Ein banger Blick auf Hessens Ministerpräsidenten Volker Bouffier: Scheitert er, wird Angela Merkel das ebenfalls spüren.

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Angela Merkel und der Boxer Rocky, dargestellt von Sylvester Stallone? Doch, das geht, auch wenn es schwer vorstellbar ist. "Burning Heart" hämmert es aus den Boxen, als die deutsche Kanzlerin und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) den großen Saal eines Kasseler Hotels betreten.

Auch Merkel schaut kurz ein bisschen verdutzt, doch Ursula Bouffier, die Ehefrau des Ministerpräsidenten, kann aufklären, warum der Titelsong von "Rocky IV" ausgewählt wurde: "Der war ja als Boxer auch nicht mehr ganz jung, aber er wollte es allen noch einmal zeigen." Gelächter im Saal, die Parallelen sind offensichtlich.

Es stehen auf der Bühne: die 64-jährige Merkel und der 66-jährige Bouffier. Seit 2010 ist er Ministerpräsident von Hessen, und er würde dies gern bleiben. Doch am Sonntag droht seiner schwarz-grünen Regierung das Aus. An den Grünen und deren Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir – er ist auch Vizeministerpräsident und Wirtschaftsminister – liegt es nicht.

Im Gegenteil: Nach Bayern dürfen sich die Grünen auch in Hessen auf einen ausgelassenen Wahlabend einstellen. Umfragen sagen Zuwächse voraus, von 11,1 auf rund 20 Prozent. Die CDU hingegen könnte von 38,3 auf 26 Prozent abstürzen. Hessen steht wie Bayern wirtschaftlich gut da. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 4,4 Prozent, auch in den vormals schwächeren Regionen im Osten und Norden des Landes hat der Mittelstand viele neue Jobs geschaffen.

Vier Auftritte vor der Wahl

Doch die Regierenden – also die CDU – profitieren nicht davon. "Schaut euch an, was wir gemacht haben", ruft Bouffier den Gästen im Saal zu und sagt: "Wir wollen diesen Weg weitergehen. Wir haben auch Ideen für die Zukunft."

In Bayern war Merkel während des gesamten Wahlkampfs auf CSU-Bühnen nicht erwünscht, in Hessen jedoch tritt sie in der letzten Woche vor der Wahl gleich viermal an der Seite von Bouffier auf. Die beiden verstehen sich gut, Bouffier ist ein loyaler CDU-Vize.

Und Merkel weiß: Die Hessen-Wahl ist nicht irgendeine Landtagswahl, die man bei schlechtem Ergebnis nach ein paar Tagen abhaken kann. Die massiven Verluste der CSU und der SPD in Bayern haben gezeigt, dass derzeit bei Landtagswahlen gnadenlos mit den Akteuren der großen Koalition in Berlin abgerechnet wird.

Verliert die CDU in Hessen das Amt des Ministerpräsidenten, dann vermag Merkel dies nicht als rein hessische Angelegenheit zu betrachten. In Berlin gibt es für den Fall eines Debakels am Sonntag bereits allerlei Spekulationen. Der Frust wird eventuell so groß, dass Merkel sich dem Ruf nach Erneuerung nicht mehr entziehen könnte. Was genau das heißt und welche Dynamik dabei in Gang treten könnte, ist aber unklar.

Möglicherweise müsste Merkel dann doch den CDU-Vorsitz beim Parteitag Anfang Dezember in Hamburg abgeben. Als Nachfolger infrage kommen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer oder der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet.

Nicht mehr so unbestritten

Vor kurzem hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) offen ausgesprochen, was viele in der CDU denken. Natürlich habe Merkel höhere Zustimmungswerte als andere europäische Regierungschefs, und es sei auch davon auszugehen, dass sie beim Parteitag noch einmal als CDU-Vorsitzende antritt. Aber, so Schäuble: "Sie ist nicht mehr so unbestritten, wie sie über drei Legislaturperioden oder über zweieinhalb Legislaturperioden gewesen ist."

Die Welt zitiert CDU-Abgeordnete mit den Sätzen: "Ich würde für gar nichts garantieren, wenn die Hessen-Wahl schiefgeht" und "Volker Bouffier muss weiterregieren können, sonst ändert sich womöglich alles."

Die Sorge, dass die Hessen am Sonntag auch mit ihr und der schlechten Performance der Groko in Berlin abrechnen könnten, ist Merkel beim Wahlkampfauftritt in Kassel anzuhören. "Ich weiß, dass wir Ihnen im letzten Jahr eine Menge zugemutet haben – nicht weil wir nicht gearbeitet haben, sondern weil man von der Arbeit nichts gehört hat", sagt sie. Der "Stil" habe einfach nicht gepasst. Doch, so Merkel: "Wir haben den Weckruf jetzt verstanden." Es sei also überhaupt nicht nötig, am Sonntag in Hessen aus Protest der Wahl fernzubleiben oder woanders als bei der CDU das Kreuz zu machen.

Merkel bittet um Briefe

"Wenn etwas nicht gut läuft, dann schreiben Sie mir einen Brief, aber setzen Sie am Sonntag ein Zeichen gegen linke Experimente", ersucht sie dann noch. Dafür gibt es sogar Applaus, und das ist ganz im Sinne Bouffiers, der ebenfalls Angst vor einem rot-rot-grünen Bündnis verbreitet: "Wer jetzt der CDU die Stimme verweigert, der wacht mit einer linken Mehrheit auf."

Wie ernst die Kanzlerin die Lage einschätzt, zeigt auch das Gastgeschenk, das sie nach Hessen mitgebracht hat. Seit Monaten wird in Deutschland diskutiert, wie man Fahrverbote für Dieselfahrzeuge verhindern kann. Von einem solchen wären im Großraum Frankfurt viele Menschen betroffen.

Doch Merkel hat angekündigt, die Gesetze so ändern zu wollen, dass bei "geringfügiger" Überschreitung der EU-Grenzwerte Fahrverbote als unverhältnismäßig eingestuft werden. Dafür will die Regierung das Bundes-Immissionsschutzgesetz ändern.

Das hat ihr allerdings auch viel Kritik und Spott eingebracht. Von einem "Treppenwitz" spricht der Grüne Cem Özdemir: "Wir erhöhen ja auch keine Promillewerte, damit man auch mit Alkohol noch fahren kann. Wenn Sie durch eine Prüfung fallen, wird auch nicht das Prüfungsniveau gesenkt."

Özdemir und seine Freunde werden am Sonntag mehr zu feiern haben als Merkel und Bouffier. Doch ein Termin steht für die beiden jetzt schon fest. Am Montag nach der Wahl müssen sie sich in Berlin gemeinsam der CDU erklären. (Birgit Baumann, 24.10.2018)