Großes Publikumsinteresse in Warschau.

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Sonntagskirchgänger und der Anteil derer, die die Kommunion empfangen. Quelle: Statistikinstitut der katholischen Kirche.

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Der Film brach am ersten Wochenende einen Rekord: 935.000 Polen sahen das kirchenkritische Werk "Kler" (Klerus) der Regisseurs Wojciech Smarzowski an den ersten drei Tagen nach der Premiere Ende September. Damit überholte die Produktion "Fifty Shades of Grey", für das am Premierenwochenende 834.500 Tickets verkauft wurden. Nach 16 Tagen waren es schon 3,5 Millionen Besucher. Der Spielfilm hat eine Debatte über den Umgang mit Verfehlungen katholischer Priester ausgelöst.

Der über zwei Stunden lange Streifen, in dem literweise Wodka getrunken und kräftig geflucht wird, einer der Protagonisten seine Haushälterin schwängert und ein anderer einen Ministranten vergewaltigt, zeigt drei polnische Priester von einer durchaus menschlichen Seite. Durch Rückblenden in ihre Jugend erfährt der Zuseher, wie sie zu dem geworden sind, was sie heute sind.

"Oink, oink!"

Als einer von ihnen im Internet eine Glühbirne mit eingebauter Kamera ersteht, gelingt es ihm, seinen vorgesetzten Bischof auszuspionieren und sich so gegen Missbrauchsvorwürfe abzusichern ("Sind Sie sich sicher, Kamerad Ferkel? Oink, oink!"), und am Ende wird er doch auf den ersehnten Posten nach Rom versetzt.

Der Trailer zu "Kler".
Bíó Paradís

Ein anderer Hauptdarsteller zündet sich am Ende des Films aus Protest gegen die Verschleierung sexueller Übergriffe bei einer Feldmesse selbst an, nachdem er versucht hat, seine Gemeinde in einer Predigt über die Zustände in einem von Nonnen betriebenen Kinderheim aufzuklären.

Es war ihm gelungen, ein Missbrauchsopfer aus diesem Internat zur Aussage vor einer kirchlichen Kommission zu bewegen. Dort wurde der Mann allerdings nur verspottet und lief verzweifelt davon.

Debatte über Priesteropfer

Vor vier Jahren löste der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Józef Michalik, eine Debatte über sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche aus, als er erklärte, Scheidungen führten zu Kindesmissbrauch: "Wir hören oft, dass dieses unangemessene Verhalten vorkommt, wenn ein Kind Liebe braucht", sagte er damals, "dann wird es anhänglich, dann sucht es – dann verliert es sich selbst und zieht noch einen anderen Menschen mit." Sechs Stunden später nahm er seine Aussagen zurück (der STANDARD berichtete).

Streit um Entschädigungen

Die polnische Kirche weigerte sich lange, den Opfern pädophiler Priester Entschädigungen zu zahlen. Vertreter des Klerus argumentierten, die Schuld in solchen Fällen liege ausschließlich beim Täter und nicht bei der Kirche. Schließlich müssten Lehrer auch selbst für sexuelle Übergriffe Wiedergutmachung leisten und nicht die Schulen, argumentierte ein Anwalt eines Ordens, den eine junge Frau in Posen geklagt hatte, weil ein Ordensmann die damals 13-Jährige in den Jahren 2006 und 2007 mehrmals vergewaltigt hatte.

Die Richter der ersten Instanz sahen das anders und verurteilten den Orden "Gesellschaft Christi für Emigrantenseelsorge" zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von einer Million Złoty (232.000 Euro). Außerdem soll das Opfer eine lebenslange Pension erhalten. Der Orden hat die Strafe bezahlt, will aber bis zum Höchstgericht gegen das Urteil kämpfen, um zu verhindern, dass ein Präzedenzfall entsteht, der eine Klagswelle gegen die Kirche auszulösen droht. "Jeder Fall muss immer individuell vom Gericht bewertet werden", sagte der Anwalt des Ordens, Krzysztof Wyrwa, dem deutschen Domradio.

Auch in Polen sinken die Kirchenbesucherzahlen. Angaben des Statistikinstituts der katholischen Kirche zufolge sind aber immer noch fast 85 Prozent der 38 Millionen Einwohner Katholiken, 37 Prozent davon gehen jeden Sonntag in die Kirche. Bei den unter 24-Jährigen sind es allerdings nur noch 26 Prozent, meldet die "Presse".

Aktivisten sammeln Daten

Seit Anfang Oktober sammelt die Gruppe "Nie lękajcie się" (Fürchtet euch nicht) Daten über von Kirchenmitarbeitern begangene sexuelle Übergriffe. Allein in den ersten 24 Stunden hätten sich 100 Personen bei der Hotline gemeldet, sagte die Abgeordnete Joanna Scheuring-Wielgus von der liberalen Oppositionspartei Nowoczesna ("Die Moderne") der Nachrichtenagentur Reuters.

Der Film wurde großteils in Kirchen in der Tschechischen Republik gedreht, weil es zu schwierig gewesen wäre, Genehmigungen für polnische Kirchen zu erhalten, sagte Regisseur Smarzowski dem Sender Canal+. (Bert Eder, 24.10.2018)