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Bervor die türkischen Ermittler Zutritt zum Konsulat erhielten, arbeitete sich eine extra bestellte Putzkolonne durch das Gebäude.

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Erstmals gesteht die Regierung Saudi-Arabiens ein, dass Khashoggi im Konsulat ums Leben kam.

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Riad/Istanbul – Das international unter Druck geratene Saudi-Arabien hat im Fall des getöteten regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi weitere Details in Umlauf gebracht. Ein hochrangiger Regierungsvertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte, der 59-Jährige sei durch einen Würgegriff gestorben.

Zunächst hatte Saudi-Arabien bestritten, für das Verschwinden Khashoggis verantwortlich zu sein, an diesem Wochenende aber bestätigt, dass er bei einem Faustkampf im saudischen Konsulat in Istanbul ums Leben gekommen ist. Der Regierungsvertreter sagte, es seien intern zunächst falsche Informationen verbreitet worden. Als dies klargeworden sei, habe es sofort eine interne Untersuchung gegeben.

Khashoggis Leiche habe man dann einem örtlichen Dienstleister übergeben, weshalb man nicht wisse, wo diese befinde, erklärte Generalstaatsanwalt Scheich Saud al-Modsheb am Samstag. Türkische Ermittler nehmen an, dass Khashoggi von einem eigens eingeflogenen Gerichtsmediziner mit einer Knochensäge zerstückelt wurde und die Leichenteile in großen Koffern aus dem Gebäude gebracht wurden.

US-Präsident Donald Trump ist mit Saudi-Arabiens Umgang mit dem Tod des Journalisten Jamal Khashoggi unzufrieden. Es seien noch Fragen offen, sagte er am Samstag bei einer Veranstaltung in Nevada. "Nein, ich bin nicht zufrieden bis wir die Antwort haben." Am Samstag hatte er die saudische Erklärung zum Tod von Khashoggi noch als "glaubwürdig" bezeichnet.

Autopsiespezialist sollte "Fingerabdrücke entfernen"

Ein saudischer Beamter, der über den Stand der Ermittlungen informiert ist, erklärte gegenüber der New York Times, der Autopsiespezialist Salah al-Tubaigy sei nur Teil des entsandten Teams gewesen, um im Bedarfsfall Fingerabdrücke zu entfernen. "Wenn die Anwesenheit der Gruppe aufgedeckt worden und die Operation dadurch gefährdet worden wäre, hätte Dr. Tubaigy belastende Details entfernen sollen", sagte er der Zeitung.

Türkischen Angaben zufolge zersägte der Gerichtsmediziner Khashoggis Leiche mit einer eigens mitgebrachten Knochensäge.

Suche nach der Leiche

Derzeit sucht die Polizei im Belgrader Wald – einem Naherholungsgebiet nördlich von Istanbul – oder in einer ländlichen Gegend bei Yalova etwa 90 Kilometer südlich von Istanbul nach der Leiche. Die Ermittler überprüften die Fahrtrouten aller Wagen, die am Tag von Khashoggis Verschwinden das Konsulat verlassen hätten.

König Salman ordnete staatlichen Medien zufolge an, den stellvertretenden Geheimdienstchef Ahmed Assiri und den Königshaus-Berater Saud al-Kahtani, der als rechte Hand von Kronprinz Mohammed bin Salman gilt, ihrer Posten zu entheben.

18 saudische Staatsbürger seien festgenommen worden. Kronprinz Mohammed bin Salman ordnete die Bildung eines Ministerialkomitees an, das den Geheimdienst umbauen solle. Ein mit den Ermittlungen vertrauter Vertreter Saudi-Arabiens sagte, der Kronprinz habe nichts von einem Einsatz gegen Khashoggi gewusst. Ganz sicher habe er auch keine Entführung oder Ermordung angeordnet.

Berichte über saudische Trollfabrik

Die New York Times berichtet am Sonntag über eine saudische Online-Armee gegen Kritiker des Regimes und einen angeblichen Spion innerhalb des Unternehmens Twitter.

Bereits im Jahr 2010 habe Saudi-Arabien mit einer Kampagne in den sozialen Medien begonnen, um die Regimekritiker online zu belästigen. Saud Al-Qahtani, ein Berater von Kronprinz Mohammed bin Salman, habe die Strategie dahinter verfasst, heißt es in dem Bericht. Al-Qahtani war einer jener Berater, die nach dem Eingeständnis vom Tod des kritischen Journalisten Jamal Khashoggi entlassen worden waren.

Weiters berichtet die New York Times über einen McKinsey-Bericht, der die öffentliche Meinung zu den Austeritätsmaßnahmen der saudischen Führung im Jahr 2015 analysierte. Laut dem Bericht waren drei Personen für das negative Stimmungsbild über die Sparmaßnahmen verantwortlich. Nach der Veröffentlichung des Berichts wurde einer der drei verhaftet, der zweite sagte, dass die Regierung zwei seiner Brüder verhaftet habe und sein Mobiltelefon gehackt habe, und der dritte berichtete, dass sein Twitter-Konto geschlossen worden sei. Das Beratungsunternehmen McKinsey erklärte in einer Stellungnahme gegenüber der Zeitung, man sei entsetzt, dass der Bericht möglicherweise herangezogen worden sei um einzelne Personen zu verfolgen. Der Bericht sei nicht für irgendwelche Behörden erstellt worden und man werde untersuchen, wer das Dokument mit wem geteilt habe.

Telefonat mit Erdogan

Kurz vor dem Eingeständnis des Todes des Regimekritikers Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul haben der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und der saudische König Salman miteinander telefoniert. Das geht aus einem in der Nacht veröffentlichten Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu hervor.

Erdogan und Salman hätten am Freitagabend über den Fall Khashoggi gesprochen und über die Wichtigkeit, voll bei den Ermittlungen zu kooperieren. Während des Gesprächs hätten der Präsident und der König Informationen über die Fortschritte der Ermittlungen ausgetauscht.

Die Vizechefin der türkischen Regierungspartei AKP, Leyla Sahin Usta, bewertete die Erklärung aus Riad als "nicht überzeugend" und bezeichnete das späte Geständnis eine "Schande". Es wäre wichtig gewesen, wenn Saudi-Arabien früher mit Details zum Tod des Regimekritikers an die Öffentlichkeit gegangen wäre, so Usta. Erst durch die "ernsthaften und erfolgreichen" türkischen Ermittlungen in dem Fall sei das Land "gezwungen" gewesen, Khashoggis Tod schließlich zu bestätigen.

"Die Türkei wird alles enthüllen, was hier vorgefallen ist", sagte AKP-Sprecher Ömer Celik am Samstag. Sein Land sehe die Klärung des Falls als "Ehrenschuld". Vorverurteilungen schloss er ebenso wie Vertuschung aus.

US-Kongress für "internationalen Druck"

Aus dem US-Kongress gab es deutliche Reaktionen. Während der republikanische Senator Lindsey Graham Zweifel an der Darstellung Saudi-Arabiens äußerte, forderte der demokratische Senator Bob Menendez Sanktionen gegen Saudi-Araber, die am Tod des "Washington Post"-Kolumnisten beteiligt waren. "Wir müssen den internationalen Druck aufrechterhalten", forderte er.

Deutschland nicht zufrieden

Die deutsche Regierung hält die saudi-arabischen Angaben zum Tod des Journalisten Jamal Khashoggi für nicht ausreichend. Deutschland erwarte von Saudi-Arabien Transparenz, erklärten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas. Verantwortliche müssten zur Rechenschaft gezogen werden. "Die vorliegenden Angaben zu den Abläufen im Konsulat in Istanbul sind nicht ausreichend."

Außenminister Maas erwägt sogar, Rüstungsexporte zu stoppen: "Ich glaube, solange diese Untersuchungen andauern, solange wir nicht wissen, was da geschehen ist, gibt es keine Grundlage, auf der positive Entscheidungen für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu treffen sind", sagte der SPD-Politikerin den ARD-"Tagesthemen".

Widersprüche

Khashoggi war am 2. Oktober in das saudische Konsulat in Istanbul gegangen, um Dokumente für seine bevorstehende Hochzeit zu bekommen. Seitdem galt der Kolumnist der "Washington Post" als vermisst. Doch rasch kam der Verdacht auf, dass Khashoggi umgekommen sein könnte. Die türkischen Behörden gingen davon aus, dass er in dem Konsulat getötet und seine Leiche fortgeschafft wurde. Saudi-Arabien wies die Vorwürfe zunächst zurück und erklärte, der Journalist habe das Konsulat kurz nach seinem Besuch wieder verlassen.

Zuletzt nahm der Druck auf das Königshaus jedoch zu, für Aufklärung zu sorgen. Zahlreiche westliche Staaten, darunter Deutschland, forderten dies. Die türkischen Behörden hatten zudem ihre Ermittlungen mit Verhören und Durchsuchungen zunehmend ausgeweitet und nach der Leiche gesucht. Deren Verbleib ist nach wie vor unklar. Zudem sagten zahlreiche führende Wirtschaftsvertreter und ranghohe Politiker ihre Teilnahme an einer bevorstehenden internationalen Investorenkonferenz in Riad ab.

ORF-Korrespondent Karim El Gawhary über die Bedeutung der internationalen Investorenkonferenz für die Zukunft der Führung Saudi-Arabiens.
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UN-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte "zutiefst beunruhigt" über den gewaltsamen Tod Khashoggis, wie sein Büro mitteilte. Guterres bekräftigte die Notwendigkeit einer "unmittelbaren, gründlichen und transparenten Untersuchung" der Todesumstände.

Unesco-Chefin Audrey Azoulay verurteilte die Tötung des saudi-arabischen Journalisten als "brutalen Mord". "Ich verurteile nachdrücklich den Mord an Jamal Khashoggi", erklärte die Generaldirektorin der UNO-Kulturorganisation am Samstag in Paris. Sie forderte eine eingehende Untersuchung zu "diesem Verbrechen"; die Täter müssten vor Gericht gebracht werden.

Kneissl fordert unabhängige Untersuchung

Die SPD in Deutschland forderte am Samstag eine "deutliche, unverzügliche und gemeinsame Reaktion europäischer Regierungen". Auch deutsche Oppositionspolitiker ziehen die Darstellung Saudi-Arabiens zum Tod des Journalisten Jamal Khashoggi in Zweifel. Die Behauptung, Khashoggi sei bei einer Schlägerei im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ums Leben gekommen, "erscheint wenig glaubwürdig", erklärte FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff am Samstag.

Österreichs Außenministerin Karin Kneissl erwartet eine EU-Reaktion auf Saudi-Arabien. "Der Fall Kashoggi ist nur der Gipfel des Horrors", sagte Kneissl in einer Aussendung am Samstag. Dass der Tod des Journalisten im Konsulat nun eingeräumt wurde, ändere nichts an der Notwendigkeit einer umfassenden, glaubwürdigen und unabhängigen Untersuchung. Ein derart gravierender Vorfall müsse Konsequenzen für die Beziehungen der EU mit Saudi-Arabien haben. (APA, Reuters, 21.10.2018)