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Im saudischen Konsulat in Istanbul wurde Jamal Khashoggi ermordet.

Foto: AP/Lefteris Pitarakis

Frage: Wie ist es möglich, dass ein intimer Kenner der saudischen Verhältnisse wie Jamal Khashoggi überhaupt in das Konsulat und damit in die Falle ging? Musste er nicht mit Schwierigkeiten rechnen?

Antwort: Er hat wohl höchstens damit gerechnet, dass ihn einer der Konsulatsangestellten auffordert, nach Saudi-Arabien zurückzukehren. Das passiert saudischen Dissidenten ständig. Aber Khashoggi wurde ja nicht wirklich verfolgt, er war weiter gut in Saudi-Arabien, auch in der Familie Saud, vernetzt, sein Konflikt betraf nur den Kronprinzen und seine Umgebung.

Frage: Was warf er dem Kronprinzen vor?

Antwort: Interessant ist, dass MbS, wie Mohammed bin Salman genannt wird, eigentlich einen Reformweg eingeschlagen hat, den Khashoggi in seinen Schriften propagierte. Er selbst war ja als Publizist und Autor immer wieder an die Grenzen der Pressefreiheit gestoßen. Aber dann fing MbS an, Kritiker aller Couleurs – sowohl liberale als auch konservative, denen die Reformen zu weit gingen – einzusperren. Etliche von Khashoggis Freunden wurden verhaftet. Khashoggi ging in die USA und übte von dort Kritik.

Frage: Es sind Meldungen aufgetaucht, dass Khashoggi ein Muslimbruder war und Terroristen nahestand, was ist da dran?

Antwort: Es ist eine Kampagne, die auf Khashoggis Vergangenheit basiert. In seiner Jugend sympathisierte er mit den Muslimbrüdern, die damals als Opposition gegen die undemokratischen Verhältnisse in der arabischen Welt auftraten. Und er interviewte in den 1980er-Jahren den in Afghanistan gegen die Sowjets kämpfenden Osama bin Laden. Abgesehen davon, dass das lange vor 9/11 war: Bin Laden wurde damals von Saudi-Arabien und indirekt von den USA unterstützt. Aktuell verübelte die saudische Führung Khashoggi Kommentare, in denen er hinterfragte, ob die totale Unterdrückung der Muslimbruderschaft, die mit dem Sturz von Mohammed Morsi in Ägypten begann, der richtige Weg sei. Riad sieht in den Muslimbrüdern eine revolutionäre Kraft, die die Monarchien am Golf stürzen will.

Frage: Wie stehen die arabischen Regierungen zum Fall Khashoggi?

Antwort: Es ist ganz typisch, dass jene sich als Erstes hinter Saudi-Arabien gestellt haben, die stark gegen die Muslimbrüder sind. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, aber auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der sich in einer Auseinandersetzung mit der Hamas, dem palästinensischen Muslimbruderzweig, befindet. Und da es auch um eine türkisch-saudische Auseinandersetzung geht, zeigen die Araber, wer ihrer Meinung nach der Leader der muslimischen Welt sein sollte: ein Araber, nicht der türkische Präsident Tayyip Erdogan.

Frage: Und die Iraner?

Antwort: Halten sich ziemlich bedeckt. Jamal Khashoggi hat den Iran immer lautstark kritisiert, unter anderem in einem Interview 2014 mit dem STANDARD. Fast kurios mutet an, dass eine der Drohungen der Saudis gegen externe Kritiker ist, dass sie sich dem Iran zuwenden könnten. Tatsächlich ist ja Saudi-Arabien der stärkste strategische Verbündete der USA gegen Teheran.

Frage: Das beträfe dann auch Israel.

Antwort: Dort sieht man die Entwicklungen mit großer Sorge. MbS stand für die Möglichkeit einer noch engeren saudisch-israelischen Kooperation gegen den Iran. Die Palästinenser sind ihm egal, in der Jerusalem-Frage sprang sogar einmal sein Vater, König Salman, ein, um den Eindruck zu verwischen, dass Riad nichts dagegen habe, dass die USA Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt hatten. (Gudrun Harrer, 22.10.2018)