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Demonstrationen gegen das Abtreibungsverbot (hier in Berlin 1971) waren eine Triebfeder für psychologische Geschlechterforschung.

Foto: Picturedesk / Ullstein - Rondholz

Manchmal fällt erst bei einem Besuch in der Fremde auf, was daheim ungewöhnlich ist. So erging es der österreichischen Psychologin Nora Ruck während ihres Kanada-Aufenthalts: An der York University in Toronto, aber auch an vielen anderen Universitäten im englischsprachigen Raum ist üblicherweise innerhalb der psychologischen Institute auch die Subdisziplin der Frauenforschung oder Genderpsychologie vertreten. In Wien gibt es dies nur in anderen Fachbereichen, etwa bei der Soziologie oder den Geschichtswissenschaften der Uni Wien.

Wieso hat sich dieses Feld in der Psychologie so wenig ausgeprägt? Denkt man an die Anfänge zurück, kann man feststellen, dass hier im Vergleich zu anderen Wissenschaften relativ viele Frauen beteiligt waren, auch in Österreich. Dabei geht es nicht nur um herausragende Forscherinnen wie die Kinderpsychologin Charlotte Bühler oder die Neuropsychiaterin Alexandra Adler, die die psychologische Forschung ihres Vaters Alfred Adler weitertrug.

"In den 1920er-Jahren hatten in Wien alle relevanten psychologischen Schulen – Psychoanalyse, Individual- und Entwicklungspsychologie – einen Frauenanteil von vierzig Prozent", sagt Ruck, Assistenzprofessorin an der Sigmund-Freud-Privatuniversität. Allerdings seien die Beiträge von Forscherinnen vor allem in den folgenden Jahrzehnten kaum mehr berücksichtigt worden.

Verdrängung von Schräglagen

Einen besonderen Stellenwert für die Gründung dezidierter Institute hatte die zweite Frauenbewegung. Im deutschsprachigen Raum nahm sie 1972 ihren offiziellen Anfang: In diesem Jahr wurde etwa in Österreich die Aktion Unabhängiger Frauen gegründet, die sich zusammen mit vielen anderen Initiativen gegen das Abtreibungsverbot engagierte.

Seit dieser Phase wurden verstärkt psychologische Mechanismen analysiert, die in Bezug auf Geschlechterungleichheit und das Aufrechterhalten von Herrschaft eine Rolle spielen. "Da geht es zum Beispiel um Verdrängungsmechanismen oder Widerstände dagegen, sich einzugestehen, dass man diskriminiert wird – wegen des eigenen Geschlechts, also einer Eigenschaft, für die man nichts kann", sagt Ruck. Untersucht wurden auch die Konsequenzen gesellschaftlicher Schräglagen – wie Gewalt gegen Frauen.

Um dieses Wissen aufzuarbeiten und besser zugänglich zu machen, hat Ruck ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Forschungsprojekt initiiert, das sich mit der Psychologiegeschichte in Wien von 1972 bis 2000 auseinandersetzt. Welches Wissen wurde zu feministischer Psychologie generiert? Ab wann fanden innerhalb der Frauenbewegung systematisch psychologische Diskussionen statt? Wer waren die wichtigsten Akteurinnen?

In Zeitzeuginneninterviews werden dazu Universitätslektorinnen befragt, aber auch Mitglieder von Frauenberatungsstellen. Hinzu kommen Recherchen in Archiven der Uni Wien und der Frauen- und Lesbenbewegung. So sollen auch die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Frauenberatungsstellen, dem aktivistischen Engagement der Frauenbewegung und der universitären Lehre untersucht werden.

Zu wenig Fördertöpfe

Letztere wies im untersuchten Zeitraum besondere Entwicklungen auf, wie Projektteilnehmerin Vera Luckgei weiß: "In den 80er- und 90er-Jahren gab es an der Uni Wien im Gegensatz zu heute ein breites Lehrangebot und sogar eine Gastprofessur für frauenspezifische Psychologie. Das alles wurde aber nicht institutionalisiert."

Die Ursache dafür sieht Luckgei darin, dass das Thema von externen Mitarbeitenden getragen worden sei. Diese finanzierte man ab 1982 durch das "Sonderkontingent Frauenforschung" aus dem Wissenschaftsministerium – einen Fördertopf, auf den zunehmend auch andere Fachbereiche zugriffen. Kombiniert mit der prekären Arbeitssituation der externen Vortragenden ließ sich das Angebot nicht halten – trotz des großen Interesses aus der Studierendenschaft.

Im Gegensatz dazu wurden im Nordamerika der 60er-Jahre einige Universitäten neu gegründet, an denen es langfristige Stellen zu besetzen galt. Dadurch konnte sich der Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung in der Psychologie leichter etablieren – auch an der kanadischen York University, die für das Wiener Forschungsprojekt Kooperationspartnerin ist. Dort wird derzeit ein Onlinearchiv für Interviews mit feministischen Psychologinnen aufgebaut, das durch die österreichische Beteiligung um eine internationale Komponente erweitert werden kann. (Julia Sica, 31.10.2018)