Daten sind das neue Öl, heißt es. Die Analogie ist insofern schief, als Daten kein begrenzter, sondern ein ständig nachwachsender Rohstoff sind. Konzerne wie Google oder Facebook verdienen mit der Auswertung von Nutzerdaten Milliarden. Die Marktkapitalisierung von Googles Mutterholding Alphabet liegt mit über 800 Milliarden US-Dollar über dem Bruttoinlandsprodukt der Schweiz (660 Mrd. Dollar). Allein: Die Nutzer sehen davon keinen Cent – sie werden für die Generierung von Daten nicht entlohnt.

Der Internetkritiker Evgeny Morozov sieht darin einen "Technofeudalismus", ein Ordnungssystem, bei dem Tech-Giganten wie die Lehnsherren im Mittelalter die virtuellen Ländereien beherrschen und Nutzer wie Vasallen Frondienste erbringen müssen. Die Internetaktivistin Jennifer Lyn Morone spricht gar von "Datensklaverei". Der liberale Economist, kommunistischer Parolen gänzlich unverdächtig, titelte jüngst: "Datenarbeiter aller Welt, vereinigt euch."

Bepreisung von Daten

Das Problem wird auch in der Politik erkannt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die "Bepreisung von Daten" ein "zentrales Gerechtigkeitsproblem". Um die Einkommens- und Vermögenungleich heiten in einer zunehmend automatisierten Arbeitswelt zu korrigieren, gibt es zwei Mög lichkeiten: Entweder man schöpft die Gewinne ab, etwa durch eine Datensteuer, wie sie von der Bundesregierung erwogen wird. Oder man zahlt den Nutzern für die Produktion der Daten einen Lohn aus.

Das klingt zunächst etwas abwegig, schließlich willigen Nutzer mit dem Unterschreiben der Geschäftsbedingungen ein, die Dienste mit ihren personenbezogenen Daten zu bezahlen. Warum soll man für das Posten von Katzenfotos bezahlt werden? Man bekommt schließlich auch kein Geld, wenn man in ein Spielka sino geht. Experten wenden ein, dass sich nur durch einen Datenlohn der ökonomische wie ideelle Wert der Privatsphäre im Datenkapitalismus retten ließe.

Datendividende

Die Bewegung Wages for Facebook forderte bereits 2014, dass das soziale Netzwerk seinen Nutzern einen Lohn für die Überlassung ihrer Daten auszahlen solle. Der Forderung einer "Datendividende" hat sich inzwischen auch der Facebook-Mitgründer Chris Hughes, in Harvard einst der Zimmerkollege von Mark Zuckerberg, angeschlossen. Hughes gehört zu jener Fraktion im Silicon Valley, die für ein bedingungsloses Grundeinkommen plädiert. Facebook-Managerin Sheryl Sandberg brachte unlängst eine Bezahlvariante ins Spiel, bei der Nutzer für eine werbefreie Version und etwas mehr Privatsphäre bezahlen können.

Der Internetpionier Jaron Lanier hat derweil die Schaffung eines Datenarbeitsmarkts vorgeschlagen, in dem die Generierung von Daten als Arbeit behandelt wird. Das Problem an dieser Lösung ist nur, dass man damit Arbeit begrifflich und faktisch in die Freizeit verlagert und damit jene Errungenschaft, die Befreiung von der Arbeit, wofür die Arbeiter bewegung jahrzehntelang kämpfte, zunichtemacht. In der Kon sequenz müsste man auch Aktivitäten wie Joggen oder Schlafen, die man mit Fitnesstrackern vermisst, als Arbeit qualifizieren, weil man sich dabei selbst verdatet.

Durch digitale Vermessungstechniken produziert man ja sogar noch im Schlaf Daten, die Hersteller von Fitnessarmbändern monetarisieren können. Der Angestellte, der noch im Schlaf für das Unternehmen arbeitet, ist der Urtraum des Kapitalismus.Auch ökonomisch stößt die Idee an ihre Grenzen. Wenn Facebook alle Profite an seine über zwei Milliarden Nutzer ausschütten würde, rechnete der Economist vor, würde jeder Nutzer läppische neun Dollar im Jahr bekommen. Damit könnte man noch nicht mal seinen Internetanschluss bezahlen. Wobei die Aktionäre dem wohl ohnehin nicht zustimmen würden. Auch die Ausschüttung des Werbewerts würde sich finanziell nicht lohnen.

Daten, selbst im Schlaf geliefert

Das Kompensationsmodell trägt also nicht. Die Künstlerin Jennifer Lyn Morone ist deshalb dazu übergegangen, ihr Datenportfolio selbst zu vermarkten. Demografische Daten verkauft sie für 150 Pfund, die Finanzdaten kosten 2500 Pfund, Gesundheitsdaten 3500 Pfund. Das komplette Datenpaket kann man für 7000 Pfund erwerben. Die Aktion war als Kunstprojekt gedacht, doch müsste Morone ihr Profil wohl mehrmals im Jahr verkaufen, um ein auskömmliches Einkommen zu erwirtschaften. Geizen statt immer gebenDas Start-up Datacoup hat eine ähnliche Marktlösung entwickelt: Auf einer Plattform können Nutzer Accounts von Diensten wie Facebook oder Linkedin verknüpfen und ihre Daten freigeben. Datacoup erwirbt einzelne Datenpakete und verkauft sie auf einer Art Aktienmarkt an Datenbroker. Der Betrag, den das Unternehmen zahlt, ist jedoch minimal: Gerade einmal ein Dollar pro Woche sind Datacoup die Daten wert. Leben kann man davon nicht.

Die Gefahr der Datenarbeit besteht darin, dass der Wert der Daten durch das exponenziell wachsende Datenvolumen infolge des Internets der Dinge infla tioniert wird, dass Arbeit immer weniger wert ist. Das Datenproletariat müsste immer mehr Daten produzieren, um anständig honoriert zu werden. Vielleicht ist Datensparsamkeit der wahre Reichtum. (30.10.2018)