Kassel – Die weißen, abgetragenen Turnschuhe gibt es immer noch. Sie stehen im Bonner Haus der Geschichte und erinnern an den 12. Dezember 1985. An diesem Tag wurde Joschka Fischer in Hessen als Umweltminister vereidigt, er kam im legeren Schuhwerk in den Landtag in Wiesbaden.

Hessen galt damals schon als Versuchslabor für die deutsche Bundespolitik. Dort gab es die erste rot-grüne Landesregierung und den ersten grünen Minister überhaupt. Nach der Landtagswahl 2013 wurde in Hessen wieder Geschichte geschrieben. Zum ersten mal bildeten die CDU und die Grünen in einem großen Flächenland (6,2 Millionen Einwohner) eine Regierung.

Diese werde nicht allzu lange halten, vermuteten damals viele, irrten sich aber. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und sein Vize Tarek Al-Wazir regierten in den vergangenen fünf Jahren ziemlich geräuschlos. Nach der Wahl am Sonntag könnte es erneut zu einer Premiere kommen. Laut Umfragen ist die Fortsetzung von Schwarz-Grün nicht möglich, wohl aber ein Bündnis aus SPD, Linken und Grünen – wobei die Grünen in diesem Dreierbund die stärkste Kraft wären und somit den Anspruch auf die Staatskanzlei hätten.

Ministerpräsdent Al-Wazir

Im Falle einer Koalitionseinigung hieße der Ministerpräsident dann Tarek Al-Wazir. Der Sohn einer Deutschen und eines Jemeniten, geboren in Offenbach am Main, wäre nach Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg) der zweite grüne Ministerpräsident in Deutschland.

Eine Koalition aus SPD, Linken und Grünen hätte sich schon nach der Landtagswahl 2013 bilden können. Doch die Grünen entschieden sich dann doch für das Bündnis mit der CDU. Vor fünf Jahren allerdings wäre die Staatskanzlei noch an den Sozialdemokraten Thorsten Schäfer-Gümbel gegangen, die SPD war damals stärker als die Grünen.

Dass es damals zu keinem linken Bündnis kam, lag aber nicht nur an den Grünen. Auch die SPD wollte nicht, ihr steckte immer noch der "Ypsilanti-Schock" in den Knochen. 2008 hatte die damalige SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti vor der Wahl eine Zusammenarbeit mit den Linken kategorisch verneint. Nach der Wahl jedoch wollte sie sich von ihnen in einem rot-grünen Bündnis tolerieren lassen. Es kam nicht dazu, die eigenen Leute verweigerten Ypsilanti die Gefolgschaft. Bis heute hat sich die hessische SPD von diesen Vorgängen nicht erholt.

Das oberste Ziel von Ministerpräsident Bouffier ist es, eine linke Regierung zu verhindern. Sollte es für Schwarz-Grün nicht mehr reichen, könnte er sich in eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP retten. Das wäre auch für Kanzlerin Angela Merkel in Berlin eine Option. Schließlich hat sie selbst im Herbst 2017 nach der Bundestagswahl versucht, eine solche Koalition zu schmieden. (Birgit Baumann, 24.10.2018)