Vor wenigen Wochen lief der Kenianer Eliud Kipchoge einen neuen Weltrekord in Berlin. Und er ist überzeugt: Da geht noch mehr. Wie viel mehr, ist aber offen.

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Ab Kilometer 25 war Eliud Kipchoge ganz allein. Der letzte Pacemaker, der ihn beim Berlin-Marathon im September begleitet hatte, gab auf. 17 lange Kilometer später gab es einen neuen Marathon-Weltrekord: Der Kenianer war die 42,195 Kilometer in 2:01:39 Stunden gelaufen. Damit wurde er zum offiziell schnellsten Marathonläufer aller Zeiten.

01:40 Minuten fehlen noch, um die magische Zielzeit von zwei Stunden zu knacken, die unter Sportlern und Wissenschaftern für Diskussionen sorgt. Denn dass der menschliche Körper eine solche Leistung erbringen kann, war in der Fachwelt lange umstritten.

Der Sportartikelkonzern Nike wollte es schon 2017 genau wissen: Damals steckte das Unternehmen viel Know-how und noch mehr Geld in das Projekt "Breaking 2". Das Ziel: unter idealen Bedingungen – also geschützt vor Wind, begleitet von ständig wechselnden Pacemakern und auf flacher Strecke – die zwei Stunden zu knacken.

Damals schon war Kipchoge der Schnellste: Er finishte den Marathon, der allerdings die Bedingungen für einen Weltrekord nicht erfüllte, auf dem Formel-1-Kurs von Monza in 2:00:25 Stunden. Selbst unter perfekten Bedingungen fehlten noch 26 Sekunden, um die zwei Stunden zu unterbieten. Das ist, je nachdem, wen man fragt, entweder ganz wenig oder immer noch ziemlich viel.

Der Physiologe Andrew Jones von der University of Exeter war damals als Berater mit an Bord: "Es wird eines Tages passieren", sagt er heute über die Zwei-Stunden-Marke. "Nicht in den nächsten fünf Jahren, aber mit Sicherheit in den nächsten 20."

Maßzahlen für Sieger

Der Läufer, der das schaffen kann, steht also vielleicht noch nicht einmal auf den Siegerpodesten der Welt. Die nötigen Voraussetzungen kennen Sportwissenschafter aber heute schon: Ein Eliteläufer benötigt erstens eine sehr hohe VO2max. Diese Maßzahl sagt aus, wie viele Milliliter Sauerstoff der Körper bei Belastung maximal pro Minute verwerten kann. Bei Hobbysportlern liegt dieser Wert bei etwa 40, bei Eliteläufern zwischen 80 und 90.

Zweitens: Ein sehr guter Marathonläufer braucht eine hohe Laktatschwelle. Das ist jene Grenze, ab der bei Anstrengung verstärkt Milchsäure produziert wird, was die Muskeln ermüdet. Das bedeutet: Je höher diese Schwelle, umso schneller kann gelaufen werden. Eine dritte wichtige Variable ist eine gute Laufökonomie, also ein effektiver Laufstil.

"Diese Variablen verändern sich aber während des Laufens, weil der Läufer ermüdet", sagt Andrew Jones. Für ihn ist daher ein vierter Faktor, wie der Läufer individuell mit dieser Ermüdung umgeht.

"Die Zwei-Stunden-Grenze wird fallen, das werden wir noch erleben", sagt auch Alfred Nimmerichter, Fakultätsleiter Sport an der Fachhochschule Wiener Neustadt. Er beschäftigt sich aktuell in einer Langzeitstudie mit der menschlichen Ausdauerleistungsfähigkeit und misst bei jugendlichen Ausdauerathleten die Sauerstoffextraktion im Muskel.

Rückenwind und Windschatten

"Physiologisch müsste es machbar sein, einen Marathon in unter zwei Stunden zu laufen", sagt auch der Sportmediziner Robert Fritz von der Wiener Sportordination. Allerdings, das betont Nimmerichter, müssten die Bedingungen am Wettkampftag perfekt sein, etwa was das Starterfeld, die Windbedingungen und die Temperaturen angeht.

An welchen Faktoren noch gefeilt werden könnte, haben sich Forscher der University of Houston und der University of Colorado für eine Studie, die im Vorjahr in Sports Medicine veröffentlicht wurde, angeschaut. Darin rechnen sie vor, dass ein Marathon am Äquator einige Sekunden schneller gelaufen werden könnte, weil dort die Erdanziehungskraft am schwächsten ist. Auch durch das Nutzen von Rückenwind und Windschatten ließen sich wertvolle Sekunden einsparen.

Weitere Schrauben, an denen gedreht werden könnte, sind laut Sportmediziner Fritz die weitere Optimierung der Laufökonomie und der Laufschuhe. Damit könnte der Energieverlust bei der Bremswirkung weiter reduziert werden. Andrew Jones glaubt auch, dass an der Kohlenhydrataufnahme während des Rennens noch einiges verbesserungswürdig ist: "Aber es ist schwierig, bei so schnellem Laufen so viele Kohlenhydrate in Form von Getränken zu sich zu nehmen, wie eigentlich nötig wäre."

Weltbestzeiten

Irgendwann, da sind sich die Experten einig, werden die zwei Stunden geknackt werden. "Und sobald das eine Person schafft, werden es auch andere schaffen", glaubt Jones. Dass die Entwicklung der Weltbestzeiten in den nächsten 100 Jahren aber genauso rapide verläuft wie in den letzten 100 Jahren, schließt Nimmerichter ganz entschieden aus.

Der erste Marathon-Weltrekord wurde 1908 bei den Olympischen Spielen in London aufgestellt. Er lag bei 2:55:18 Stunden – eine Zeit, die heute auch sehr ambitionierte Hobbyläufer laufen können. Nimmerichter macht dafür eine Professionalisierung des Marathonlaufens verantwortlich: "Vor hundert Jahren hatten die Menschen etwas anderes zu tun, als acht Stunden am Tag zu trainieren." Außerdem würden heute mehr Menschen laufen – die Auswahl an Eliteläufern sei daher weitaus größer, sagt Jones.

Irgendwo unterhalb der zwei Stunden dürfte aber das menschliche Limit erreicht sein: "Vom Energiestoffwechsel geht nicht mehr viel mehr", sagt Sportmediziner Fritz. Eine körperliche Grenze sieht er auch bei den Hebelverhältnissen der Beine. "Ich wäre sehr überrascht, wenn jemand irgendwann einen Marathon unter 1:58:00 Stunden laufen könnte", sagt auch Andrew Jones.

Noch nicht am Limit

Alfred Nimmerichter glaubt hingegen, dass eine Steigerung der Marathon-Laufgeschwindigkeit auf bis zu 24 km/h in den nächsten 50 Jahren möglich ist. "Aber aus heutiger Sicht scheint das das physiologische Limit zu sein", weil hier die Grenze für den oxidativen Stoffwechsel liege. Zum Vergleich: Beim aktuellen Weltrekord lief Kipchoge im Schnitt 20,8 km/h.

Auch Kipchoge selbst ist davon überzeugt, dass das Limit noch nicht erreicht ist: "Ich glaube weiterhin, dass es für den Menschen keine Grenzen gibt", sagte er in einem Interview schon am Tag nach seinem Weltrekord. "Alles ist möglich. Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden." (Franziska Zoidl, 28.10.2018)

Abstract
Sports Medicine: How Biomechanical Improvements in Running Economy Could Break the 2-hour Marathon Barrier