In der vielleicht surrealsten Szene eines an merkwürdigen Episoden nicht eben armen Films trifft Sam (Andrew Garfield), der arglose Held von Under the Silver Lake, auf einen überwuzelten Pianisten (Jeremy Bonn). Die außer mit Musikinstrumenten kaum eingerichtete Villa trägt zur seltsamen Aura der Situation bei. Der Mann hält eine denkwürdige Rede, auf deren Höhepunkt er dann behauptet, dass jeder Song der Popgeschichte auf sein Konto gehe. Der ganze Mythos der Gegenkultur – mithin ein Riesenschwindel. "Die Popkultur fließt fort wie ein Taschentuch."

Mysteriöse Vorkommnisse in der Nachbarschaft und keinen Durchblick: Andrew Garfield in "Under the Silver Lake".
Foto: Viennale

Ist es ein Traum? Wo endet die Wirklichkeit? Wo beginnt die Einbildung und wo die Verschwörung? Das ist in der neuen, im besten Sinne "weirden" Arbeit von David Robert Mitchell nie eindeutig klar. Mit seinem raffinierten Meta-Horrorfilm It Follows hat sich der US-Regisseur bereits 2015 als einer der interessantesten Genre-Ikonoklasten der letzten Jahre vorgestellt. Noch ambitionierter zeigt er sich nun in den fast zweieinhalb Stunden von Under the Silver Lake, der das Arsenal von in Los Angeles angesiedelten Neo-Noirs – von Chinatown über Mulholland Drive bis Inherent Vice – um eine einfallsreiche (und auch eingerauchte) Variante erweitert.

Millennials im Blick

Mitchell schickt Sam auf eine Rätselodyssee, die auch zu (aus dem Kino) berühmten historischen Schauplätze wie dem Griffith-Observatorium führt. Die Besonderheit des Films liegt jedoch in seiner Ausrichtung auf die Erfahrungswelt der Millennials, einer Generation, der man gern einen Hang zur Individualisierung sowie die Prägung durch Medien und Internet zuschreibt. Der von Garfield auf komische Weise schwerfällig verkörperte, oft nur halbaufmerksame Sam gehört da dazu. Er stolpert passenderweise eher in sein Abenteuer. Und er bedient sich von Anfang an fragwürdiger Aufklärungsmittel, wie etwa Schatzkarten, die sich auf Frühstückscerealienpackungen oder alten Nintendo Power-Magazinen befinden.

Man könnte sagen: Alles wird in Under the Silver Lake, der mit dem mysteriösen Verschwinden von Sams Nachbarin, der Blondine Sarah (Riley Keough), beginnt – so weit, so traditionell – zum Zeichen. Allerdings ist der Überschuss an Hinweisen in dieser popkulturell gesättigten Wirklichkeit mittlerweile so groß, dass sie immer weniger "wirklich" wirkt. Dass sich der Möchtegerndetektiv Sam, der zu einem guten Teil auch nur verdatterter Beobachter bleibt – schon der Anfang erinnert an Hitchcocks Fenster zum Hof -, in diesem Universum selbst abhandenkommt, ist da wenig überraschend.

Clip aus "Under the Silver Lake".
The Upcoming

Mitchell wiederum will genau darauf hinaus: auf dieses Gefühl, im Meer der Verweise verlorenzugehen. Umgesetzt hat er diese Erfahrung als Labyrinth einer Stadt, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil selbst aus Bildern aus dem Popfundus besteht. Wer es zu lesen versucht, geht schon ein Stück weit darin verloren. Innen und Außen gehen wie in einem Moebiusband ineinander über.

Mitchells Tonfall wird von einem neugierigen, sanft selbstironischen Blick bestimmt, wodurch der Film selbst nicht wie eine Festung, sondern wie ein offenes Feld wirkt. Auch deshalb, weil der Ankerpunkt des Films durchaus real ist: Schauplatz ist Silver Lake, der nordöstliche Stadtteil von L.A. Under the Silver Lake ist letztlich auch als Ode auf dieses alte Los Angeles zu verstehen, das Mike Gioloukas' Kamera in sonnigen Bildern einfängt: ein Ort voller popkultureller Mythen, in denen man leicht verschwinden kann. (Dominik Kamalzadeh, 25.10.2018)