtsübergabe Ende Oktober wird wahrlich ein Generationenwechsel vollzogen. "Als ich geboren wurde, war Tiller schon sechs Jahre Bezirksvorsteher", rechnet Resch vor. Es war 1978, als Tiller das rote Döbling schwarz einfärbte. Erhard Busek krempelte gerade als Wiener Landesparteiobmann mit seinen bunten Vögeln die ÖVP um. Tiller ging bald seinen eigenen Wege, aber Erinnerungen an gemeinsame Aktionen mit Busek bleiben: In der Radlmayergasse umarmten sie zusammen Bäume, damit diese nicht gefällt werden.

"Er muss die Volkstümlichkeit nicht spielen, das ist seine Stärke", sagt Busek. Hatte Tiller bei seiner ersten Wahl nur 1000 Stimmen Vorsprung auf die SPÖ, war Platz eins in den vergangenen Jahren gesetzt. Er bewegte sich kontinuierlich zwischen 30 und 40 Prozent. Andere bürgerliche Bezirke fielen, aber Döbling blieb schwarz.

Ruf nach thematischer Verjüngung

Tiller wurde achtmal als Bezirkschef bestätigt, erlebte zehn Parteiobleute, nahm 15.000 Ehrungen vor. Das klingt fast so beeindruckend wie die 800 Bauverhandlungen, die er pro Jahr für den Bezirk führte. Auf Alkohol verzichtete er schon immer, sonst hätte seine Leber die lange Amtszeit nicht unbeschadet überstanden, ist er überzeugt.

2001 forderte er eine Direktwahl von Bezirksvorstehern. Kein Wunder, erzählt er doch gerne davon, auch von Menschen gewählt zu werden, die auf Stadtebene für andere Parteien stimmen. Er trat die längste Zeit mit der eigenen Liste Adolf Tiller an.

Der Bezirkskaiser weiß, wie er seine Wählerschaft bedient. Er ließ acht Seniorenheime errichten. Der Fokus auf diese Wähler ist manchen ein Dorn im Auge. Sein roter Stellvertreter Thomas Mader fordert eine thematische Verjüngung. "Jugendliche müssen zur Freizeitgestaltung aus dem Bezirk auswandern", kritisiert er fehlende Angebote, etwa einen Wasserspielplatz oder Skateparks. Resch will das ändern und bald einen Pumptrack, einen Parcours für Skateboarder, eröffnen. Ein Termin, den früher auch Tiller nicht ausgelassen hätte.

Erbpacht Döbling

Freizeit und Arbeit verschwammen bei ihm: Zu Kirchenveranstaltungen ging er "nicht unbedingt wegen der Hostie". Die fehlende Abgrenzung hat sich auch auf seine Familie ausgewirkt, seine beiden Töchter Susanne und Monika sind mittlerweile Bezirksrätinnen in Döbling.

Die Grenzen zur Freizeit waren manchmal fließend.
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Als Präsident der Vienna besuchte er jedes Fußballspiel, den Spielerpass zeigt er mit Begeisterung: "Ich könnte heute noch auf der Hohen Warte einlaufen." Auf dem Feld gilt er als ehrgeiziger Spieler, war er doch in jungen Jahren Mitglied der Kampfmannschaft von Wacker Wien. Fußballkollegen ist noch immer bekannt: Mit ihm im Team kann man vieles erreichen, ist er der Gegner, hat man es schwer.

Legt man diesen Satz auf die Politik um, wird Nachfolger Resch wohl kein Interesse haben, Tiller als Bezirksparteiobmann loszuwerden. Dieses Amt übt Tiller nämlich planmäßig noch bis 2022 aus. Resch sieht die Doppelspitze auch gar nicht negativ und ist froh, Tiller als beratende Stimme zu behalten. "Er ist in Döbling bekannter als der Bundespräsident", sagt er nicht ohne Bewunderung.

Nun muss Resch noch aus dem Schatten des Kaisers heraustreten. Mit seiner Stimme für das Parkpickerl hat er einen ersten Schritt getan. (Marie-Theres Egyed, Rosa Winkler-Hermaden, 20.10.2018)