Eine Frau, Mitte 40, mit zwei Kindern verliert nach vielen Jahren ihren Arbeitsplatz in Wien-Simmering und meldet sich beim Arbeitsmarktservice AMS. Was der Algorithmus nun leisten soll, ist, anhand ihrer Daten zu berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie binnen sieben Monaten einen Job findet, in dem sie mindestens drei Monate bleibt. Jobsuchende, bei denen die Chance über 66 Prozent liegt, haben gute Perspektiven am Jobmarkt. Statt eines menschlichen Beraters übernimmt die Einschätzung ein Programm. Abgebildet sind alle Variablen, so wie sie laut AMS in die Rechnung einfließen.

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Ohne dass noch individuelle Daten berücksichtigt werden, liegen die Chancen auf rasche Reintegration am Arbeitsmarkt bei 52 Prozent. Als Grundlage für diese Berechnung dient ein junger, gesunder Mann mit österreichischer Staatsbürgerschaft, der im Dienstleistungsbereich arbeiten will und nur über einen Pflichtschulabschluss verfügt. Wohnhaft ist der Mann in Bregenz oder Amstetten, einem Ort, mit sehr guter Perspektive am Jobmarkt. Der Basiswert einer solchen Referenzperson liegt bei 0,10.

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Was geschieht, wenn nun alle anderen Merkmale gleich bleiben, aber eine Frau beim AMS vorstellig wird? Dann muss vom Ausgangswert, also den 0,10, etwas abgezogen werden, und zwar 0,14. Das Ergebnis dieser Subtraktion fließt als neue Basiszahl in eine komplexe Wahrscheinlichkeitsrechnung im Hintergrund ein. Das Ergebnis: Bleibt alles andere gleich, liegen die Chancen für die Frau, am Jobmarkt rasch vermittelt zu werden, bei nur 49 Prozent.

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Ersichtlich wird, dass jede Variable einen unterschiedlich starken Einfluss hat. Der Abzug bei einem Arbeitslosen über 50 ist deutlich höher und wirkt sich entsprechend aus. In der Gruppe 50 plus liegt die Wahrscheinlichkeit auf rasche Vermittlung am Jobmarkt bei nur mehr 35 Prozent. Wird nun eine über 50-jährige Frau bewertet, ergibt das einen doppelten Abzug. Ihre Chancen liegen nur noch bei 32 Prozent. Dagegen gibt es ein Plus und damit höhere Chancen für Menschen mit Lehre und Matura. Ein abgeschlossenes Studium bringt keinen Bonus bei der Bewertung der Perspektiven.

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Für Kritik sorgt, dass in der Beurteilung der Chancen auch nicht beeinflussbare Variablen miteinfließen wie das Geschlecht. Ebenso wird kritisiert, dass Betreuungspflichten zu einer Chancenverschlechterung führen – aber nur bei Frauen. Das System "erkennt" die Betreuungspflichten daran, ob jemand in Karenz war oder eine Geburt hatte. Bei Synthesis heißt es, dass man intensiv geprüft habe, dieses Kriterium auch für Männer zu berücksichtigen. Nur hätten bei Männern Betreuungspflichten statistisch gesehen keine Folgen für die Jobperspektive.

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Eine ganz wichtige Rolle bei der Jobsuche spielt die Frage, wo jemand Arbeit finden will. Die Erbauer des Algorithmus bei Synthesis unterscheiden in fünf Regionen, und zwar je nachdem, bei welcher AMS-Geschäftsstelle man sich arbeitslos meldet. Für diese Regionen stehen die Abkürzungen "RGS_Typ". Die miserabelste Perspektive haben Jobsuchende aus Simmering, Favoriten, Floridsdorf (Typ 4). Sucht jemand aus diesen Wiener Bezirken einen Job, sinken die Chancen bei sonst gleich bleibenden Variablen auf 33 Prozent.

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Für gesundheitlich Beeinträchtigte sind die Chancen schlechter, für Menschen, die in der Industrie Jobs suchen, dagegen besser. Eine Reihe an Variablen bewerten schließlich die Vergangenheit eines Arbeitssuchenden: Wenige Beschäftigungstage in den vergangenen vier Jahren sorgen für geringere Chancen. Dafür ist es ein Vorteil, wenn man in dieser Zeit öfter beim AMS war ("Frequenz-Geschäftsfall") und viel gearbeitet hat. Damit wird die bessere Perspektive von Menschen abgebildet, die zwar öfter arbeitslos werden, aber rasch etwas finden. Wer lange arbeitslos war in der Vergangenheit ("Geschäftsfall lang") und öfter an AMS-Qualifikationsmaßnahmen teilnahm ("Teilnahme 1-3"), hat laut Erfahrungen wiederum etwas schlechtere Karten.

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Als Basis für die Wiener GmbH Synthesis Forschung, die den Algorithmus entwickelt hat, dienen Daten zu AMS-Kunden aus der Vergangenheit. 2017 etwa waren 900.000 Menschen zwischenzeitlich arbeitslos gemeldet. Die Erfahrungen mit diesen Kunden füttern den Computer und liefern Informationen darüber, bei welcher Gruppe wie schnell eine Vermittlung gelingt. Die Trefferquote der Prognosen liegt bei 85 Prozent. Synthesis nützt nicht nur diese Berechnung. Es gibt ein Modell, das die Langzeitperspektive analysiert, also bewertet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es jemandem binnen zweier Jahre gelingt, für mindestens sechs Monate in Beschäftigung zu kommen. Als Basis dafür dienen dieselben Variablen, also Alter, Geschlecht usw. Sie werden anders gewichtet. Die Gewichtung der Variablen ändert sich zudem mit der Zeit. Kommt also ein Arbeitsloser zum AMS, erfolgt automatisch ein Update bei der Perspektivenberechnung nach drei Monaten. Mit der Zeit ist es bei der Beurteilung der Langzeitperspektive von Vorteil, eine Frau zu sein. Insgesamt verwendet Synthesis 96 verschiedene Modelle. (András Szigetvari, 20.10.2018)