Wolfgang Thiem (re.) trainiert mit Günter Bresnik in der Südstadt.

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STANDARD: Seit mehr als 20 Jahren dreht sich Ihr Leben um Tennis. Würden Sie gerne über etwas anderes sprechen?

Thiem: Eine gute Frage. Grundsätzlich schon, es kommt drauf an, mit wem.

STANDARD: Na dann los.

Thiem: Im Moment rede ich sehr gerne übers Hausbauen. Ich bin gerade ein Hobbybaumeister. Wir stehen erst am Anfang, der Baubeginn kommt noch.

STANDARD: Tennis bestimmt aber nach wie vor den Großteil Ihres Lebens?

Thiem: Ja – und es macht mir großen Spaß. Zu Dominics Entwicklung habe ich vor allem bis zu seinem elften, zwölften Lebensjahr beigetragen. Später hatte ich aber nur mehr wenig mit seiner Tennisentwicklung zu tun. Mein Hauptanteil war, dass ich eigentlich wenig gemacht habe.

STANDARD: Eltern von Spitzensportlern muss man ja oft zügeln.

Thiem: Es gibt so viele, entschuldigen Sie den Ausdruck, depperte Tenniseltern, die sich die ganze Zeit einmischen. Da kommt dann immer ein Tohuwabohu raus.

STANDARD: Tennis ist daheim aber Thema Nummer eins, oder?

Thiem: Man fiebert mit und ist emotional dabei. Wenn Dominic gewinnt, ist die Stimmung gut, wenn er verliert, schlecht. Es ist nicht so, dass ich dann mit meiner Frau drei Tage streite, aber es hat schon Einfluss auf den Haussegen. Man kann das nicht einfach vom Tisch schieben. Wenn andere Eltern von Sportlern das behaupten, reden sie einen Blödsinn. Egal welche Sportart.

STANDARD: Tennis ist mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden. Wann war klar, dass sich Dominics Karriere ausgeht?

Thiem: Ausgeht oder aufgeht?

STANDARD: Beides.

Thiem: Wenn ich Eltern begegne, deren Kinder am Anfang der Karriere stehen, tun sie mir leid. Sie wissen nicht, was auf sie zukommt. Man hat einfach keine Ahnung, wie viel das alles kostet, und vielleicht ist das auch gut so. Wenn man einen Finanzierungsplan aufstellt, würde man wohl den Zettel zerreißen und dem Kind den Schläger wegnehmen. Wenn der Enthusiasmus für den Sport fehlt, kann man es gleich vergessen.

STANDARD: Gab es einen Alternativplan, falls es nicht funktioniert?

Thiem: Nein. Wir waren uns aber nicht hundertprozentig sicher, dass alles so aufgeht, auch wir als Familie haben gezweifelt. Aber es gab nie einen Plan B.

STANDARD: Sowohl Dominic als auch Ihr zweiter Sohn Moritz haben die Schule abgebrochen.

Thiem: Es war eine durchaus bewusste Entscheidung, hinter der ich nach wie vor stehe. Eine Tenniskarriere und Schule sind nicht vereinbar.

STANDARD: Wieso?

Thiem: Das Schulsystem ermöglicht keine Tenniskarriere. Die Verantwortlichen haben keine Ahnung, wie zeitintensiv es ist. Es ist wie mit einem Lehrberuf: Es fragt ja auch niemand einen Tischlerlehrling, was er sonst noch gelernt hat und was passiert, wenn er es nicht schafft.

STANDARD: Wie würden Sie sich als Tennis-Coach beschreiben?

Thiem: Ich bin sehr motiviert. Ich fahre jeden Tag gerne in die Südstadt und habe Spaß bei der Arbeit mit den Spielern. Es hat geholfen, dass ich bei Dominic lange hautnah dabei war. Eine meiner Hauptqualitäten ist eine gewisse Zielstrebigkeit.

STANDARD: Welchen Einfluss hat Günter Bresnik auf Sie?

Thiem: Günter hat mir das Handwerk beigebracht, also wie man trainiert. Was die Technikausbildung betrifft, glaube ich, dass es derzeit in Österreich keinen Besseren gibt. Die Tennislehrer- oder Tennistrainerausbildung, die ich davor gemacht habe, würde ich nie mehr machen.

STANDARD: Warum nicht?

Thiem: Die Ausbildung ist sehr schlecht. Es ist wie in der Schule: Die, die dort lehren, haben keine Ahnung von Leistungssport. Zudem ist es ein Teufelskreis – die Verantwortlichen holen Leute aus ihrem Dunstkreis. Wir haben hier in Österreich keine fünf Trainer, die einen an ein Grand-Slam-Niveau heranführen können.

STANDARD: Judy Murray setzt sich dafür ein, dass mehr Frauen als Trainerinnen arbeiten.

Thiem: Ich würde das gut finden. Wir schicken jetzt ein Mädchen zur Orange Bowl in die USA, und natürlich versuche ich ihr eine Frau als Betreuerin an die Seite zu stellen. Das Vertrauensverhältnis ist einfach besser. Wir haben auch bei uns ein paar ehemalige Spielerinnen, die mithelfen.

STANDARD: Ex-Spieler tauchen in Österreich ja eher unter.

Thiem: Das ist ein großes Problem. Ich rede nicht nur von ehemaligen Top-100-Spielern, sondern von Spielern, die jahrelang Futures gespielt haben. Das sind sehr gute Tennisspieler, die mit ihrer Erfahrung jüngeren Talenten etwas mitgeben könnten.

STANDARD: Sind ehemalige Spieler automatisch gute Trainer?

Thiem: Auf gar keinen Fall, nur wenn man ihnen das technische Rüstzeug vermittelt. Sie müsste man nach der Karriere sofort auffangen. Das müsste der Verband machen und eine Jobgarantie in den Leistungszentren stellen.

STANDARD: Dominic spielt nach Richard Gasquets Absage in Wien gegen den belgischen Qualifikanten Ruben Bemelmans. Gut?

Thiem: Es ist egal. Das Turnier ist sehr gut besetzt. Bei Dominic ist es nicht in erster Linie der Gegner, sondern wie er selbst ins Turnier reinfindet. Wenn alles passt, kann er das Turnier gewinnen.

STANDARD: Das Jahr war bis jetzt doch ganz zufriedenstellend oder?

Thiem: Eigentlich nicht. Er hatte im Endeffekt drei gute Wochen. Lyon, Madrid, Paris. Die Niederlage gegen Nadal in Paris geht in Ordnung. Gegen Zverev in Madrid war er nicht gut. Nach Paris hat er zu früh wieder begonnen. Ziel ist es, die guten Wochen auf 70 bis 80 Prozent der Turniere auszudehnen. Dann ist er Top drei. (Andreas Hagenauer, 22.10.2018)