Mit einem Schlag war Jacek Jaśkowiak berühmt. Keine drei Sekunden dauerte es, und der Mann, auf dem heute die Hoffnungen vieler liberaler Polen ruhen, setzte zum Angriff an. Und teilte aus: links, rechts, links. Dass ihm sein Gegenüber, ein Meister seines Fachs, kurz darauf einen wuchtigen Hieb verpasste, tat der Euphorie über den 54-Jährigen keinen Abbruch.

Jacek Jaśkowiak herzt im Wahlkampf gelegentlich auch Kinder.
Foto: imago/Eastnews

Ganz Polen blickte vor drei Jahren auf den Bürgermeister der westpolnischen Industriemetropole Posen, der sich anschickte, im Boxring dem 23-fachen Weltmeister Dariusz Michalczewski Paroli zu bieten. Ganze drei Runden hielt der breitschultrige Jaśkowiak, dessen Antlitz eher an einen Bankbeamten denn an einen Faustkämpfer gemahnt, durch. Dann brach seine Rippe.

Der Faustkampf gegen Dariusz Michalczewski machte Jacek Jaśkowiak in ganz Polen bekannt.
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Heute gilt der am Sonntag mit 56,6 Prozent der Stimmen wiedergewählte Stadtchef als Galionsfigur des anderen, des liberalen, des Europa zugewandten Polen, das der nationalkonservativen Isolation müde geworden ist – und nun endlich den Kampf aufnimmt.

"Schweiß, Tränen, harte Arbeit"

"Wenn ich die Wahl gewinne, wird es kein Feuerwerk geben", hatte Jaśkowiak im Wahlkampf angekündigt. Stattdessen verschrieb er seiner Stadt "Schweiß, Tränen und harte Arbeit". Posen, 550.000 Einwohner und auf halbem Weg zwischen Warschau und Berlin gelegen, habe nämlich das Zeug, mit den Großstädten Europas zu konkurrieren. Dorthin, genauer nach Westeuropa, will der Hobbyboxer, der seit einer öffentlich eingestandenen Affäre von seiner Ehefrau Joanna geschieden lebt, die Bewohner seiner Stadt führen.

Und wenn es nach den Oberen in der liberalen Bürgerplattform (PO) geht, gern auch gleich den Rest des Landes. "In einer Zeit, in der sich die Regierung an Moskau orientiert, sollte Posen nach Westen blicken", spielt er auf autoritäre Tendenzen der Warschauer Regierenden an. Eine Kritik, die diese wohl auch deshalb ungern zur Kenntnis nehmen, weil sie selbst in Russland eine geopolitische Bedrohung ausmachen.

Im Sommer führte die Gay-Pride-Parade durch die verregneten Straßen Posens.
Foto: Wojtek RADWANSKI / AFP

Jaśkowiak ist nicht dafür bekannt, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Auch außerhalb des Boxrings. Als er an Demonstrationen gegen die seit 2015 mit absoluter Mehrheit regierende PiS-Partei und ihren Schattenpremier Jarosław Kaczyński teilnahm ("Nieder mit der Ente"), öffentlich das Recht der Frauen auf Abtreibung propagierte und die Gay-Pride-Parade in der Stadt unter seine Schirmherrschaft stellte, beschmierten Gegner sein Privathaus mit anzüglichen Parolen. Und im Wahlkampf nahm Kaczyński öffentlich Rache und diffamierte den ehemaligen Unternehmer als "ideologischen Kreuzzügler".

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Polens starker Mann Jarosław Kaczyński wettert gegen den liberalen Bürgermeister.
Foto: REUTERS/Kacper Pempel

Sohn der Platte

Der Bürgermeister, so der Tenor bei der PiS, regiere doch bloß eine Wohlstandsinsel, ein liberales Einsprengsel im katholisch-konservativen Polen. Dabei ist Jaśkowiak, Sohn einer Kioskbetreiberin und eines früh verstorbenen Elektrikers und im Plattenbau aufgewachsen, alles andere als ein Radikaler. Nach der Wende 1989 machte der studierte Jurist rasch ein Vermögen, er kaufte und verkaufte alles, was Geld brachte, von Duschkabinen bis zu Unternehmen. Meist mit Gewinn.

Erst 2010 wurde aus dem Aufsteiger ein Quereinsteiger. Als ihn eine Posener Bürgerinitiative fragte, ob er für sie kandidieren wolle, sagte er zu – und verlor. Beim nächsten Mal, 2014, unter dem Banner der PO, gelang ihm der Einzug ins Rathaus.

Soziales Antlitz

Seit er regiert, haben sich die chronisch verstopften Straßen von Polens Autostadt – VW hat seine Zentrale in einer Vorstadt – ein wenig gelichtet. Während sein PiS-Konkurrent den Bau einer U-Bahn versprach, hat Jaśkowiak Fahrradwege anlegen lassen. Er ließ das Warthe-Ufer aufhübschen, Stadtteilinitiativen aufblühen und die Theaterszene subventionieren.

Im März ging so wie diese Polin auch Bürgermeister Jaśkowiak auf die Straße, um gegen eine weitere Verschärfung des ohnehin rigiden polnischen Abtreibungsrechts zu protestieren.
Foto: AGENCJA GAZETA

Flüchtlinge, so Jaśkowiak, seien in Posen willkommen. Pensionisten dürfen einmal pro Monat kostenlos Taxi fahren, ebenso oft kommt bei Bedarf ein städtischer Handwerker und hilft bei Renovierungen im Haushalt.

Posen gilt als liberale Hochburg im Westen Polens.
Foto: imago/BE&W

Auch wenn die regierende PiS landesweit als Siegerin aus der Kommunalwahl hervorging: Die Städte, allen voran Warschau und Posen, wählten liberale Kandidaten. Jaśkowiak steht für diese moderne, städtische, liberale Seite Polens. Ihnen gegenüber: die geballte PiS-Staatsmacht, die sich gerne als Garantin der polnischen Trias Familie, Kirche und Armee inszeniert. Jacek Jaśkowiak wird einen langen Atem brauchen. (Florian Niederndorfer, 22.10.2018)