Österreich will die Vielfalt in der Landwirtschaft erhalten – die Regierung nimmt dafür Lebensmittelketten stärker in die Pflicht.

APA

Erpressen Händler kleine Lieferanten? Nutzen sie Marktmacht aus, um Produzenten gegeneinander auszuspielen? Supermärkte müssen sich in Zukunft darauf einstellen, von Konsumenten nicht nur an Preisen, Marken und Qualitätssiegeln gemessen zu werden. Bald werden sich Kunden auch stärker an ihrem fairen Umgang mit Lebensmittelherstellern orientieren. Das sehen zumindest Regierungsinitiativen auf nationaler und europäischer Ebene vor.

Österreichs Wettbewerbsbehörde hat gestern, Montag, einen neuen Fairnesskatalog für Unternehmen vorgelegt. Auf 34 Seiten hält dieser fest, welche Geschäftspraktiken als unlauter zu werten sind. Die Liste reicht von der Aufforderung zur Bestpreisgarantie, unangemessen niedrigen Einkaufspreisen und übermäßiger Risikoüberwälzung bis hin zu angedrohtem Boykott der Geschäftsbeziehung.

Website für Whistleblower

Österreich wolle in der EU Vorreiter sein und eine Vorlage für ein faires Miteinander geben, sagt VP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger. Schließlich stünden hierzulande 150.000 Bauern drei großen Handelsketten gegenüber. Als Service für Unternehmer will Theodor Thanner, oberster Wettbewerbshüter, den Leitfaden verstanden wissen. Er rät Lieferanten, sich bei Verstößen über eine neue Whistleblower-Website an seine Behörde zu wenden. Die Anonymität bleibe gewahrt, wichtig wäre es, Beweismittel mitzuliefern. Seit Februar gingen bei ihm 24 Beschwerdemeldungen ein.

Rainer Will, Chef des Handelsverbands, der Lebensmittelketten in dieser Causa vertritt, findet für den Katalog lobende Worte: Es gebe einen rechtlichen Graubereich, der schwer fassbar sei. Der Leitfaden, für dessen Entstehen Österreichs Händler einbezogen wurden, erhöhe die Transparenz.

Weiter Weg zu Verfahren

Wettbewerbsrechtler sehen die neuen unverbindlichen Wohlverhaltensregeln wenig euphorisch. Michael Böheim vergleicht sie mit einer Hausordnung ohne greifbare Sanktionen. "Es ist eine freiwillige Selbstverpflichtung. Sie steht und fällt damit, dass sich alle daran halten", sagt der Wirtschaftsforschungsinstitut-Experte dem STANDARD. Der Weg hin zu einem kartellrechtlichen Verfahren bleibe ein weiter. Bestenfalls ließen sich Handelskonzerne moralisch an den Pranger stellen. "Es ist ein Versuch, große Wirkung jedoch wird er nicht entfalten."

Agrarökonom und Molkereivertreter Johann Költringer nennt den Katalog eine Straßenverkehrsordnung und einen Leitfaden für Gerichte. Produzenten müssten aber nach wie vor selbst aktiv werden, um zu ihrem Recht zu kommen – "und das ist schwer, wenn der Geklagte der größte Kunde ist." Diesen vor den Kadi zu bringen, komme "einem Todesurteil" gleich.

Schieflage

Költringer verweist auf eine erhebliche Schieflage im Machtverhältnis zwischen Lieferanten und Supermärkten. Diese wurde seiner Ansicht nach durch den Ausbau der Eigenmarken – für die die Erzeuger alle ihre Kosten offenlegen müssen, ohne selbst die Preisgestaltung beeinflussen zu können – noch verstärkt. "Es ist ein Kampf mit ungleichen Waffen."

Christian Jochum, Experte für Marktpolitik der Landwirtschaftskammer, bewertet die neuen Fairnessvorgaben als gut, auch wenn es Jahre brauchen werde, bis sie verinnerlicht würden. Lösen aber ließen sich die Probleme letztlich nur über zusätzliche Gesetze, sagt er mit Blick auf die geplante EU-Richtlinie gegen unfaire Handelspraktiken. "Die Vehemenz der Reaktionen des Handels darauf zeigt, dass ein Finger in eine Wunde gelegt wurde. Die Richtung stimmt."

Erst jüngst klagten Händler wie Spar über Änderungsanträge, die ihnen zum einen verbieten sollen, Lieferanten einseitig höhere Standards vorzuschreiben, und die zum anderen ihre genossenschaftliche Strukturen bedrohen. Nun sorgen weitere Vorschläge für Aufregung.

Auslistung begründen

Geht es nach dem EU-Parlament, muss die Auslistung von Lieferanten schriftlich begründet werden, sagt Will. "Doch Händler tragen das wirtschaftliche Risiko. Sie brauchen Entscheidungsfreiheit." Konsumenten müssten sich auch nicht rechtfertigen, wenn sie in einem Supermarkt nicht mehr einkaufen. Des Weiteren sollen elektronische Auktionen für Aufträge verboten werden. Ausschreibungen seien tägliche Praxis und senkten die Preise, hält Will dagegen. Kein Lieferant sei gezwungen, daran teilzunehmen.

Der Handelskonzern Spar ortet in der Debatte jedenfalls eine Schlagseite zugunsten der Landwirtschaft. Man selbst zahle Österreichs Schweine- und Rinderbauern über Zuschläge jährlich rund sieben Millionen Euro, rechnet das Unternehmen vor. 900.000 Euro erhielten steirische Apfelbauern für das Einsparen von Pestiziden. 100.000 Euro an Prämien gebe es für Eierproduzenten. (Verena Kainrath, 23.10.2018)