Handauflegen sowie andere Praktiken von Wunderheilern sind in Russland für viele Patienten die letzte Hoffnung (Symbolbild).

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Ein wenig mulmig wird mir doch, als Herr Laban mit seinen Fingern in meine Nase fährt und unsanft daran herumrupft. Gleichzeitig massiert mir einer seiner Helfer die Knöchel, während der zweite ihm ein Fläschchen zureicht und mir mit einem Wattebausch das Gesicht abtupft. Flüssigkeit spritzt mir in die Augen, sodass ich das Fleischstückchen kaum wahrnehme, das mir der philippinische Healer triumphierend als soeben entfernten Polypen erst vor die Nase hält und dann auf die Stirn klatscht.

Vier Organe dürfen sich Patienten vor einer Séance bei Augustin Marrero Laban aussuchen, die es zu heilen gilt. Ich habe mich für Nase, Leber, Bauchspeicheldrüse und Nieren entschieden – und lag offenbar bei allen richtig. Überall entdeckt der Mittfünfziger schwere Defekte. Die Leber weist eine Infektion auf, eine Nierenschwäche behebt Laban, indem er mit seinen Fingern Energie hineinmassiert. Zudem diagnostiziert er in den Nieren Sand und bei der Bauchspeicheldrüse einen Tumor. Nach fünf Minuten ist die "Behandlung" vorbei. Ich bin erleichtert – vor allem finanziell. Fast 200 Euro hat die Prozedur gekostet.

Scheinoperationen

Trotzdem ist das Wartezimmer bummvoll. Zweimal im Jahr kommt Laban nach Russland, immer nach Wladimir. Angeblich, weil die Aura in der 200 Kilometer östlich von Moskau gelegenen Stadt mit den vielen Kirchen so gut ist. Seine Patienten pilgern oft von weither zum Wunderdoktor.

Die Moskauerin Olga ist bereits das fünfte Mal bei ihm. Sie schwört auf die Psi-Chirurgie, wie die Technik der Scheinoperationen genannt wird. Das erste Mal kam sie mit Blasenschmerzen zu Laban, die normale Ärzte nicht beheben konnten. Sofort habe sie sich viel besser gefühlt, sagt die etwa 50-jährige Blondine. Inzwischen hat sie wohl alle inneren Organe durch. Jedes Mal hat Laban sie dabei von einer schweren Krankheit befreit – auch diesmal war es mindestens ein Tumor.

Ihr Mann Dima, ein studierter Mathematiker, ist weniger euphorisch. "Skepsis ist angebracht", sagt er. Aber dass Laban ihm geholfen habe, Nierensteine loszuwerden, hält auch er für unbestritten. "Vorher waren sie im Ultraschall zu sehen, nach der Behandlung konnte sie der Arzt nicht mehr finden." Gewisse Fähigkeiten müsse Laban also haben.

Kurs für Massage

Aus dem "medizinischen Zeugnis", das am Eingang der Privatklinik hängt, geht das nicht hervor. Dort steht nur, dass der Filipino daheim einen einmonatigen Kurs für Massage und Reflextechniken bestanden hat. Aber den englischen Text liest sich ohnehin kaum ein Russe durch. Laban bietet neben gewöhnlichen medizinischen Dienstleistungen auch Wellnessprodukte an.

Wunderheiler haben eine lange Tradition in Russland. Ein Grund dafür ist, dass die Schulmedizin – gerade in der Provinz – den Menschen oft nicht weiterhelfen kann. Zwar ist die Lebenserwartung zuletzt durch die Senkung der Kindersterblichkeit gestiegen, doch bei der Erkennung von Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen ist Russland weit zurück. Und so setzen viele Menschen ihre letzte Hoffnung auf ein Wunder.

Ein anderer Grund ist die kulturelle Bedeutung von Religion, aber auch Mystik und Aberglauben in Russland. 77 Prozent der Russen glauben einer Umfrage zufolge an übernatürliche Fähigkeiten Einzelner. Philippinische Psi-Chirurgen sind nur der neueste Schrei. Daneben hat Russland auch ureigene Wunderheiler. Manche schwören auf Schamanen am Baikal oder im Altai, andere gehen zur Babuschka im Dorf, die mit Kerzen und Beschwörungsformeln Krankheiten und den bösen Geist austreibt.

Wunderheilerin in Moskau

Auch Walentina Iwanowna ist eine solche Wunderheilerin. Vom Alter würde sie mit über 60 schon zur Kategorie Babuschka zählen, doch sie hat einen Abschluss als Kinderärztin und empfängt ihre Patienten mitten in Moskau. Ihren Job in der Poliklinik hat sie hingeworfen, als sie eigenen Worten zufolge ihre übernatürlichen Fähigkeiten entdeckte. Jetzt behandelt sie auf eigene Rechnung – 100 Euro pro Séance – und mit ihren Methoden.

Die Hand wärmt sie über einer Opferkerze, dann greift sie das Handgelenk des Patienten, um dessen Leiden zu spüren. Zu viel Stress und zu wenig Bewegung machten die Menschen krank, meint sie – und empfiehlt Spaziergänge, viel Wasser und homöopathische Pillen. Einen ganzen Sack voll Vitaminen, Luteinen und Glycinen, Gingko oder Omega-3-Tabletten verschreibt Iwanowna. Die Mittel können die Kranken gleich bei ihr kaufen.

Ein gutes Geschäft. Abzocke, klagen einige. Andere kommen immer wieder: Jahrelang habe sie keine Kinder bekommen können, sagt Lena. Die Ärzte hatten sowohl sie als auch ihren Mann Alexej für unfruchtbar erklärt. Iwanowna habe an sie geglaubt. Nun hat Lena fünf Kinder und ist überzeugt: Auf den Glauben kommt es an. (André Ballin aus Wladimir, 22.10.2018)