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Ab dem 2. Oktober war Jamal Khashoggi vermisst. Seit diesem Wochenende gibt es nach mehreren Dementi aus Saudi-Arabien die Bestätigung, dass er tot ist.

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Hinter diesen Türen zur saudischen Botschaft wurde der 59-jährige Journalist wahrscheinlich brutal ermordet. Saudi-Arabien liefert allerdings eine andere Version

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US-Präsident Donald Trump bezeichnete die von Saudi-Arabien kommunizierte Version eines Unfalltods in Folge eines Kampfes als glaubwürdig – und erntete starke Kritik. Wenige Stunden später sprach er von Lügen und Täuschung – den saudischen Kronprinzen sieht er allerdings nicht als Verantwortlichen.

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Riad/Istanbul – Kein Faustkampf, sondern ein Würgegriff sei die Todesursache im Fall Jamal Khashoggi. Diese neue Version wurde Sonntagvormittag von einem hochrangigen Regierungsvertreter, der namentlich nicht genannt werden will, verbreitet. 15 Saudis, die nach Istanbul gereist waren um Khashoggi zu verhören, hätten ihm damit gedroht, ihn zu kidnappen. Khashoggi habe sich gewehrt, man habe den 59-Jährigen dann in den Schwitzkasten genommen, so sei er getötet worden, wird der Vertreter von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert.

Khashoggi war am 2. Oktober in das saudische Konsulat in Istanbul gegangen, um Dokumente für seine bevorstehende Hochzeit zu bekommen. Seitdem galt der Kolumnist der "Washington Post" als vermisst. Doch rasch kam der Verdacht auf, dass Khashoggi umgekommen sein könnte. Die türkischen Behörden gingen davon aus, dass er in dem Konsulat getötet und seine Leiche fortgeschafft wurde.

Saudi-Arabiens Außenminister Adel al-Jubeir versprach Khashoggis Angehörigen in einem Interview mit dem TV-Sender Fox News am Sonntag, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden. "Das ist ein furchtbarer Fehler. Das ist eine furchtbare Tragödie", sagte er.


Suche nach der Leiche

Erst dieses Wochenende – mehr als zwei Wochen später – bestätigte Saudi-Arabien, für das Verschwinden Khashoggis verantwortlich zu sein, es habe einen Faustkampf gegeben, bei dem der 59-Jährige gestorben sei.

ORF-Korrespondent Jörg Winter über die Suchaktion nach Khashoggis Leiche.
ORF

Khashoggis Leiche habe man einem örtlichen Dienstleister übergeben, weshalb man nicht wisse, wo diese befinde, erklärte Generalstaatsanwalt Scheich Saud al-Modsheb am Samstag. Türkische Ermittler nehmen an, dass Khashoggi von einem eigens eingeflogenen Gerichtsmediziner mit einer Knochensäge zerstückelt wurde und die Leichenteile in großen Koffern aus dem Gebäude gebracht wurden.

Derzeit sucht die Polizei im Belgrader Wald – einem Naherholungsgebiet nördlich von Istanbul – oder in einer ländlichen Gegend bei Yalova etwa 90 Kilometer südlich von Istanbul nach der Leiche. Die Ermittler überprüften die Fahrtrouten aller Wagen, die am Tag von Khashoggis Verschwinden das Konsulat verlassen hätten.

Trump spricht von Lügen und Täuschung

US-Präsident Donald Trump ist mit Saudi-Arabiens Umgang mit dem Tod des Journalisten nun doch unzufrieden. Es seien noch Fragen offen, sagte er am Samstag bei einer Veranstaltung in Nevada. "Nein, ich bin nicht zufrieden bis wir die Antwort haben." Am Samstag hatte er die saudische Erklärung zum Tod von Khashoggi noch als "glaubwürdig" bezeichnet. Wenige Stunden später sprach Trump von Lügen und offensichtlicher Täuschung. Gleichzeitig sprach er dem Kronprinzen aber sein Vertrauen aus. Mohammed bin Salman. "Niemand hat mir gesagt, dass er verantwortlich ist. Ich würde es lieben, wenn er nichts damit zu tun hat", sagte der US-Präsident.

Sanktionen sind bislang kein Thema. Dafür sei die Zeit noch nicht reif, sagte der US-Finanzminister am Sonntag in Jerusalem. Es müsse eine Untersuchung des Falls geben und mehr Klarheit, was wirklich passiert sei. Saudi-Arabien gehört zu den engsten Verbündeten der USA im Nahen Osten. Saudi-Arabien war das Ziel der ersten Auslandsreise von Trump. Dort unterzeichnete er milliardenschwere Industrieverträge – darunter ein 110 Millionen Dollar schweres Rüstungspaket.

Entlassungen in Saudi-Arabien

In Saudi-Arabien kam es unterdessen zu Entlassungen und Festnahmen. 18 saudische Staatsbürger seien festgenommen worden. Kronprinz Mohammed bin Salman ordnete die Bildung eines Ministerialkomitees an, das den Geheimdienst umbauen solle. Ein mit den Ermittlungen vertrauter Vertreter Saudi-Arabiens sagte, der Kronprinz habe nichts von einem Einsatz gegen Khashoggi gewusst. Ganz sicher habe er auch keine Entführung oder Ermordung angeordnet.

König Salman ordnete staatlichen Medien zufolge an, den stellvertretenden Geheimdienstchef Ahmed Assiri und den Königshaus-Berater Saud al-Kahtani, der als rechte Hand von Kronprinz Mohammed bin Salman gilt, ihrer Posten zu entheben.

Mit Kahtani muss eine Schlüsselfigur im inneren Zirkel des mächtigen Kronprinzen seinen Posten abgeben. Kahtani war ein wichtiger Strippenzieher in Riad: Als Medienberater des Königshauses organisierte er für Mohammed Interviews mit ausländischen Journalisten. Zudem leitete der 40-Jährige das Zentrum für Medienforschung am königlichen Hof.

Kahtani stand seit längerem im Visier des Regierungskritikers Khashoggi: Der Journalist hatte sich immer wieder mit dessen Rolle beschäftigt und ein denkbar düsteres Bild des Medienstrategen gezeichnet. In einem Artikel in der "Washington Post" beschuldigte er Kahtani Anfang des Jahres, "schwarze Listen" über kritische Journalisten zu führen und Reporter einzuschüchtern.

Trollfabrik und Spion bei Twitter

In einem posthum veröffentlichten Interview mit dem Magazin "Newsweek" bezeichnete Khashoggi den Vertrauten des Kronprinzen als "Gauner". "Die Menschen haben Angst vor ihm", sagte Khashoggi über Kahtani. "Wenn Sie ihn herausfordern, riskieren Sie, im Gefängnis zu landen, und genau das ist auch passiert."

Kahtani soll auch hinter einer saudischen Trollfabrik stecken, über die die New York Times berichteten. Dem Bericht zufolge geht eine Online-Armee gegen Kritiker des Regimes vor, außerdem wird über einen angeblichen Spion innerhalb des Unternehmens Twitter berichtet.

Bereits im Jahr 2010 habe Saudi-Arabien mit einer Kampagne in den sozialen Medien begonnen, um die Regimekritiker online zu belästigen. Kahtani habe die Strategie dahinter verfasst, heißt es in dem Bericht.

Ob Kahtani und Assiri tatsächlich Schuld an Khashoggis Tod tragen oder nur als Sündenböcke für Versagen an höherer Stelle herhalten müssen, ist unklar.

Verfolgung von Analysten

Weiters berichtet die New York Times über einen McKinsey-Bericht, der die öffentliche Meinung zu den Austeritätsmaßnahmen der saudischen Führung im Jahr 2015 analysierte. Laut dem Bericht waren drei Personen für das negative Stimmungsbild über die Sparmaßnahmen verantwortlich. Nach der Veröffentlichung des Berichts wurde einer der drei verhaftet, der zweite sagte, dass die Regierung zwei seiner Brüder verhaftet habe und sein Mobiltelefon gehackt habe, und der dritte berichtete, dass sein Twitter-Konto geschlossen worden sei.

Das Beratungsunternehmen McKinsey erklärte in einer Stellungnahme gegenüber der Zeitung, man sei entsetzt, dass der Bericht möglicherweise herangezogen worden sei um einzelne Personen zu verfolgen. Der Bericht sei nicht für irgendwelche Behörden erstellt worden und man werde untersuchen, wer das Dokument mit wem geteilt habe.

Deutschland nicht zufrieden

Die deutsche Regierung hält die saudi-arabischen Angaben zum Tod des Journalisten Jamal Khashoggi für nicht ausreichend. Deutschland erwarte von Saudi-Arabien Transparenz, erklärten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas. Verantwortliche müssten zur Rechenschaft gezogen werden. "Die vorliegenden Angaben zu den Abläufen im Konsulat in Istanbul sind nicht ausreichend."

Außenminister Maas erwägt sogar, Rüstungsexporte zu stoppen: "Ich glaube, solange diese Untersuchungen andauern, solange wir nicht wissen, was da geschehen ist, gibt es keine Grundlage, auf der positive Entscheidungen für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu treffen sind", sagte der SPD-Politikerin den ARD-"Tagesthemen".

Viele Absagen für Investoren-Konferenz

Der Todesfall von Khashoggi zieht auch eine Reihe von Absagen für eine große Wirtschaftskonferenz in Riad nach sich. An der Konferenz The Future Investment Initiative (FII), die am Dienstag in Riad beginnt, nehmen nur noch rund 120 Referenten und Moderatoren teil, wie die Veranstalter am Samstag mitteilten. Am vergangenen Montag hatten noch mehr als 150 Redner auf der Liste gestanden.

Neben US-Finanzminister Steven Mnuchin und der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, sagten unter anderem der US-Autobauer Ford, die US-Bank JP Morgan und der Fahrdienstvermittler Uber ihre Teilnahme an der "Wüsten-Davos" genannten Konferenz ab. Auch mehrere Medien – darunter CNN und Bloomberg, sowie die Financial Times – bleiben dem Treffen fern. Am Samstag kündigte Australien außerdem an, keine Vertreter zu der Konferenz zu schicken.

Wie Österreich reagiert

Vertreter aus Österreich ist bei der Konferenz in Riad laut Wirtschaftskammer keiner dabei. Laut Außenministerium gibt es auch auf politischer Ebene keine österreichischen Teilnehmer.

Österreichs Außenministerin Karin Kneissl erwartet eine EU-Reaktion auf Saudi-Arabien. "Der Fall Kashoggi ist nur der Gipfel des Horrors", sagte Kneissl in einer Aussendung am Samstag. Dass der Tod des Journalisten im Konsulat nun eingeräumt wurde, ändere nichts an der Notwendigkeit einer umfassenden, glaubwürdigen und unabhängigen Untersuchung. Ein derart gravierender Vorfall müsse Konsequenzen für die Beziehungen der EU mit Saudi-Arabien haben.

Das in Wien ansässige "König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog" (KAICIID) ist über den Fall Khashoggi "sehr besorgt". In einer Aussendung vom Sonntag hieß es: "Wir hoffen, dass eine transparente Untersuchung die Wahrheit ans Licht bringen wird und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden."

Die Erklärung kam in der Folge deutlicher Kritik der Oppositionsparteien an dem Zentrum. (red, APA, Reuters, 21.10.2018)