Demo für Khashoggi: "Gerechtigkeit für Jamal".

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Wo sind die Grenzen der Schamlosigkeit bei Morden an Journalisten und Journalistinnen? Inzwischen offenbar im Nirgendwo. Immer dreister werden seitens der Politik die Erklärungen für solche Morde, nicht minder dreist wird die Verantwortung auf angeblich unbekannte, gedungene Täter abgeschoben – heutzutage leider genauso im demokratischen Europa wie in scheinbar fernen autokratischen Staaten wie dem Königreich Saudi-Arabien. Bleiben wir jedoch zunächst in Europa.

Schauplatz Sofia: Am 6. Oktober wird in der bulgarischen Hauptstadt die 30-jährige investigative Journalistin und TV-Moderatorin Wiktorija Marinowa vergewaltigt und ermordet. Die EU fordert eine schnelle Aufklärung, und die kommt prompt. Innerhalb nur weniger Tage wird in Deutschland ein geständiger Täter dingfest gemacht. Ist diese Subito-Aufklärung tatsächlich vertrauenswürdig?

Schauplatz Malta: Am 16. Oktober 2017, fast auf den Tag ein Jahr zuvor, wird auf Malta – der Inselstaat ist wie Bulgarien EU-Mitglied – die prominente investigative Journalistin Daphne Galizia mit einer Autobombe ermordet. Noch immer wurde keine Spur gefunden, die zu den Tätern führen könnte.

Schauplatz Istanbul: Am 2. Oktober – vier Tage vor dem Mord an der bulgarischen Journalistin Marinowa – sucht der saudi-arabische Journalist Jamal Khashoggi das saudische Konsulat auf, um jene Papiere abzuholen, die er für die Hochzeit mit seiner türkischen Partnerin braucht. Ein Video zeigt, wie er das Generalkonsulat betritt. Kein Video zeigt, wie er es wieder verlässt. Khashoggi ist ein international bekannter Journalist und Korrespondent der US-Zeitung "Washington Post".

Saudischer Agententhriller

Seitdem überschlagen sich die Meldungen über Khashoggis gewaltsamen Tod. Seitens der Saudis wurde inzwischen erklärt: Das war kein beabsichtigter Mord, Khashoggi wurde versehentlich erwürgt.

Welche Erklärung kommt als nächste? Ein neues Video zeigt, wie ein Double in Khashoggis Kleidung das Konsulat über die Hintertür verlässt. Der gute Mann hatte nur vergessen, die Schuhe zu wechseln, und wurde aufgrund desser vom türkischen Geheimdienst identifiziert. Chapeau!

Am Dienstag hat der türkische Präsident Erdoğan erneut angekündigt, Klarheit in dieser Angelegenheit schaffen zu wollen. Klarheit auch über die Involvierung des türkischen Geheimdiensts in den Fall Khashoggi? Sämtliche News über diesen saudischen Agententhriller berufen sich auf Informationen aus dem türkischen und saudischen Geheimdienst. Die beiden Dienste spielen offenbar gut zusammen bei der Aufklärung des tödlichen Zwischenfalls.

Killertrupp

So auch bei der jüngsten Reuters-Meldung, laut vertraulichen saudischen Information habe ein Vertrauter des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman via Skype mit dem Killertrupp – immerhin 15 Mann – die tödliche Unterhaltung mit Khashoggi überwacht. Sein Name: Saud al-Qahtani, bekannt auch als des Kronprinzen Mann fürs Grobe. Nach einem nicht gesellschaftsfähigen Wortwechsel zwischen Q. und K. soll Qahtani gerufen haben: "Bringt mir den Kopf dieses Hundes." Hier bezieht sich die Agentur wiederum auf türkische Geheimdienstquellen. Man darf gespannt sein, wie der Thriller weitergeht.

Jamal Khashoggi war ein vehementer Verfechter der Presse- und Meinungsfreiheit. Der letzte Artikel, den er geschrieben hatte, war diesem Thema gewidmet. Er war jedoch zugleich explizit ein Homo politicus. So wurde er, obwohl im Exil lebend, innenpolitisch zu einem Spielball rivalisierender Gruppen. Wer das Spiel schließlich gewinnen wird, ist derzeit offen. Khashoggi jedenfalls hat im Rahmen dieses Szenarios sein Leben verloren. Wer die Lizenz zu diesem Journalistenmord gegeben hat, könnte durchaus für immer im Dunkeln bleiben. Drehbuchreif ist der Fall auch ohne Happy End für eine der einander bekämpfenden Seiten.

Stellt sich die Frage: Wie politisch dürfen Journalistinnen und Journalisten sein? Fraglos müssen sie demokratiepolitisch orientiert und motiviert sein, um den Auftrag zu erfüllen, vorurteilslos zu berichten. Daphne Galizia war dies, Wiktorija Marinowa ebenfalls. Genauso auch Jamal Khashoggi, bevor er in die tödlichen Mahlwerke der Politik geriet und von diesen zerrieben wurde.

Wahrheitsgetreuer Journalismus ist längst nicht mehr ein Sonntagsspaziergang. Die Verteidigung dessen genauso wenig. Weder für Journalisten noch für deren Anwälte. Dienstagabend sprachen im Wiener Juridicum der türkische Repräsentant von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoğlu, eine Menschenrechtsanwältin aus der Türkei und ein österreichischer Prozessbeobachter darüber, wie und warum in der Türkei inzwischen jeder und jede beschuldigt werden kann, ein Terrorist oder eine Terroristin zu sein. Die Türkei ist zwar weder ein Sultanat noch ein Königreich, ein Autokrat ist deren Präsident Erdoğan inzwischen jedoch allemal. (Rubina Möhring, 23.10.2018)