Die App MySugr hilft Diabetikern, ihren Alltag zu managen. Das österreichische Start-up schaffte den Sprung auf die internationale Bühne der digitalen Gesundheitsdienste.

Foto: MySugr

Arthrose ist die weltweit häufigste Gelenkserkrankung. Der Abbau der Knorpel in Knie-, Hüft- und anderen Gelenken verursacht Schmerzen und schränkt die Bewegungsfreiheit ein. Die Erkrankung betrifft weit mehr als die Hälfte der über Fünfzigjährigen.

Eine Diagnose erfolgt mithilfe von Röntgenaufnahmen. Und die soll künftig eine Softwarelösung übernehmen, die die Ärzte unterstützt. Das Wiener Unternehmen IB Lab entwickelt ArtificialIntelligence (AI)-Algorithmen, die auf Basis der Röntgenbilder Arthrose selbstständig erkennen und weitere Untersuchungen potenziell überflüssig machen.

Bei einer ersten Anwendung für Kniearthrosen wurde die AI an etwa 150.000 bereits befundeten Röntgenbildern trainiert. Sie soll verschiedene Krankheitsstadien erkennen, Auffälligkeiten markieren und Diagnosevorschläge erstellen.

Das Unternehmen ist ein Beispiel für eine florierende Life-Science-Sparte, die sich zunehmend elaborierter digitaler Mittel bedient. Ein Feld, das auch in Österreich stark präsent ist: "Wir erleben einen regelrechten Boom im Bereich von eHealth und Telemedizin", sagt Marlis Baurecht, die bei der Förderbank Austria Wirtschaftsservice (AWS) das Geschäftsfeld Entrepreneurship, Schutzrechte und Seedförderungen verantwortet. "36 Prozent aller Unternehmen und die Hälfte aller Neugründungen in den letzten drei Jahren im Bereich Medizintechnik sind bereits diesen digitalen Spielarten zuzuordnen."

22 Milliarden Euro Umsatz

Diese Zahlen finden sich auch im Life Science Report Austria 2018, der am Montag präsentiert wurde. Der Bericht, den der AWS im Auftrag des Wirtschaftsministeriums regelmäßig erstellt, attestiert der gesamten Branche reges Wachstum: Die Umsätze in Österreich stiegen demnach seit dem letzten Bericht im Jahr 2014 um 17 Prozent auf einen Rekordwert von über 22 Millionen Euro, was etwa 6,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Sie werden von insgesamt 900 Unternehmen mit mehr als 55.000 Mitarbeitern erwirtschaftet.

Auf den angesprochenen Medizintechnikbereich entfällt im Vergleich zu Biotechnologie und Pharma der größte Anteil: 550 Unternehmen und 26.630 Mitarbeiter sind hier tätig. Davon sind wiederum 8760 Mitarbeiter in 171 Unternehmen beschäftigt, die auf Forschung, Entwicklung und die Herstellung von Medizintechnikprodukten fokussieren, der Rest entfällt auf Handel, Dienstleister und andere. Die meisten Unternehmen in diesem Bereich befinden sich in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich.

Bei 164 Unternehmen liegt das hauptsächliche Geschäftsfeld in der Medizintechnik. Diese Unternehmen – von denen eben 36 Prozent an digitalen Produkten arbeiten – sind typischerweise klein. Die Hälfte beschäftigt weniger als zehn Mitarbeiter, ein weiteres Drittel weniger als 50. Die Digitalfirmen arbeiten beispielsweise an Lösungen zur Echtzeitüberwachung von Patienten oder zu automatischen Notrufsystemen oder automatischer Diagnostik.

Baurecht hebt die gemeinsame Dachmarke LISA für den österreichischen Life-Science-Bereich als eines der Erfolgskriterien hervor: "Das hat dazu geführt, dass die Szene weniger stark fragmentiert ist. Das erhöht auch die Sichtbarkeit im Ausland." Mit dem dazugehörenden Förderprogramm unterstützen Wirtschaftsministerium und AWS auch Projekte in diesem Bereich.

Junge Unternehmensprojekte, in denen die forschungsintensiven Bereiche Life-Sciences und Digitalisierung aufeinandertreffen, sind nicht immer einfach umzusetzen. "Hochtechnologie-Start-ups haben oft hohen Kostenbedarf für Labor- und technische Infrastruktur. Die Entwicklungszeiten sind lang und aufwendig. Investoren steigen deshalb weniger oft in einer frühen Phase ein", berichtet Baurecht. "Als Förderagentur müssen wir hier eine hohe Risikoaffinität aufweisen."

Start-ups und Konzerne

Ein Erfolgsbeispiel für ein österreichisches Start-up ist mySugr, der Entwickler einer digitalen Anwendung, die Diabetikern mit einer Reihe von Services im Alltag hilft. Das 2012 in Wien gegründete Unternehmen, dessen App mittlerweile in mehr als einem Dutzend Sprachen vorliegt und in zig Ländern genutzt wird, wurde 2017 vollständig von Roche Diabetes Care, einer Tochtergesellschaft des Schweizer Pharmariesen F. Hofmann-La Roche, übernommen. Die Kaufsumme wurde nicht kolportiert, aber es war wohl der bisher größte Exit eines heimischen Start-ups im Bereich der digitalen Gesundheitsdienste.

Wie in anderen Branchen sind am Schnittpunkt von Digitalisierung und Life-Science junge, innovative Unternehmensprojekte ein wichtiger Impulsgeber für große Unternehmen. Man braucht einander vielleicht noch mehr als anderswo: "Nachdem der Finanzierungsbedarf höher ist als in anderen Branchen, sind Start-ups auf die Etablierten angewiesen, um sich im Wachstum nicht zu beschränken. Kooperationen und Übernahmen sind durchaus positiv zu sehen", betont Baurecht. "Viele Start-up-Entrepreneure gründen nach einem Exit gleich wieder ein neues Unternehmen. Wir kommen auf 42 Prozent solcher ,Wiederholungstäter'."

Die Lösungen, die sie in die Welt bringen, helfen dann bei verschiedensten Krankheiten, wie etwa die Anwendung "Up!" des Grazer Unternehmens Meemo-tec für Menschen mit bipolarer Störung. Mit der App sollen Zusammenhänge zwischen dem Alltagsverhalten und der Krankheit hergestellt werden und Verhaltensweisen vermieden werden, die die Störung begünstigen.

Auch der Kontakt zu Vertrauenspersonen wird mittels der App auf einfache Weise hergestellt. Ein weiteres Beispiel für den aufstrebenden Bereich bietet CSD Labs: Die Software des Unternehmens hilft Ärzten beim Abhören des Herzens. Aus den Signalen werden Informationen extrahiert, die die Diagnostik bei Herzfehlern erleichtern können. Klar ist: Die Zukunft ist digital – auch und gerade im Gesundheitsbereich. (Alois Pumhösel, 25.10.2018)