Der Tod ist für Kinder schwer zu fassen. Dennoch ist es wichtig, ihnen in klarer und altersgemäßer Sprache zu erklären, was es bedeutet, wenn jemand stirbt.

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Maries* Mutter hatte es lange Zeit nicht über die Lippen gebracht. Schon gar nicht in der Gegenwart ihres Kindes. Das Wort sterben. Der Opa sei plötzlich eingeschlafen, erzählte sie der fünfjährigen Tochter, nachdem dieser an einem Herzinfarkt gestorben war. Da bekam es Marie mit der Angst zu tun, wann immer sich ihre Mutter hinlegte und die Augen schloss. Was wenn auch sie "plötzlich einschlafen" und nicht mehr wieder aufwachen würde? "Nicht einschlafen", schrie Marie dann. Mutter und Tochter bekamen alsbald massive Schlafstörungen.

Monate später suchten sie professionelle Hilfe. Sie fanden diese beim Roten Anker, einer Einrichtung des CS Hospizes Rennweg, die trauernde Kinder therapeutisch begleitet. Dort hat Marie die Unterschiede zwischen einem toten und einem schlafenden Menschen auseinandergeklaubt: "Wenn man schläft, dann atmet man. Ist man gestorben, atmet man nicht mehr. Ein schlafender Mensch ist warm, sein Herz schlägt, er wacht wieder auf. Ein toter Mensch ist kalt, sein Herz steht still, er wacht nicht mehr auf." Unzählige Male hat sie auch das Sterben ihres Großvaters nachgespielt, mit Handpuppen: erst der Herzinfarkt, dann die Rettung, das Krankenhaus, das Kühlhaus, die Bestattung. Danach vergingen auch die Schlafstörungen.

Recht auf Abschied

Es gibt viele vorgefasste Meinungen, warum Erwachsene mit Kindern nicht über den Tod reden sollten. Man wolle die Kleinen nicht unnötig belasten, heißt es. Oder: Kinder würden so etwas Unvorstellbares wie den Tod ohnehin nicht begreifen. Häufig werden Kinder selbst dann nicht miteinbezogen, wenn ein Mensch im Sterben liegt, der ihnen am Herzen liegt. Man dürfe doch einem Kind den Anblick eines Toten nicht zumuten. Und: "Es soll den Opa so in Erinnerung behalten, wie er war", glauben manche Eltern.

Die Psychotherapeutin Silvia Langthaler ist da anderer Auffassung. Von Berufs wegen setzt sie sich mit den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen auseinander, die mit den Themen Sterben, Tod und Trauer konfrontiert sind. 2010 gründete sie im CS Hospiz Rennweg den Roten Anker, sie leitet Trauergruppen für Kinder und Jugendliche und spricht in Kindergärten und Schulen zum Thema. Was ihr wichtig ist: dass Erwachsene klare Worte finden, wenn sie mit Kindern über den Tod sprechen. Nicht sagen, "jemand ist eingeschlafen" oder "auf eine Reise gegangen". Die Wahrheit, dass ein geliebter Mensch verstorben ist und nicht mehr wiederkommt, sei auch einem Kind zumutbar, sagt sie. Und: "Kinder haben ein Recht darauf, Abschied zu nehmen." Wie sonst sollen sie einen Umgang mit Tod und Trauer lernen?

Trauer zumuten

Für Langthaler steht fest: Kinder können sich nur dann schmerzhaften Gefühlen stellen, wenn Erwachsene ihnen derartige Situationen auch zutrauen. Das ist längst nicht selbstverständlich. "Eltern wollen ihre Kinder schonen", sagt sie. Immer wieder erlebt die Psychotherapeutin, wie Eltern ihre Sprösslinge von allen unangenehmen Gefühlen fernhalten und schützen möchten. Sie nicht zu Begräbnissen mitnehmen und nicht offen über Trauer sprechen. "Im Grunde wollen sich Erwachsene auch selbst schonen – vor den Gefühlen der Kinder", sagt Langthaler.

Abschiede sind vielfältig. Eine Erfahrung damit kann auch der Tod des geliebten Haustiers darstellen. Oder das Verlieren des Lieblingsstofftiers. Indem Eltern so schnell wie möglich das verstorbene oder verlorengegangene Tier durch ein neues ersetzen, vielleicht sogar heimlich, verhindern sie, dass Kinder Gefühle des Verlusts spüren dürfen. Statt schwierige Situationen "wegzuschaufeln", sollten Eltern ihren Kindern diese zutrauen, sie liebevoll darauf vorbereiten und schon früh einen Umgang mit Abschied "üben", so die Therapeutin.

Nicht totschweigen

Was aber passiert, wenn Kinder mit dem Thema Vergänglichkeit alleingelassen werden? "Kinder folgen dem Redeverbot der Eltern", sagt Christl Lieben. Seit mehr als vierzig Jahren arbeitet sie als Psychotherapeutin, Supervisorin und Coach in freier Praxis in Wien. Kinder hätten sehr feine Antennen und würden instinktiv spüren, wenn man mit ihnen über ein wichtiges Thema nicht spreche, sagt sie. Zwar würden sie ahnen, dass etwas nicht stimme, könnten aber mit niemandem darüber reden und würden mit ihren Fragen alleingelassen werden.

"Wenn man das Thema totschweigt, dann geistert das endlos herum, und die Leute fangen an zu somatisieren", sagt Lieben. Warum der Tod zu einem derartigen Tabuthema in unserer Gesellschaft geworden ist? "Wir leben in einer Fassadengesellschaft. Nach außen wird der schöne Schein gewahrt, und nach innen wird nicht gesprochen", so die Therapeutin. Dabei seien Kinder erleichtert, wenn jemand ehrlich mit ihnen spricht. Auch über den Tod.

Wie tief ist ein Grab? Wird man sofort zum Skelett, wenn man stirbt? Und wie fühlt sich ein Toter an? Irgendwann macht sich jedes Kind Gedanken über das Sterben und das Danach. "Kinder sind begeistert, wenn jemand ohne Angst auf ihre Fragen eingeht." Diese Erfahrung hat Elke Kohl gemacht. Vor acht Jahren hat sie in Niederösterreich das Projekt "Hospiz macht Schule" begonnen und sich auf Trauerbegleitung für Kinder, Jugendliche und Familien spezialisiert. Wenn Kinder mit Schlafstörungen, Aggression oder Rückzug auf den Tod eines geliebten Menschen reagieren, dann suchen Eltern Hilfe bei ihr.

Trauervorbild sein

Inwieweit Kinder das Phänomen Tod begreifen können, hänge von ihrem Alter und ihrer Entwicklungsstufe ab, erzählt sie. Kleine Kinder würden kognitiv noch nicht verstehen, dass der Tod von Dauer ist. Dennoch sollte man ihnen erklären, was es bedeutet, wenn jemand stirbt, sagt Trauerbegleiterin Kohl. Ab dem Volksschulalter würden Kinder dann langsam zu der Erkenntnis kommen, dass der Tod endgültig ist. Eltern und andere Bezugspersonen glauben häufig, dass sie den Kindern gegenüber keine Trauer zeigen dürfen. Im Gegenteil, findet Kohl: Sie sollten so etwas wie Trauervorbilder für die Kleinen sein. Wenn sie wollen, dass es ihrem Kind besser gehe, dann gehöre zur Traurigkeit auch das Weinen dazu. Kohl: "Das muss man sich als Erwachsener erlauben, dann erlauben es sich auch die Kinder."

Je jünger die Kinder, desto mehr Stärkung würden die Eltern brauchen, sagt sie. Wie das geht? Indem sie Eltern dazu ermutigt, ehrlich mit ihren Kindern über das Thema zu sprechen. Indem sie Zuversicht vermittelt, dass eine aktive Trauergestaltung auch Trost spenden kann. Und indem sie Hoffnung streut, dass nichts so traurig bleibt, wie es sich am Anfang eines Trauerweges anfühlt. Die Zeit hilft auch dabei, sagt sie, sie nimmt ein bisschen von dem Trauerschmerz mit, während sie vergeht. (Christine Tragler, 1.11.2018)

* Name von der Redaktion geändert.