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Matteo Salvini behauptete in seiner Autobiografie, die Europäische Union sei schlimmer als die Sowjetunion.

Foto: Angelo Carconi/ANSA via AP)

Der Demagoge ist laut Duden jemand, der andere politisch aufhetzt, durch leidenschaftliche Reden verführt, also kurz ein "Volksverführer". Bei der frontalen Herausforderung der Europäischen Union ist es im Grunde unerheblich, ob man die zwei Hauptfiguren – Innenminister Matteo Salvini von der Lega und Luigi di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung – einen rechten oder linken Populisten nennt. Fest steht, dass beide erfolgreiche Demagogen sind, die mit ihrem Motto "Zuerst kommen die Italiener" für die "Abschaffung der Armut" gegen den "Terror der Märkte" die Zerstörung der EU vorbereiten.

Die EU-Kommission wirft der italienischen Regierung eine "beispiellose Abweichung" von den europäischen Haushaltsregeln vor. Das Haushaltsdefizit des nach Griechenland höchstverschuldeten EU-Staates sollte nämlich dreimal so viel betragen, wie die Vorgängerregierung mit Brüssel vereinbart hatte. Die Appelle und Mahnungen, nicht nur von der Europäischen Union, sondern auch von Investoren, Ratingagenturen und vom Internationalen Währungsfonds stoßen laut ortskundigen Beobachtern bei vielen italienischen Bürgern auf Gleichgültigkeit oder Ablehnung.

Lega-Chef Salvini, der ohne Schaum vor dem Mund gegen Brüssel und die Einwanderer nicht sprechen kann, gilt jetzt als der beliebteste Politiker des Landes. Sechs von zehn Italienern sind mit ihm zufrieden. Seine Partei, die bei der Parlamentswahl im März ihren Stimmenanteil auf 18 Prozent vervierfachte, würde bei Wahlen heute auf 34 Prozent kommen. Selbst in Südtirol landete die Lega auf dem dritten Platz mit einer Steigerung der Stimmen auf elf Prozent. Nach diesem "unglaublichen Erfolg" kündigte der vom Jungkommunisten zum hemmungslosen Nationalisten gewandelte Salvini an, "mit Kraft weiterzumachen".

Bedrohung

Darin, im Erpressungspotenzial der rechts- und linkspopulistischen Demagogen auf der Kommandobrücke der drittgrößten Volkswirtschaft der EU, liegt die größte Bedrohung für die Union. Der gezielte Angriff auf den Euro ist eine Provokation, die nicht unbeantwortet bleiben darf. Es wäre unklug, nur auf die erwartete Reaktion der Märkte und auf die Folgen der sich bereits abzeichnenden Kapitalflucht der Italiener selbst zu setzen. Seit der Bildung der neuen Regierung sank der Börsenwert der Banken um ein Drittel.

Was passiert, wenn die (vom Italiener Mario Draghi geleitete) Europäische Zentralbank und die EU im Krisenfall Nein zu Italien sagen? Wird Salvini, der in seiner Autobiografie behauptete, die Europäische Union sei schlimmer als die Sowjetunion, das Tempo in Rom weiter diktieren und die in diesem Fall unvermeidliche Krise als Vorwand zur Drohung mit dem Austritt aus der EU zu benützen? Und kann die wegen innenpolitischen Turbulenzen geschwächte Berlin-Paris-Achse angesichts der Probleme mit den Brexit-Verhandlungen und mit der Disziplinierung der auf rechtsstaatliche Abwege geratenen polnischen und ungarischen Regierungen genug Kraft aufbringen, um diese existenzielle Krise zu bewältigen?

Wenn die Union überleben will, muss sie sich der Konfrontation mit den Demagogen in Rom stellen. (Paul Lendvai, 22.10.2018)